Merkel: Einmal mehr die Überlebensversicherung von Erdoğan

Journalistin Ayşegül Karakülhancı Duman über das deutsch-türkischen Verhältnis, 01.09.2018

Anfang des Jahres 2017 war Deutschland während der Zeit des Verfassungsreferendums eines der Länder, das von der Türkei zum Feind erklärt wurde. Zur Zeit des Referendums erlaubte Deutschland dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan und den AKP-Ministern keine Wahlpropaganda. Dies verärgerte die AKP und Erdoğan so sehr, dass sie Deutschland der Nutzung von Nazi-Methoden beschuldigten. Die Beziehungen mit Berlin standen an Messer Schneide. Seitdem hat sich Vieles in den Beziehungen beider Länder verändert. So viel, dass Deutschland angesichts des Wirtschaftsstreits zwischen dem US-Präsidenten Trump und Erdoğan, der sich um die Freilassung des US-Priesters Andres Brunson dreht und zu einem deutlichen Wertverlust der türkischen Lira geführt hat, an die Seite der Türkei gerückt ist und weiterhin an ihrer Seite steht.

Durch Trump haben sich Deutschland und die Türkei einander weiter angenähert. Denn der nahende Zusammenbruch der türkischen Wirtschaft würde ein ernsthaftes Problem für Deutschland darstellen, das keine weitere Zuspitzung der türkischen Wirtschaftskrise möchte. Deutschland ist zudem immer noch mit dem geltenden Flüchtlingsabkommen zufrieden, dass jegliche Menschenrechte und Würde außer Acht lässt. Daneben bedeutet ein Zusammenbruch der türkischen Wirtschaft eine neue und große Flüchtlingswelle aus der Türkei. Denn es leben drei Millionen aus der Türkei stammende Menschen in Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass die Instabilität der Türkei direkte Auswirkungen auf die europäische und vor allem deutsche Wirtschaft hat. Im Falle von Hilfen für die Türkei wird die zentrale Rolle Deutschlands offensichtlich. Doch es wird dann kompliziert, wenn diese Unterstützung öffentlich gemacht werden soll. Fraglich bleibt, ob dafür die Unterstützung der eigenen Bürger gewonnen werden kann.

Man wird sich in Deutschland nicht leicht damit abfinden, dass ein Präsident wie Erdoğan finanziell mit eigenen Steuergeldern unterstützt wird, der immer wieder mit Nazi-Beschimpfungen um sich wirft, deutsche Staatsbürger als Geisel nimmt und seine autokratische Regierung ausbaut! Selbst die Äußerung von SPD-Chefin Andrea Nahles über deutsche Hilfen für die wirtschaftlich angeschlagene Türkei sind auf harte Reaktionen gestoßen. Doch die Regierungskreise in Berlin sind der Ansicht, dass eine Unterstützung für die Türkei im schlimmsten Falle nicht falsch sei. Bislang wird dies nicht offen formuliert. Die deutsche Bundeskanzlerin erläuterte mit folgenden Worten das Interesse Deutschlands an einer wirtschaftlich prosperierenden Türkei: „Es muss natürlich auch alles getan werden, damit zum Beispiel auch eine unabhängige Notenbank arbeiten kann und ähnliches. Wir werden ja in nächster Zeit Gelegenheit haben auch mit dem türkischen Präsidenten über diese Fragen zu sprechen. Wir profitieren davon, wenn es ein stabiles Umfeld gibt, ein stabiles wirtschaftliches Umfeld auch um die Europäische Union herum. Dazu müssen die entsprechenden Beiträge geleistet werden. Deutschland jedenfalls möchte eine wirtschaftlich prosperierende Türkei, das ist auch in unserem Interesse.“ Angesichts der Strafzölle der US-Regierung auf Waren aus China und der Türkei hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor dramatischen Folgen für die Weltwirtschaft gewarnt: „Dieser Handelskrieg verlangsamt und zerstört Wirtschaftswachstum und produziert neue Unsicherheiten“. Der türkische Finanzminister Berat Albayrak bedankte sich für diese Worte Altmaiers. Nahezu jeder Regierungsvertreter in Berlin macht auf die Bedeutung einer starken, stabilen Türkei aufmerksam, die aus eigener Kraft diese Krise überwinden soll. Diese Äußerungen aus Deutschland haben sich, wenn auch nur wenig, positiv auf die Märkte in der Türkei ausgewirkt. Ankara betont immer wieder, dass im Falle eines Chaos‘ in der Türkei dies zuallererst die EU treffen werde. Selbst die symbolische Unterstützung Deutschlands entlastet Erdoğan.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hat Berat Albayrak für den 21. September nach Berlin eingeladen. Der DPA zufolge wird der deutsche Außenminister Heiko Maas Anfang September in die Türkei fahren und voraussichtlich Mevlüt Çavuşoğlu, den Parlamentspräsident der Großen Nationalversammlung der Türkei Başkanı Binali Yıldırım und Erdoğan treffen. Am 28. September kommt der türkische Staatspräsident nach Deutschland. Am 29. September wird er Angela Merkel treffen. Ende Oktober wird der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit einer Delegation Istanbul besuchen.

Die Hilfe von Merkel und der deutschen Bundesregierung für das neue Regime Erdoğans in der Türkei wird aufgrund von harten Reaktionen aus der deutschen Öffentlichkeit und den EU-Ländern nicht leicht sein. An diesem Punkt werden im Falle von Hilfeleistungen an die Türkei anstatt Erdoğan mehr die populistische und feindliche Außenpolitik von Trump und die von ihm neu erlassenen hohen Zölle auf EU-Produkte hervorgehoben werden. Natürlich wird all dies davon beeinflusst werden, in welchem Umfang die Türkei bei den Gesprächen im September und Oktober die von Deutschland geforderten Zugeständnisse akzeptiert. Zudem wird der deutsche Außenminister Maas bei seinem Besuch im September am 150. Jubiläum der deutschen Schule in Istanbul teilnehmen. Die Türkei hatte Ende Juni die deutsche Schule in Izmir grundlos für ein paar Wochen geschlossen. Dies wäre fast der Grund für eine neue Krise zwischen beiden Ländern geworden. Die Türkei möchte auch in den deutschen Schulen ihren eigenen Lehrplan durchsetzten. Aus diesem Grund möchte Deutschland eine neue Bildungsvereinbarung mit der Türkei abschließen. Dies wird eines der wichtigsten Themen der Agenda von Maas sein.

Die finanzielle Unterstützung Deutschlands für die Türkei ist nicht leicht, aber dennoch möglich. Nur im Falle strikter Sanktionen könnte Hilfe geleistet werden. Scholz wird versuchen Berat Albayrak davon zu überzeugen beim IMF Hilfe anzufordern. Allerdings würde dies bedeuten, dass die von Erdoğan seit Jahren unaufhörlich betriebene Propaganda, man habe sich von den Schulden des IMF und dem Einfluss des Westens auf die türkische Wirtschaft in seiner Regierungszeit befreit, ihre Wirkung verlieren würde. Wenn Erdoğan sich an den IMF wendet, wird er genau in dieselbe Position wie seine Amtsvorgänger geraten. Und dies würde für Erdoğan bedeuten die Niederlage zu akzeptieren.

Deutschland sucht auch nach anderen Wegen die Türkei zu unterstützen. Einer davon ist, die Investoren in der Türkei zu unterstützen. Insbesondere der Tourismussektor scheint dafür ein geeigneter Bereich zu sein. Zum Beispiel hat Deutschland im Sommer 2017 die Begrenzung der Staatsgarantien für Exporte in die Türkei aufgehoben. Darüber hinaus wurde die Reisewarnung vom Außenministerium für die Türkei aufgehoben. In der Zukunft könnte sich die türkische Regierung vielleicht auch nicht mehr gegen die Erneuerung und Erweiterung der Zollunion zwischen Deutschland, der Türkei und der EU stellen, wenn sie die von Deutschland gewollten Zugeständnissen akzeptieren sollte. Die Ausreisegenehmigung für Meşale Tolu wird als erster Schritt der Türkei interpretiert. Erdoğan versucht sich als Pragmatiker gegen Trump mit seinen westlichen und asiatischen Verbündeten zu positionieren. Deutschland hingegen beharrt auf der Position, dass die eigenen Pläne im Mittleren Osten ohne die Türkei nicht umzusetzen sind. In diesem Kontext muss auch der jüngste Besuch von Merkel in Aserbaidschan erwähnt werden. Während Europa versucht gemeinsam gegenüber Trump eine Haltung einzunehmen, plant Erdoğan neben dem wirtschaftlichen Wachstum ein starkes Abschneiden bei den Kommunalwahlen im Jahr 2019. Der September und Oktober sind die Monate, in denen sich für die türkisch-deutschen Beziehungen und die türkische Wirtschaft bedeutende Entwicklungen ereignen werden. Bislang versucht Erdoğan in der Wirtschaft die psychologische Überlegenheit zu bewahren und es scheint so, als würde er die erhoffte Unterstützung erhalten.

Im Original erschien der Artikel am 27.08.2018 unter dem Titel “Merkel bir kez daha Erdoğan’ın can yeleği” auf der Homepage des Nachrichtenportals Gazete Duvar.