Erklärung und Forderungen der Eziden anlässlich des Jahrestags des Genozids von Şengal

FKEVorstand der Föderation der Êzîdischen Vereine e.V., 03. August 2015

Die Glaubensgemeinschaft der Eziden gehört zu den ältesten noch bestehenden Religionsgemeinschaften der Welt. Die Majorität dieser Gemeinschaft lebt – bedauerlicherweise gegenwärtig in der Vergangenheitsform, „lebte“ – im Sindschar-Gebiet. Über Jahrhunderte hinweg erlebten die Eziden Verfolgung, Unterdrückung, Zwangskonvertierung, Verleumdung und unzählige Genozide. Seit der Staatsgründung des Iraks – im Zuge der territorialen Verschiebungen nach dem 1. Weltkrieg – bis heute, hat man es versäumt der Stimme der Eziden Gehör zu verleihen. So wurde der Status der Eziden als Religionsgemeinschaft bisher nicht anerkannt; weder durch den Irak, noch durch die ‘Vereinten Nationen’. Ein Versäumnis das bittere Konsequenzen nach sich zog und zieht.

Durch den Islamischen Staat (IS) wurde die ezidische Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Mord, Vergewaltigung, Enthauptung, Verschleppung von Frauen und Kindern, Sklaverei, Zwangskonvertierung und Zwangsverheiratung, sowie eine Massenflucht von Hunderttausenden von Eziden aus ihrer Heimat, sind einige der Widerwärtigkeiten, die die Barbarei des IS über die Eziden brachte. Ein Genozid im 21. Jahrhundert mit solch einer Brutalität, sollte der Weltgemeinschaft mehr als nur ein einfacher ‘Fingerzeig’ sein! Es müssen nun Taten folgen, die dass (Über-)Leben der Eziden nicht nur gewährleisten, sondern ihnen ermöglicht ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten!

Nach dem Beginn des Angriffs der IS auf die ezidische Gemeinschaft am 3. August 2014, und der Flucht der stationierten Peschmerga-Truppen, war die Zivilbevölkerung Mord, Barbarei und Gräueltaten des IS ausgesetzt. Monatelang war das Sindschar-Gebiet/Şengal-Gebiet unpassierbar. Nur durch den furchtlosen Einsatz der ‘Volksverteidigungseinheiten’ der YPG, konnte man zehntausenden Eziden (und andere Minoritäten) die Flucht vor den Horden der IS ermöglichen. Unterstützt wurden sie dabei durch die neugegründete ezidische ‘Widerstandseinheit Şengal’ YBŞ. Gemeinsam vermochten sie erste Erfolge zu erzielen bei der Befreiung des Sindschar-Gebiets/Şengal-Gebiets.

Die brachiale Gewalt und Brutalität, gipfelnd in Genozid und Vertreibung, welche den Eziden widerfuhr, ist das Resultat einer gänzlich fehlgeleiteten Politik im gesamten Irak. Diese Unterdrückung und Ignoranz, offenbart sich in der völligen Verleumdung der ezidischen Glaubensgemeinschaft. Durch die nicht vorhandene Anerkennung der ezidischen Glaubensgemeinschaft (weder auf nationaler, noch auf internationaler Ebene), ist für die Eziden keine Grundlage gegeben, über ihr eigenes Schicksal mitzubestimmen.

Am 14.Januar 2015 hielten zweihundert ezidische Delegierte im Sindschar-Gebirge/Şengal-Gebirge eine Versammlung ab, und gründeten einen ‘Rat zur Selbstverwaltung’. Dies soll dem neuen ezidischen Selbstverständnis Ausdruck verleihen, das man das eigene Schicksal und die Zukunft nicht in ‘fremde’ Hände geben will. Denn die Vergangenheit hat mit schmerzlicher Klarheit gezeigt, dass man nicht auf die Rechtschaffenheit und Solidarität ‘fremder’ Regenten vertrauen sollte. Hier zu erwähnen sei, das die Regierung der ‘kurdischen Regionalautonomie’ diesen Prozess der Eziden mit allen Mitteln zu verhindern sucht, indem sie z.B. Eziden festnimmt, die einen solchen Prozess verwirklichen wollen. Die neue Selbstverwaltung ist eine repräsentative und zeitliche Körperschaft, die von den Delegierten geschaffen wurde. Eine permanente Selbstverwaltung mit der Unterstützung (und Beobachtung) der EU und USA ist ein gemeinsames Ziel der Körperschaft. Die Kooperation mit dem Irak und der ‘KRG’ (Kurdistan Regional Government) wird ebenfalls in diesem Prozess angestrebt, jedoch unter der Prämisse der Gleichberechtigung.

Im Einklang mit der Europäischen Union, welche die Forderung der Rechte und den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten im Irak und Syrien zum Ausdruck brachte, fordern wir die Unterstützung, um diese Rechte zu erlangen und zu verteidigen.

 

Aus diesen Gründen fordern wir:

  • Die internationale Anerkennung der Eziden als eigenständige und unabhängige Glaubensgemeinschaft, im Einklang mit den Beschlüssen des EU-Parlaments vom 12. März 2015.
  • Die Selbstverwaltung der Eziden (im Rahmen der bestehenden Grenzen) soll durch die EU, USA und die UN anerkannt, und deren demokratische Bestrebungen unterstützt werden.
  • Die Unterstützung Şengals sowie aller Regionen der Êzîden und Christen auf allen Ebenen, zur Prävention weiterer Massakers
  • Die Klassifizierung und Einstufung der Massaker und Gräueltaten vom 03.08.2014 (und der folgenden Zeit) als Genozid, durch die verantwortlichen Institutionen der UN.
  • Anerkennung des 3. August als internationalen Tag des Völkermords an den Eziden.
  • Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe durch die EU und UN, in Zusammenarbeiten mit den ezidische Organisationen.
  • Die ezidische ‘Widerstandseinheit Şengal’ (YBŞ), welche den Schutz und zur Verteidigung der Eziden im Sindschar/Şengal gewährleistet, soll als solche anerkannt, und deren Ausrüstung und Ausbildung zur weiteren Bekämpfung des IS gefördert werden.
  • Ein konsequentes und gemeinsames Handeln gegen die Terrormiliz IS (Islamischer Staat)
  • Internationale Fonds und politische Unterstützung beim Wiederaufbau des Sindschar-Gebiets/Şengal-Gebiets sowie die Errichtung eines Hilfskorridors, um den dort erforderlichen Wiederaufbau zu ermöglichen
  • Eine friedliche und diplomatische Einigung mit der KRG (Kurdistan Regional Government) mit Hilfe der EU.