“Wir begrüßen die Erklärung von Frau Bundeskanzlerin Merkel”

navdemPressemitteilung des NAV-DEM – Demokratischen Gesellschaftszentrums der KurdInnen in Deutschland e.V., 03.09.2015

In ihrer Sommer-Pressekonferenz am 31.August äußerte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel zum türkisch-kurdischen Konflikt. Dabei appellierte die Bundeskanzlerin die Türkei den ausgesetzten Friedensprozesses mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK wiederaufzunehmen und sprach ihr Wohlwollen über den Friedensprozess aus.

Seit dem 24. Juni 2015 führt der türkische Staat, sowohl im In- als auch im Ausland einen umfassenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. In einem vom türkischen Menschenrechtsverein IHD erstellten Bericht zufolge, befasst die Bilanz der getöteten türkischen Sicherheitskräfte im Zeitraum von 21.Juli – 29.August 2015 insgesamt 92. Im selben Zeitraum verloren 38 GuerillakämpferInnen der PKK ihr Leben. Die Zahl der zivilen Opfer ist umso erschreckender. So wurden insgesamt 47 Zivilisten Opfer von Angriffen türkischer Sicherheitskräfte. Ein Großteil der zivilen Opfer bilden Minderjährige und Kinder.

Weiter beziffert der Bericht die Zahl der kurdischen AktivistInnen, die in diesem Zeitraum festgenommen worden sind, auf insgesamt 2544. Darunter befinden sich mehrere BürgermeisterInnen und PolitikerInnen.

Indessen macht sich der Unmut innerhalb der Gesellschaft der Türkei gegen das Vorgehen der AKP-Regierung spürbar bemerkbar. So teilt der Großteil der türkischen Öffentlichkeit die Meinung, dass der Krieg einzig und allein aus dem Grunde begonnen wurde, um die absolute Mehrheit der AKP wiederzuerlangen und somit dem Vorhaben Erdogans, einer autokratischen Präsidialdiktatur, den Weg zu bereiten. So war es die AKP-Regierung unter der Führung Erdogans die seit Ende 2012 Friedensgespräche mit dem Vorsitzenden der PKK Abdullah Öcalan führte. Diese mündeten auf eine gemeinsame Vereinbarung (auch Dolmabahce-Abkommen genannt), welche in Anwesenheit der Presse gemeinsam von Vertretern der AKP und HDP der Öffentlichkeit vorgetragen wurde. Zu diesem Zeitpunkt begrüßte der inzwischen zum Staatspräsidenten gewählte Erdogan das Dolmabahce Abkommen. Nur wenige Wochen später wendete sich die Rhetorik von Erdogan, der von da an die gemeinsame Erklärung der AKP und HDP negierte und kundtat, dass es keine kurdische Frage geben würde. Mit der Befreiung von Tel-Abyad (Girê Spî) vom IS durch das gemeinsame Vorgehen der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der US-geführten Anti-IS-Koalition sprach Erdogan von einer Bedrohung an der Grenze. Durch den Wahlerfolg der HDP, der gleichzeitig den Machtverlust der AKP zur Bedeutung hatte, dauerte es nicht mehr lange bis ein erneuter Krieg gegen die KurdInnen, der von seiner Skrupellosigkeit und Brutalität an die 1990er erinnern lässt, seitens der AKP-Regierung begonnen wurde.

Der Angriff gegen eine sozialistische Jugendorganisation, die nach Kobanê wollte, wurde zum Anlass genommen, um unter dem Vorwand gegen den IS vorzugehen, Luftangriffe auf vermeintliche Stellungen der PKK im Nordirak und auf das Kontrollgebiet der Rojava-Administration in Nordsyrien zu fliegen. Es ist zu beobachten, dass Erdogan mit allen Mittel bestrebt ist, seine Macht zu festigen. Razzien, willkürliche Festnahmen, gezielte Tötungen von Zivilisten in HDP-dominierenden Stadtteilen und Einschüchterungsversuche bilden nur ein Teil der derzeitigen Realität in den kurdischen Gebieten der Türkei dar. Vor zweiTagen wurde ein sogenannter Kopfgeld-Erlass beschlossen. Die Bevölkerung wird dazu aufgerufen gegen Geld Informationen über vermeintlichen PKK-Mitgliedern zu liefern.

Die Folgen diesen auf ein reines Machtkalkül basierenden Krieg und ihr Ausmaß werden mit jedem Tag deutlicher. Die gesellschaftliche und politische Polarisierung innerhalb der Türkei wird von Tag zu Tag forciert. Experten sprechen von einem Chaos, dessen Kontrolle nicht mehr lange möglich sein wird. Weiter wird durch die Bombardierungen der türkischen Regierung auf PKK-Stellungen der effektivste Widersacher des IS geschwächt, was eine automatische Stärkung des IS und somit seine aktive Unterstützung zur Folge hat.
Der von der türkischen Regierung geführte Krieg fügt nicht nur den türkisch-kurdischen Beziehungen großen Schaden zu. Gleichzeitig vertieft er die Krise in einer Region, die mehr als je zuvor von Fragilität und Konflikten  geprägt ist. In diesem Sinne ist die begrüßende Erklärung von Frau Bundeskanzlerin Merkel nur verständlich und richtig. Umso verwunderlicher gelten die Festnahmen kurdischer politischer Aktivisten in Deutschland zu bewerten. Während das Oberlandesgericht Hamburg M.Demir zu drei Jahren Haft verurteilt hat, kam es am 18.Juli zur Festnahme von A.Celik und am 26. August zur Festnahme von B. Kavak. Alle drei Aktivisten haben sich dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ nach Paragraph 129b zu verantworten.

In der Berichterstattung der letzten Jahre ist festzustellen, dass das bestehende PKK-Verbot in Deutschland skeptisch betrachtet wird. Ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit fordert die Aufhebung des Verbots und der aktiven Unterstützung der PKK in ihrem Kampf gegen die Terrormiliz des IS. Diese Festnahmen tragen jedoch zur Folge, dass sich die Türkei in ihrem Krieg gegen die KurdInnen bestätigt fühlt und somit der universelle Kampf der KurdInnen als Stellvertreter demokratischer und humanitärer Werte gegen den IS geschwächt wird.

Die KurdInnen sind nicht nur ein Schlüssel für die Demokratisierung und für die Lösungen der Probleme in der Türkei, sondern sie stellen eine Alternative zu den bestehenden regionalen Krisen dar und bieten Lösungen zur Bewältigung der bestehenden historischen und gegenwärtigen Probleme.

In diesem Sinne ist die derzeitige Haltung der Bundesregierung gegenüber den KurdInnen nicht akzeptabel. Anstatt auf politische Repression zu setzen müsste die Bundesregierung die KurdInnen in ihrem Bestreben und vor allem in ihrem Kampf gegen den IS aktiv unterstützen. Während der Nahe Osten auf der einen Seite von der Barbarei des IS und Konfessionskonflikten geprägt ist, stoßen die KurdInnen mit ihrer Demokratiebewegung, die auf Pluralität, Basisdemokratie, Multiethnizität und –konfessionalität  basierend ist, auf großes Interesse der Weltöffentlichkeit.

Daher ist der Aufruf der Kanzlerin für die Wideraufnahme des unterbrochenen Friedensprozess erneut zu begrüssen. Deutschland kann zur Abwendung der Gefahr, die durch AKP Regierung ausgeht mehr Verantwortung übernehmen. Insbesondere die Konsequenzen in diesem Konflikt sollten ebenfalls in der Annährung an die organisierten KurdInnen in Deutschland überdacht und korrigiert werden.

Wir begrüßen die Erklärung der Bundeskanzlerin und ihren Appell an die AKP-Regierung. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung dazu auf, mehr Druck auf die AKP-Regierung auszuüben, damit diese den Krieg gegen die KurdInnen einstellt. Ebenso postulieren wir von der Bundesregierung sämtliche Repressionen gegenüber kurdischen AktivistInnen einzustellen. Des Weiteren möchten wir zu Ausdruck bringen, dass die Verbotsaufhebung der PKK nicht nur einen positiven Beitrag in den deutsch-kurdischen Beziehungen mit sich bringen würde, gleichzeitig würde dieser Schritt einen bedeutenden Beitrag für die türkisch-kurdischen Friedensverhandlungen leiste.