Der Kovorsitzende des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, Cemil Bayik im Interview mit Ruşen Çakir, 24.08.2014
Im zweiten Teil der Reportage der Tageszeitung Vatan mit dem Kovorsitzenden des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, Cemil Bayik, hat dieser die Angriff des Islamischen Staat IS und die Rolle der internationalen Mächte bewertet.
Es scheint, dass im Irak und in Syrien eine komplett neue Phase mit dem Fall von Mossul begonnen hat. Meinen Beobachtungen zufolge gibt es in der Region zwei aufsteigende Kräfte: Der IS und die PKK. Und diese beiden Kräfte kämpfen momentan gegeneinander. Denke ich richtig?
„Es mag so aussehen, aber hinter dem IS stehen regionale und internationale Mächte. Der IS hätte ohne die Unterstützung dieser Kräfte nicht so kämpfen und sich entwickeln können. Es sieht so aus, als ob wir gegen den IS kämpfen, aber das ist nur oberflächlich betrachtet so. Es gibt andere im Hintergrund: einige regionale Kräfte schicken den IS auf uns.“
Was ist deren Absicht?
„Wir erleben im Mittleren Osten den dritten Weltkrieg. Es hat Interventionen des Systems der kapitalistischen Moderne gegeben, aber diese haben keine Erfolge gebracht – weder in Libyen, Syrien, dem Irak, noch in Ägypten … Die Krise hat sich sogar weiter vertieft, neue Krisen sind entstanden. Das System ist bei der Verwaltung dieser Krise auf verschiedene Wege gegangen. Daraus ist das Erstarken des IS erfolgt. Mit dem IS wird ein Konfessionskrieg gefördert. Das ist ein sehr gefährlicher Krieg, der es schafft, die Geschwisterlichkeit und Einheit unter den Völkern zu zerstören und sie zu Feinden zu machen. Er fördert die Konflikte und Kriege zwischen den Völkern, (…) um sich dann als ihr Befreier feiern zu lassen. So versucht er von neuem seine Kontrolle über den Mittleren Osten auszuweiten.“
Mit der Einnahme von Mossul wurden Kommentare offen, dass die Dreiteilung des Irak nun feststehe. Ist es ihrer Meinung Ziel des Projekts den Irak zu teilen?
„Es geht bei dieser Angelegenheit nicht nur um die Teilung des Iraks. Es geht um Syrien, Iran und den Irak. Wenn die Türkei ihre Haltung nicht ändert, auch um die Türkei. Die Absicht bei der Entwicklung des IS war zu spalten. Man will zudem den Einfluss der Revolution von Rojava einengen. Folgenden Punkt will ich hervorheben: Der IS tut dies alles im Namen des Islams, aber es hat nichts mit dem Islam zu tun. Auch wenn er die Geschichte des Islam und seine Ideologie als Grundlage nimmt (dadurch bekommt er auch einige Unterstützung, besonders aus sunnitischen Kreisen), ist er komplett gegen die Menschlichkeit gerichtet. (…) Im Mittleren Osten sind die islamische Kultur, ihre Traditionen, die demokratischen und gesellschaftlichen Werte sehr stark vertreten. Das was der IS macht, bringt sie zum Nachdenken und zwingt zum Hinterfragen.“
Und schafft Angst.
„Der IS führt den psychologischen Krieg sehr gut. Er erkennt die Kräfteverhältnisse sehr gut und nutzt natürlich die Geschichte, er nimmt die islamische Kultur als Grundlage und gibt sie der Gesellschaft . Hier findet er auch einiges Entgegenkommen. Aber der IS ist im Irak so weit entwickelt und hat seine Grenze erreicht. Weiter entwickeln wird er sich nicht, sein Einfluss wird sich sogar zunehmend verringern.“
Im Süden des Iraks sind die schiitischen, in der Mitte die sunnitischen Araber und im Norden die Kurden. Momentan werden die sunnitischen Araber vom IS gelenkt. Kann das so andauern? Kann ein mit IS-Mentalität aufgebaut sunnitischer Staat mit den Kurden oder den schiitischen Araber leben?
„Ich denke nicht. Der IS wird vielleicht noch eine Zeit benutzt werden, denn das, was mit ihm bezweckt werden soll, ist noch nicht erreicht. Wenn dies geschafft ist, denk ich, wird der IS zunehmend an Einfluss verlieren. Doch das wird nicht einfach werden. (…)
Im Kampf der Kurden gegen den IS herrscht Waffenungleichheit. Vom Westen wird von Waffenhilfe an die Kurden geredet. Sie sind ein Teil dieses Krieges.
„Eigentlich gibt man denjenigen Waffen die kämpfen. Wer kämpft gegen den IS? Es gibt auch andere die kämpfen, das verneine ich nicht, aber unsere Bewegung trägt die Hauptlast. Wenn man Waffen liefern will, dann muss man Waffen denen geben, die kämpfen. Das wäre das richtige. Kräften, die nicht kämpfen, sondern weglaufen Waffen zu liefern, ist gleichbedeutend mit Waffenlieferungen an den IS. Ich möchte einen sehr wichtigen Punkt ansprechen: Es gibt keine größere Kraft als den Menschen. Die größte Waffe ist der Mensch selbst. Diejenigen, die den Menschen gewinnen, haben gewonnen. Die Waffen waren in der Hand der irakischen Armee in Mossul, aber sie haben nicht gekämpft. Sie haben alle Waffen dort gelassen. Das heißt, das Bestimmende ist der Mensch selbst. Und der Mensch existiert durch seinen Glauben, seine Ziele und sein Denken. Wenn das Ziel, der Glaube und das Denken solcher Menschen oder Bewegungen stark sind, können sie auch die stärkste Technik besiegen. Es gibt praktische Beispiele dafür. Die YPG und die HPG kämpfen gegen den IS, aber weder die YPG noch die HPG haben Waffen wie der IS in den Händen, aber sie können gegen den IS Widerstand leisten.
Die Haltung des Süden (Kurdischen Autonomieregion im Irak), sie hätten nicht genügend Waffen, und ohne Waffen zu bekommen, könnten sie nicht gegen den IS kämpfen, ist nicht richtig. (…). So viele Waffen wie der IS hat, hat ebenfalls der Süden, und sie haben sogar das gleiche Niveau an Waffen. Doch der IS kämpft und sie kämpfen nicht. Dies aus Sicht von Technik zu betrachten, ist falsch. Der IS ist eine ideologische Kraft und hinter ihr stehen internationale und regionale Kräfte die sie weiter unterstützen.“
Vatan Gazetesi, 24.08.2014, ISKU