Wenn Ankara für Gespräche bereit ist, sind wir es auch

salih_muslim amed_dicleSalih Müslim im Interview mit Amed Dicle

Der Co-Vorsitzende der Partei der demokratischen Einheit PYD und Mitglied des Kurdischen Hohen Rats Salih Müslim sagte, dass die Kurden, die mittlerweile neun Städte, Kreise und Gemeinden in Westkurdistan verwalten, nicht gegen Araber kämpfen wollen und forderte die türkische Regierung dazu auf, nicht mehr die oppositionellen Gruppen, die sie kontrollieren, aufzuwiegeln. Müslim erklärte, dass sie zu einem Dialog mit der Türkei bereit seien und er daran glaube, dass dies einen positiven Einfluss auf die neue Phase in der Türkei haben werde.
Der Co-Vorsitzende der PYD und Mitglied des Kurdischen Hohen Rats, Salih Müslim beantwortete die Fragen zu den Entwicklungen in Rojava [Westkurdistan], den Beziehungen zur arabischen Opposition und der Gesellschaft und zur Rolle des türkischen Staates.

Zuletzt wurden die Städte Rimêlan und Tirbespiye von den Regimekräften befreit. Wie viele Städte werden aktuell von der Bevölkerung verwaltet?

Neun Städte, Kreise und Gemeinden sind unter unserer Verwaltung. In manchen Gegenden sind auch kurdisch-arabische Dörfer frei von Regimekräften und werden vom zivilen Volk verwaltet.

Welcher Art Verwaltung wird in den Regionen mit arabischen Dörfern und vor allem in der Region Cizir geführt?

Wir erlauben es nicht, den Boden für kurdisch-arabische Kämpfe vorzubereiten. Wir reagieren sehr sensibel darauf. Und wir geben uns Mühe, Konflikte auf dem Wege des Dialoges zu lösen.

Die Kräfte des Regimes sind zuletzt aus Rimêlan vertrieben worden. Dieses Gebiet ist wegen der Ölquellen und der Bevölkerung wichtig; sie ist eine sensible Region. Wie ist zurzeit dort die Situation?

Es gibt natürlich auch andere Kräfte, die diese Ölquellen unter ihre Kontrolle bringen möchten. Um bei der arabischen Bevölkerung unseren Widerstand nicht in ein falsches Licht zu rücken und den Provokationen mancher Kräfte nicht zum Erfolg zu verhelfen, habe ich dort persönlich mit arabischen Stammesführern, Scheichs und wichtigen Führungsleuten gesprochen. Sie haben uns zugehört und Verständnis gezeigt für die YPG-Operationen. Hätten sich die dortigen Soldaten ergeben, wäre kein Blut geflossen. Aber sie haben sich widersetzt und Kommandanten und einige Soldaten sind dadurch getötet worden. Die Restlichen haben sich ergeben. Das arabische Volk hat sie nicht unterstützt.

Was ist mit den gefangenen Soldaten passiert?

Sie sind Kinder von Armen und Bedürftigen, wir haben sie nach Hause geschickt. In Serê Kaniyê und anderen Orten passierte dasselbe. Wir möchten die Konflikte zunächst auf dem Wege des Dialogs lösen. Aber diejenigen, die sich uns nicht mit einem Dialog sondern mit Gewalt nähern, können ihr Wunder erleben. So wie es in Serê Kaniyê und in Rimêlan geschehen ist.

Rimêlan ist das reichste Gebiet in Syrien und sowohl interne als auch externe Kräfte zielen darauf ab. Was kann dort passieren?

Es ist reich und strategisch wichtig. Die Quellen des Reichtums gehören der Bevölkerung. Die dortige Bevölkerung wird die zukünftigen Entscheidungen für ihre Region selbst treffen. Kurden und Araber leben dort gemeinsam. Der offizielle Ansprechpartner der Kurden ist der Kurdische Hohe Rat. Und die arabische Gesellschaft dort hat schon ihre Vertreter und sie verwalten nun gemeinsam. Sonst kann sich keine weitere Kraft dort niederlassen.

Und was ist mit den Werktätigen auf den Öl- und Gasfeldern?

Sie, also die zivilen Arbeiter, arbeiten dort weiterhin. Aber sie fördern das Öl nicht mehr für das Regime, sondern für die Bevölkerung.

In Serê Kaniyê wurde zwischen der YPG und der FSA eine Vereinbarung getroffen, wie ist dort zurzeit die Lage?

Die Vereinbarung zwischen der YPG und der FSA wurden vom Kurdischen Hohen Rat und der Nationalen Syrischen Koalition angenommen und unterschrieben. Auf diesem Weg hat es einen politischen Charakter bekommen und ist nun in Kraft getreten. Diese Vereinbarung beinhaltet mehr als manche glauben. Es bringt die Parteien dazu, sich noch besser zu verstehen.

Aber sagten sie nicht, dass es sich bei diesen Gruppen um Schergen handelt, die von Kräften außerhalb Syriens dorthin geschickt werden?

Ja, wir haben nicht mit denen eine Vereinbarung getroffen, die von außerhalb nach Syrien kamen. Unsere Ansprechpartner, mit denen wir eine Vereinbarung getroffen haben, sind die Kräfte innerhalb Syriens. Die Schergen von außerhalb wurden von der YPG besiegt und mussten raus.

Sind diese Gruppen also vernichtet worden?

Diese Gruppen sind nicht mehr in unserem Gebiet und sie sind nicht Teil dieser Vereinbarung, sie sind keine Verhandlungspartner.

Mit dieser Entwicklung sind auch die Beziehungen zur Nationalen Syrischen Koalition ein wenig vertieft worden. Sie haben zuletzt in Kairo ein Gespräch mit Moas El-Chatib geführt. Finden diese Treffen weiterhin statt?

Wir hatten uns in Kairo mit El-Chatib getroffen, aber es kein offizielles, sondern ein persönliches Treffen. Wir haben uns als Co-Vorsitzender der PYD, als eine kurdische Persönlichkeit und er als Person getroffen. Wir haben Perspektiven für die Zukunft Syriens beredet. Wir reden mit vielen darüber. Wir haben allen gesagt, dass sie unsere Gedanken nicht über andere, sondern durch uns selbst erfahren sollten. Wir sind eine freie und unabhängige Kraft und wir agieren mit eigenem Willen. Wir erwarten von unseren Ansprechpartnern ebenfalls, dass sie frei sind und mit eigenem Willen Entscheidungen treffen.
El-Chatib hat erklärt, dass er nicht gegen eine Vereinbarung ist. Aber dass sie sich wegen der Widersprüchlichkeiten untereinander von einer Vereinbarung mit uns distanzieren müssen. Gruppierungen, die von der Türkei gelenkt werden, stellen ein Hindernis für ein Abkommen dar.

Sind sie nicht bereit dazu, die Rechte der Kurden anzuerkennen?

Es gibt welche, die akzeptieren die Rechte der Kurden nicht. Doch für die arabischen Gruppen, für das arabische Volk ist es kein Problem. Aber Gruppen wie die Muslimbruderschaft, die von der Türkei koordiniert werden, sind gegen uns und gegen eine Partnerschaft mit der syrischen Opposition.
Die Unstimmigkeiten über die Zukunft Syriens hindert sie auch daran, eine politische Praxis hervorzubringen. Zuletzt gab es in Istanbul ein Treffen von ihnen, um eine vorübergehende Regierung zu gründen, aber es kam zu keiner Übereinkunft. Drei Treffen wurden auf diese Weise verschoben. Entscheidungen konnten nicht getroffen werden, weil andere Kräfte sie lenkten.

Haben sie direkte oder indirekte Beziehungen zum Regime? Es gibt solche Gerüchte …

Wir hatten früher Beziehungen zum Regime, in den Knästen, Folterkammern und bei den Kämpfen auf den Straßen! Andere Beziehungen haben wir nicht. Im Mai 2011 wollte Assad mit allen kurdischen Organisationen eine Versammlung abhalten. Auch wir sind eingeladen worden, haben aber nicht daran teilgenommen. Als wir in den Folterkammern des Regimes waren, machte der türkische Ministerpräsident mit Assad Urlaub. Es gibt keine andere Kraft, die so sehr gegen das Regime Widerstand geleistet hat und Opfer geleistet hat. Propaganda dieser Art sind wirklich widerlich!

In der Türkei hat zurzeit eine neue Phase begonnen. Es gibt einen Dialog mit Öcalan. Was für Auswirkungen hat es für Syrien und Westkurdistan, wenn diese Phase Erfolg hat?

Als Syrien und die Türkei Freunde waren, haben wir dafür Opfer geleistet. Die Lage hat sich nun geändert. Die türkische Regierung ist Freund der Opposition und tut alles dafür, dass wir nicht anerkannt werden. Sie will uns also im neuen Syrien erneut die Opfer zahlen lassen. Sie erkennen selbst die Rechte und Existenz des kurdischen Volkes nicht an und sie fordern von anderen ebenfalls die Nichtanerkennung der Kurden. Wenn in der Türkei die Rechte der Kurden anerkannt werden, dann bricht in Syrien diese Politik ebenfalls zusammen. Es wird einen direkten Einfluss auf unseren Status haben. Wenn es ein Abkommen mit der Türkei geben wird, wird es für uns keine Probleme geben, mit den Arabern ein Abkommen zu schließen. Die Beziehungen zwischen den Kurden in Westkurdistan und den Türken wird einen neuen Lauf nehmen. Wir wollen die Überwindung der Konflikte, die Öffnung der Grenzen und die Normalisierung der Beziehungen erreichen.

Bedeutet die Überwindung der Konflikte mit der Türkei die Öffnung einer neuen Seite in den Beziehungen mit der syrischen Opposition?

Natürlich. Aber wir haben sowieso keine Probleme mit der arabischen Opposition und den Arabern. Wir sprechen von den Kräften, die von der Türkei gelenkt werden.

Können wir die Situation auch von der anderen Seite betrachten? In wie weit ist bzw. hat die Entwicklung in Westkurdistan und Syrien den Prozess von Imrali beeinflusst?

Sie dachten, ich unterdrücke sie im Norden, im Süden binde ich sie ökonomisch an mich, im Osten ist es „eh ein Problem des Iran“ und in Westkurdistan habe ich niemanden zugelassen. Aber die Kurden in Rojava [Westkurdistan] haben der Türkei gesagt: „Einen Moment mal, was machst du denn. Du hast nicht alle Kurden unter Kontrolle, es gibt Kurden, die sind nicht unter deiner Kontrolle.“ Vielleicht hatte die türkische Regierung diese Rechnung nicht gut aufgestellt, dies nicht erwartet. Dies war eine Mahnung an den türkischen Staat. Wir, das Volk in Rojava haben der Türkei gezeigt, dass die Kurden sich der Türkei entgegenstellen, wenn sie die Kurden nicht anerkennt. Dieser Widerstand des Volkes in Rojava hat das Konzept der Türkei einbrechen lassen.

Die Türkei steht nun mit der PKK in einer Art Dialog. Sie behauptet, dass sie Beziehungen zu der PKK haben und andererseits versucht sie sie auszugrenzen. Ist das nicht widersprüchlich?

Ja. Wir warten ja auch auf eine Antwort der Türkei. Als ich mich mit Moas El-Chatib getroffen habe, fragte er mich, warum wir nicht in Beziehungen mit Ankara stehen. Ich sagte ihm, dass wir bereit sind, mit Ankara zu reden. Unsere Freiheit ist keine Bedrohung für die Türkei und wir möchten nicht, dass dies so aufgenommen wird. Von unserer Seite aus ist nie eine Kugel auf die Türkei gerichtet worden. Wir verteidigen uns nur. Und wir sind bereit für den Dialog.

Würden Sie nach Ankara gehen, wenn sie eingeladen würden?

Moas El-Chatib wollte mit denen diesen Punkt besprechen und auf uns zurückkommen. Wir warten auf eine Antwort. Ich habe gehört, dass ihm türkische Verantwortliche gesagt hätten, dass sie Gespräche nicht verneinen würden. In den letzten zwei Tagen haben wir nicht miteinander gesprochen. Wenn Ankara für Gespräche bereit ist, wir sind es.

Quelle: Yeni Özgür Politika, 13.03.2013, ISKU

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