Bombenanschläge auf Friedenskundgebung in Ankara: Zahl der Todesopfer steigt auf 128(aktualisiert VIII)

Ankara_BombenanschlagCivaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 10.10.2015

Bei einer Friedenskundgebung vor dem Bahnhof von Ankara sind am heutigen Morgen mehrere Bomben explodiert. Die Zahl der Todesopfer bei dem Bombenanschlag ist auf 128 gestiegen.  Hinzu kommen hunderte Verletzte, von denen sich viele weiterhin in lebenskritischem Zustand befinden. Kurz nach den Bombenexplosionen seien Mediziner und Zivilisten, die den Verletzten zur Hilfe eilen wollten, durch die türkische Polizei mit Gasgranaten angegriffen worden. In den Krankenhäusern, in denen die Verletzten behandelt werden, herrschten zeitweise chaotische Zustände. Die Bevölkerung von Ankara wird dringend immer wieder zu Blutspenden aufgerufen, da es an Blutreserven für die Behandlung der Verletzten fehle.

Zu der Friedenskundgebung hatten die Gewerkschaften DISK (Konföderation der Revolutionären ArbeiterInnen-Gewerkschaft) und KESK (Konföderation der Gewerkschaften der ArbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes), sowie die Berufsverbände TMMOB (Ingenieurs- und Architektenkammer der Türkei) und TTB (Ärztekammer der Türkei) aufgerufen. Dem Aufruf waren neben der Demokratischen Partei der Völker (HDP) auch zahlreiche linke und demokratische Parteien und Organisationen aus der Türkei gefolgt. Laut Angaben des HDP Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder ereigneten sich insgesamt drei Bombenexplosionen auf der Kundgebung, die allesamt im Menschenblock der HDP hochgingen.

Waffenruhe durch die KCK ausgerufen

Der Kovorsitzende des Kongra-Gel (Volkskongress Kurdistans), Remzi Kartal, hatte am 09. Oktober in einem Interview mit dem Fernsehsender Med Nuçe TV erklärt, dass der KCK am Sonntag eine vorübergehende Waffenruhe erklären werde. „Mit der Waffenruhe sollen die demokratischen Kräfte gestärkt werden. Alle, die eine Waffenruhe fordern, müssen nun diesen Prozess unterstützen”, so Kartal.  Dass der Bombenanschlag sich nun einen Tag vor der erwarteten Ankündigung einer Waffenruhe ereignete, wird von vielen Kreisen als ein direkter Angriff auf die Bestrebungen für ein Ende der Auseinandersetzungen gewertet.

Wie von Kartal angekündigt erklärte der Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) dann bereits kurz nach dem Anschlag mit folgenden Worten die Waffenruhe: “Solange keine Angriffe auf unser Volk und auf unsere Guerilla stattfinden, haben wir beschlossen einen einseitigen Waffenstillstand auszurufen.  Unsere Guerillakräfte werden in dieser Phase  keine gezielten Angriffe machen, um freie und gerechte Wahlen zu ermöglichen.“ Der KCK-Exekutivrat erklärte, dass er mit dieser Entscheidung den Aufrufen verschiedener Kreise für eine Waffenruhe Folge leiste.

„Wir haben es mit einem massenmordenden Staatsverständnis zu tun“

Der HDP-Kovorsitzende Selahattin Demirtaş macht die Regierung für den Bombenanschlag mitverantwortlich. In einer ersten Presseerklärung in Istanbul ruft Demirtaş die Menschen dazu auf, nach Ankara zu blicken. „Dort liegen die Leichname der Opfer noch am Boden, es wird versucht, die Verletzten in Krankenhäuser zu transportieren. Und mitten in dieser Atmosphäre beschießt die Polizei die Menschenmenge mit Gasgranaten, die Krankenwagen werden nicht zum Tatort vorgelassen. Mitten in Ankara findet ein Massaker statt, aber zum Ort des Geschehens werden keine Krankenwagen vorgelassen, sondern Polizeikräfte. Anscheinend soll dort bewusst die Zahl der Todesopfer in die Höhe getrieben werden. Nun wird der Staatspräsident in die Öffentlichkeit treten, in unsere Augen schauen und alle Seiten zur Zurückhaltung aufrufen, während gleichzeitig die Polizeikräfte, die unter seinem Befehl stehen, die Verletzten am Tatort mit Gasgranaten beschießen“, so  Demirtaş. Der HDP- Kovorsitzende spricht davon, dass man es „mit einem mafiosen, mörderischen und massenmordenden Staatsverständnis“ zu tun habe.

Hat die Polizei vor den Explosionen die Kundgebung verlassen?

Ein Teilnehmer der Kundgebung berichtet der Nachrichtenagentur Dicle, dass ca. 15 Minuten vor der ersten Explosion Polizisten den Kundgebungsort verlassen hätten. Demnach hätten sie ihr gepanzerten Fahrzeuge verlassen, hätte diese mit offenen Türen zurückgelassen und seien verschwunden.

Berichterstattungsverbot verhängt

Auf Befehl des türkischen Ministerpräsidentenamtes wurde durch die staatliche Rundfunkanstalt RTÜK ein Berichterstattungsverbot über das Bombenattentat verhängt. Somit darf auf unbestimmte Zeit vom Tatort aus keine Liveberichterstattung mehr stattfinden. Zugleich hat der türkische Ministerpräsident aufgrund des Bombenanschlags eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.

Angriffe der Polizei auf Protestaktionen aufgrund des Massakers in Ankara

Die spontanen Protesten in Wan (Van) und Elîh (Batman) wegen des Massakers in Ankara  wurden von der türkischen Polizei angegriffen. In Wan wurden mindestens sechs Menschen festgenommen. Derzeit kommt es überall in der Stadt zu Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei. Auch in Elîh wurde eine Demonstration von der Polizei mit Wasserwerfern und Gasgranaten angegriffen. Mindestens vier TeilnehmerInnen des Protests wurden festgenommen.