Widerstand gegen die Entscheidung der USA

Mustafa Karasu, Mitglied des KCK-Exekutivkomitees, über die US-Fahndung nach PKK-Führungskadern und die Angriffe auf Rojava, 10.01.2019

Die USA haben [am 6. November 2018] gegen Cemil Bayık (Ko-Vorsitzender der KCK), Murat Karayılan (Oberkommandierender der Volksverteidigungskräfte HPG) und Duran Kalkan (Mitglied des Exekutivrats der PKK) Haftbefehle ausgestellt und finanzielle Belohnungen für Informationen, die zur Festnahme der drei Funktionäre führen, in Aussicht gestellt. Warum diese Entscheidung getroffen wurde, muss man hier jedoch genau analysieren. Die offiziellen Begründungen sind natürlich wertlos und haben keinerlei Bedeutung.

Der Hauptgrund ist ideologischer und politischer Natur. Darüber hinaus gibt es aber auch wirtschaftliche und politische Interessen. Denn würden die USA versuchen, Entscheidungen allein aufgrund ideologischer und politischer Unterschiede zu treffen, dann müssten sie in Bezug auf den Großteil der Welt ähnlich agieren. Die Entscheidung ist somit sicherlich das Ergebnis eines schmutzigen Deals: Der Politiker Trump hat wie ein Händler entschieden, um dabei etwas zu gewinnen oder zu verdienen.

Diese Entscheidung, aus welchem Anlass auch immer sie getroffen wurde, bedeutet eine Feindseligkeit gegenüber dem kurdischen Volk. Die USA sollten dabei nicht wie die ausbeuterische, unterdrückerische Türkei vorgehen und versuchen, die Kurd*innen von der PKK zu spalten. Die ganze Welt weiß, dass diese Vorgehensweise des türkischen Staates den Völkermord an den Kurd*innen und die Feindseligkeit gegenüber dem kurdischen Volk verschleiern soll. Zurzeit ist die stärkste kurdische Freiheits- und Demokratiebewegung mit dem Kampf der PKK verbunden. Wenn der türkische Staat die PKK besiegen könnte, würde er danach die nächste kurdische politische Bewegung ins Visier nehmen, die den Kampf gegen ihn aufnehmen würde. Der türkische Staat ist nicht in der Lage, auf die Forderungen einer kurdischen politischen Bewegung einzugehen. Er kann nur Kurd*innen gegeneinander ausspielen. Wenn die USA ähnlich wie die Türkei versuchen, die Kurd*innen von der PKK zu spalten, dann legen sie das gleiche Denken und die gleiche Politik wie der türkische Staat an den Tag. Jeder und jede auf der Welt weiß mittlerweile, dass die AKP-MHP-Regierung den Kurd*innen feindlich gesinnt ist.

Eine direkte militärische Intervention kann nach hinten losgehen

Wer auch immer von der Türkei etwas möchte, muss sich im Gegenzug feindlich gegenüber der PKK positionieren. Wer innerhalb der Türkei in ökonomischer, gesellschaftlicher oder politischer Hinsicht etwas erreichen will, muss sich feindlich gegenüber der PKK, Abdullah Öcalan sowie der ganzen kurdischen Bevölkerung ausrichten. Diese Gleichung wird bestehen bleiben, solange die kurdische Frage in der Türkei nicht gelöst ist. Ein Motiv für die Entscheidung der USA zur Ausstellung der Haftbefehle ist ihr Vorhaben, die Türkei für ihre Politik gegen den Iran einzuspannen. In diesem Zusammenhang wurde vor dem Golfkrieg 2003 und der Intervention im Irak das Komplott gegen Abdullah Öcalan durchgeführt. Vielleicht wird es im Iran keine militärische Intervention geben. Ziel ist es jedoch, die Probleme des Iran so zu vergrößern, dass sich im Sinne der USA ein Regime-Wechsel entwickelt, von dem sie sich einen kontrollierbaren Mittleren Osten versprechen. Eine direkte militärische Intervention kann nach hinten losgehen. Deshalb wollen sie im Iran eine Regierung wie bis 1979 unter dem Schah oder eine wie die im Interesse der USA agierende türkische Regierung unter der AKP. Trump bzw. die herrschenden Klassen der USA interessieren sich nicht für die Lösung der kurdischen Frage, sie wollen lediglich einen Iran, der ihren Interessen nicht im Wege steht.

Die freiheitliche und demokratische Linie der PKK stärkt den Willen der Völker

Zweifellos ist auch die Ausweitung des ideologischen und politischen Einflusses der PKK im gesamten Mittleren Osten ein wichtiger Faktor bei dieser Entscheidung. Als die Verschwörung gegen Öcalan nicht das gewünschte Ergebnis brachte, wurde eine neue gegen die Organisation eingeleitet, da unter den Bemühungen und dem Einfluss der PKK die Ideen von Öcalan weitere gesellschaftliche Gruppen in Kurdistan und im Mittleren Osten erreichten. Im Norden Syriens wurden nicht nur in Rojava, sondern auch in den von Araber*innen bewohnten Gebieten die Ideen Öcalans weit verbreitet. Derzeit ist die arabische Bevölkerung in der Demokratischen Föderation Nordsyrien größer als die kurdische. Öcalans Verständnis einer Demokratischen Nation1 hat Kurd*innen, Araber*innen, Assyrer*innen und andere Volksgruppen einander näher gebracht. Die USA jedoch möchten das friedliche Miteinander der Völker verhindern und Zwietracht säen. Deshalb greifen sie die Kräfte an, die hinter der Idee einer Demokratischen Nation stehen. Die PKK, die Guerilla-Kräfte und andere Strukturen der PKK schaden den USA nicht. Diese jedoch wollen, dass die Völker im Mittleren Osten gemäß der Ideologie und der politischen Linie der Vereinigten Staaten handeln. Die freiheitliche und demokratische Linie der PKK stärkt den Willen der Völker, sie wird keiner anderen ideologischen oder politischen Linie folgen. Die ideologische und politische Linie der PKK ist nicht nur anders, sondern behindert praktisch gesehen die Regionalpolitik der USA im Mittleren Osten.

Den Medien ist zu entnehmen, wie die USA versuchen, die Revolution in Rojava in politischer wie ideologischer Hinsicht auf ihre Linie zu bringen und den Einfluss der PKK, die an den Ideen Öcalans festhält, zu verringern. Die Besetzung von Efrîn und die Angriffe der Türkei auf Rojava mit Zustimmung der USA sind in diesem Zusammenhang zu begreifen. Hätten die USA eine andere Position vertreten, wären ihre Antworten auf diese Angriffe anders ausgefallen. Einerseits werden die Angriffe auf Rojava geduldet, andererseits Maßnahmen gegen die PKK-Führung ergriffen, um die Revolutionäre in Rojava und der Föderation Nordsyrien in die Enge zu treiben. Mit diesen hinterhältigen Absichten und aufgrund politischer und wirtschaftlicher Interessen nehmen die USA eine feindselige Haltung gegenüber der von der PKK angeführten kurdischen Freiheitsbewegung ein.

Nur mit Faschismus und Ausbeutung kann die AKP-Regierung sich noch halten

Man muss hierbei erwähnen, dass die Entscheidungen der USA nach Treffen mit der Türkei vereinbart wurden. Sie wurden getroffen, um die Türkei stärker an ihren eigenen Kurs zu binden. Zurzeit befindet sich die Türkei in einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Die AKP-MHP-Koalition steht nur auf wackeligen Beinen. Wie im Jahre 1998 kann die Regierung ihre Geschäfte nur mit ausländischer Hilfe fortführen, denn der von der PKK angeführte Kampf bringt die AKP-Regierung ins Wanken. Nur mit Faschismus und Ausbeutung kann sie sich noch halten. Dennoch ermöglicht die angewandte Repression innerhalb der Türkei immer noch nicht, die Regierung zu stabilisieren. Die USA haben mit der Entscheidung gegen die PKK der AKP-Regierung klargemacht, dass sie ihre Regierung unterstützen werden, solange die Türkei auf die Forderungen der USA in der Region eingeht. Die Angriffe auf die PKK sind in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Die USA wollen mit der Entscheidung zur Auslobung des Kopfgeldes mehrere Ziele auf Kosten des kurdischen Volkes erreichen. Indem die Kurd*innen als Verhandlungsmasse behandelt werden, sollen wirtschaftliche und politische Interessen durchgesetzt werden. Darum bezeichnet die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) in ihrer Erklärung die Entscheidung der USA als »unmoralisch«. Denn diese zielen damit auf die Kurd*innen, die im Mittleren Osten für Demokratie, Freiheit, Recht, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen. Der Angriff auf die PKK ist ein Angriff auf alle Kurd*innen. Die USA handeln auf diese Weise, um die Türkei benutzen zu können. Eine Schwächung der PKK würde zugleich eine Schwächung aller Kurd*innen auf militärischer, politischer, sozialer und nationaler Ebene bedeuten. Wenn die PKK geschwächt wird, ist es für die Ausbeuter und Feinde des kurdischen Volkes einfacher, ihre Politik durchzusetzen. In dieser Hinsicht darf sich keine kurdische politische Bewegung und kein Teil Kurdistans täuschen. Im Jahr 1999 versuchten einige Kollaborateur*innen und Verräter*innen durch die Gefangennahme Abdullah Öcalans die PKK zu schwächen und versprachen dem Volk, dadurch die kurdische Frage lösen zu können. Die kurdische Frage kann aber nicht gelöst werden, wenn die Kurd*innen eine schwache Position innehaben; im Gegenteil kann es eine Lösung nur geben, wenn sie stark aufgestellt sind. Wird die Feindseligkeit und Politik der Ausbeuter betrachtet, wird deutlich, dass eine Schwächung der PKK die Bedrohung aller Kurd*innen mit Ausbeutung und Völkermord bedeutet.

Die USA haben die Entscheidung im Zusammenhang mit Verhandlungen mit der Türkei getroffen

Einige faschistische Kräfte innerhalb der Türkei behaupten, die USA hätten diese Entscheidung getroffen, um einen Lösungsprozess der kurdischen Frage in der Türkei in die Wege zu leiten und um den Kurd*innen in Nordsyrien einen Status zu gewähren. Dies ist jedoch eine totale Verdrehung der Tatsachen. Die USA haben die Entscheidung im Zusammenhang mit Verhandlungen mit der Türkei getroffen, sonst wäre es zu dieser Entscheidung nicht gekommen. Die Rhetorik von Teilen der AKP-Regierung, der MHP und der Ergenekon, die den Eindruck erweckt, sie seien wegen dieser Entscheidung der USA gezwungen, die Lage in Nordsyrien hinzunehmen, ist ein Täuschungsversuch dieser Kräfte gegenüber den Völkern in der Türkei. Es sind Versuche, die öffentliche Meinung zu täuschen. Tatsächlich sind sie mit dieser Entscheidung sehr zufrieden. Sie versuchen durch diese scheinbar unzufriedenen Äußerungen einen psychologischen Kampf voranzutreiben und die USA zu stärkeren Maßnahmen gegen die PKK zu bewegen.

Diese Politik hat die AKP-MHP-Koalition in den letzten Jahren immer verfolgt. Sie versucht, ständig Druck auf andere Staaten auszuüben, um sie zur Unterstützung des eigenen Kurses zu bewegen. Um ihre feindselige Politik gegenüber dem kurdischen Volk fortzuführen, stellt sie die Entscheidung der USA als unwichtig und ineffektiv dar. Um die Wahrheit zu verschleiern und die Aufmerksamkeit der kurdischen Gesellschaft zu schwächen, wird die Entscheidung der USA, die dem Völkermord an den Kurd*innen den Weg ebnet, von der Türkei so dargestellt, als sei sie zum Vorteil der Kurd*innen getroffen worden. Einige Kollaborateur*innen und Verräter*innen unterstützen die ausbeuterische Türkei in ihrem Krieg. Der türkische Staat betreibt keine andere Politik als die des Völkermordes. Die Aussagen der Türkei scheinen in ihrer Rhetorik lediglich wie falsche Lösungsprozesse zu klingen, jedoch handelt es sich um eine klare psychologische Kriegsführung gegen das kurdische Volk, das sich gegen Ausbeutung und Völkermord wehrt. In der Türkei kann die Lösung der kurdischen Frage nur im Kampf gelingen. Jeder andere Ansatz wird von der psychologischen Kriegsführung bestimmt. Wenn man die Aussagen der Türkei aus dieser Perspektive betrachtet, scheinen die Forderungen der HDP oder anderer Organisationen gegenüber der AKP-Regierung nach einer Lösung sehr realitätsfern. Außerdem haben diejenigen, die falsche Erwartungen schüren, einen falschen Ansatz.

Die Entscheidung der USA ähnelt jener gegen Abdullah Öcalan. Es wird dasselbe Ziel verfolgt. Der heutige Angriff ist sogar gefährlicher als der im Jahr 1999. Ihn nicht ernst zu nehmen bedeutet zugleich die Unterstützung für alle Ausbeuter*innen, vor allem der AKP-MHP-Regierung. Sie kommt einer Schwächung der Freiheitsbewegung in allen Teilen Kurdistans gleich. Wir sind mit einer Entscheidung konfrontiert, die nicht nur in Kurdistan den Kampf um Freiheit und Demokratie schwächen soll, sondern den im ganzen Mittleren Osten.

Wer Feind und wer Freund ist, wird in diesen Tagen deutlich

Es ist notwendig, dass überall vehement und öffentlich gegen die Entscheidung der USA protestiert wird. Lediglich Erklärungen zu schreiben reicht nicht aus. Die USA müssen sich mit dem ganzen kurdischen Volk und allen politischen Kräften konfrontiert sehen. Das kurdische Volk muss überall und unermüdlich gegen diese Entscheidung vorgehen. Nur wenn die Kurd*innen starken Widerstand leisten können, wird das Komplott ins Leere laufen. Wie schon bei dem Komplott gegen Abdullah Öcalan unterstützen die USA die Türkei in deren genozidaler Politik gegenüber den Kurd*innen. Auch in den anderen Teilen Kurdistans wurde diese verbrecherische Politik gegenüber dem Kampf für Freiheit und ein demokratisches Leben des kurdischen Volkes unterstützt. Diese Tatsache muss unser Volk begreifen und ohne Beeinflussung durch hinterhältige Versprechen, Bewertungen und Beurteilungen seinen Kampf dagegen verstärken. Jede Herangehensweise, die diesen Widerstand negativ beeinflusst, kommt einem Dienst an dieser Ausbeutung gleich.

Wer Feind und wer Freund ist, wird in diesen Tagen deutlich. Die Haltung aller politischen Parteien in Kurdistan zu dieser Entscheidung ist wichtig. Speziell die Haltung von Parteien, die von sich sagen, mit der PKK in freundschaftlicher Beziehung zu stehen, sind in diesen Tagen von Bedeutung. Es ist nötig, dass die einzelnen Parteien geschlossen Erklärungen verfassen und sich solidarisch zeigen. Individuelle Erklärungen von Einzelpersonen aus den verschiedenen Parteien reichen nicht aus und können darum nicht akzeptiert werden, da sie, bei aller Wertschätzung, nur für einzelne Personen stehen. Aus Liebe zur Heimat, der Verantwortung für das kurdische Volk und auch aus Freundschaft zur PKK müssen solche Erklärungen beschlossen und gemeinsam von den Parteien und Bewegungen formuliert werden. Sie müssen das kurdische Volk dazu aufrufen, sich gegen die Entscheidung der USA zu stellen. Daran wird sich zeigen, wer sich für die Interessen des kurdischen Volkes und für Demokratie einsetzt. Alle kurdischen Parteien müssen den USA sagen, dass sie zu solch einer Entscheidung nicht das Recht haben und dass eine Unterstützung der mörderischen Politik der Türkei Feindschaft gegenüber dem kurdischen Volk bedeutet.

Zweifelsohne müssen hierbei nicht nur die Kurd*innen, sondern vielmehr alle demokratischen Kräfte, alle Völker, die für Freiheit und Demokratie einstehen, sich gegen diese Entscheidung stellen. Gemeinsam mit den Kurd*innen muss der Widerstand dagegen gestärkt werden.

Im Original erschien der Artikel im Kurdistan Report – Januar/Februar 2019.