Zur deutsch-türkischen Kurdenpolitik

Hacer Altunsoy, 19.06.2017

In den vergangenen Tagen wurde eine 75jährige kurdische Oma, die seit 23 Jahren in Bremen lebt, zu einer Geldstrafe von 300 € durch das Kölner Verwaltungsgericht verdonnert. Grund für die Verurteilung waren die Kleider, die sie bei einer Demonstration gegen Erdoğan im November 2016 trug. Sie hatte an jenem Tag ihr traditionelles Kleid in den kurdischen Farben rot-gelb-grün an und ihr Kopftuch war geschmückt mit den Symbolen, die ihr im Bild zu diesem Artikel sieht.

Dieses Urteil der deutschen Justiz erinnert unzweifelhaft an die Sackgassen der türkischen „Kurdenpolitik“ aus den 1990er Jahren. Damals hatte der türkische Staat die rot-gelb-grüne Farbenkombo für verboten erklärt. Selbst von einer Debatte, aus diesem Grund die Farbenkombination der Straßenampeln zu verändern, blieben die Menschen nicht verschont. Menschen, die dennoch Kleidung oder Tücher in diesen Farben anzogen, landeten nicht selten hinter Gittern. Und nicht weniger selten wurden sie hinter Gittern gefoltert.  In der Türkei unter der AKP erleben wir derzeit eine Wiederkehr des Krieges gegen die kurdischen Farben. Interessant und traurig zugleich ist, dass Deutschland nun im Kampf gegen kurdische Symbole und Farben mitzieht.

Schauen wir uns einige Beispiele der deutschen Verbote an…

Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April dieses Jahres hatte die Erdoğankritik in Deutschland und Europa einen neuen Höhepunkt erreicht. Wahlkampfauftritte von Ministern der AKP waren in Deutschland nicht erwünscht. Das galt auch für den türkischen Staatspräsidenten. Genau als die Kritik an Erdoğan in der Bundesrepublik ihren gefühlten Höhepunkt erreicht hatte, erging am 2. März aus dem deutschen Innenministerium ein Erlass an die Bundesländer, dass fortan das öffentliche Zeigen von Bildern und Symbolen von 33 kurdischen Parteien und Vereinigungen verbot. Unter das Verbot fielen neben der Fahne mit dem Portrait des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan auch die Symbole der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ). Dass Erdoğan verzweifelt die Welt davon überzeugen möchte, die YPG und YPJ seien terroristisch, ist uns bekannt. Während der Rest der Welt den türkischen Staatspräsidenten wegen seinen  flehentlichen Bemühungen müde belächelt, hat die deutsche Bundesregierung mit diesem Akt Erdoğan den Rücken gestärkt.

Doch damit ist es mit der deutschen Unterstützung für Erdoğan noch lange nicht getan. Türkische Agententätigkeit in Deutschland, die Spitzelimame aus den DITIB-Moscheen und die Todeslisten des türkischen Geheimdienstes MIT, auf denen Namen kurdischer Exilpolitiker stehen sollen, sind nur einige der jüngsten Themen, die mehr als Fragezeichen in den Köpfen aufwerfen. Dass Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland auf einer Bespitzelungsliste des MIT auftauchten und deutsche Behörden, nachdem sie diese Liste aus Ankara erhielten, die Betroffenen darüber in Kenntnis setzte, ist bekannt. Aber es gab da noch eine zweite Liste, die vom MIT an ihre deutschen Behörden ausgehändigt worden ist. Auf dieser Liste standen die Namen von kurdischen Aktivisten, die in Deutschland leben und offenbar auch vom MIT bespitzelt worden sind. Doch diese Menschen erhielten im Gegensatz zu den Gülen-Anhängern keine Warnung durch die deutschen Behörden. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Linksfraktion im Bundestag gab die Bundesregierung eine Antwort, die sinngemäß bedeutet: „Sollen die Kurden, die auf den MIT-Listen stehen, doch selber schauen, wie sie klar kommen.“

Hinzu kommt dann noch die Absage des in Niedersachsen geplanten 1. Êzîdisches Kultur-Festivals. Auch wenn formal-technische Begründungen für diese Absage vorgeschoben werden, wirkt das ganze wie eine politische Entscheidung von oben. Denn wir wissen um Erdoğans Phobie vor den Êzîden und ihrer Selbstverwaltung in Şengal. Diese Phobie führte letztlich gar zu Luftangriffen der türkischen Armee auf die Êzîden in Südkurdistan/Nordirak. Dass inmitten des Kampfes um die Anerkennung der Selbstverwaltung der Êzîden in Şengal in Deutschland das êzîdische Kultur-Festival durch eine fadenscheinige Begründung untersagt wird, wirkt –  na ja, sagen wir Mal – doch recht merkwürdig.

Wir können die Auflistung der Unterstützung Erdoğans und der Türkei durch Deutschland im Allgemeinen und durch Frau Merkel im Besonderen immer weiter ausführen, ohne an ein Ende zu gelangen. Der deutsche Staat hat nie davor zurückgeschreckt, zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen die Kurden aufzuopfern.

Vor allem immer wenn der Widerstand der Kurdinnen und Kurden gegen ihre Unterdrücker zunahm, hat Deutschland die unrühmliche Rolle eingenommen, den Unterdrückern unter die Arme zu greifen. So hat Deutschland bereits in den 90er Jahren den schmutzigen Krieg des türkischen Staates in Kurdistan ökonomisch, politisch und militärisch unterstützt. Mit dem Verbot der PKK 1993 nahm diese Unterstützung der Bundesrepublik eine neue Dimension an. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei haben sich –  wenn wir das letzte Jahr vielleicht ausklammern – stetig vertieft. Doch auch in diesem letzten Jahr wurde die Kritik vor allem rhetorisch gehalten. Insbesondere wenn es um die Kurden ging, gab es keine praktischen positiv zu wertenden Schritte. Selbst als Außenminister Gabriel nun zuletzt in Türkei reiste, um den Standort Incirlik zu retten, hatte er eine Akte über die kurdischen Aktivisten in Deutschland mit sich geführt. Es schien, dass der Außenminister für ein Entgegenkommen der Türkei in Sachen Incirlik erneut die Kurden aufopfern wollte. Doch auch die „kurdische Akte“ reichte Ankara nicht und so mussten die deutschen Soldaten ihre Reise in Richtung Jordanien antreten.

Ob die Incirlik-Krise einen Neuanfang in den türkisch-deutschen Beziehungen darstellen wird, werden wir sehen. Doch außer Frage steht, dass eine Politik à la, „ich opfere die Kurden, um meine Beziehungen zur Türkei zu bessern“, nicht mehr zieht. Entweder muss Merkel endlich merken, dass die Zeiten für die Kurden sich geändert haben, oder sie wird langsam aber sicher ebenso wie Erdoğan ihr Gesicht verlieren.

 

Im Original ist die Kolumne am 17.06.2017 unter dem Titel “Almanya’nın anti Kürt politikasında sona doğru” in der Tageszeitung Yeni Özgür politika erschienen.