Frieden im Nahen Osten erfordert eine Neubewertung der PKK

civaka azadBewertung des Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 26.November 2015

Die PKK ist in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 26. November 1993 verboten. Das Verbot wurde zwar juristisch umrahmt, doch aufgrund politischer Interessen verhängt. Ziel war es, eine kurdische Bewegung, die mit Beginn der 1990er Jahre zu einer Massenbewegung geworden war, zu stoppen. Parallel dazu gelang es der PKK, die „kurdische Frage“ international zur Debatte zu stellen. Die kurdische Frage als Produkt der internationalen Kolonialpolitik im Nahen Osten sollte präventiv wirken, damit sich die KurdInnen in keine Angelegenheiten der großen Mächte einmischten, und sie sollte je nach Interessenlage der Großen als permanentes Stabilisierungsinstrument fungieren.

Heute nach 22 Jahren ist klar und deutlich, dass weder die Verbotspolitik noch die Kriminalisierung der PKK die enormen politischen und sozialen Veränderungen in Kurdistan aufhalten konnten. Um in Kurdistan Politik zu machen, bedarf es des direkten oder indirekten Kontakts mit der PKK. Die Lösung der kurdischen Frage hat sich zum Schlüssel für die Demokratisierung der EU- und bundesdeutschen Bündnispartner Türkei, Iran, Irak und Syrien entwickelt.

Der Nahe Osten steht vor einem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch. Die einst nach dem modernen nationalstaatlichen Modell entwickelten Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien sind im Zerfall begriffen. Das ist für die Völker wie für die westlichen Architekten der Nationalstaaten eine historische Überforderung, aber auch eine Herausforderung. Deutschland steht ebenso vor einer neuen Herausforderung, da es ebenfalls eine politische, wirtschaftliche und militärische Öffnung in der Region anstrebt. Neben Irak hat die Türkei einen wichtigen Stellenwert für Berlins Außenpolitik. Irak, als föderaler Staat, steckt im Chaos, und die Türkei ist mit der AKP-Regierung immer eigensinniger geworden und verfolgt im Alleingang eine Interessenspolitik ohne bilaterale Einbeziehung ihrer Bündnispartner. Denn sie leidet unter der Paranoia, dass die KurdInenn wie in Irak auch in Nordsyrien eine Autonomie ausrufen könnten, was sich dann ebenso in der Türkei widerzuspiegeln droht. Zum anderen hatte sie geglaubt, ihre neoosmanische Expansion verfolgen zu können. Diese Haltung führte zu enormen Schwierigkeiten vor allem mit Deutschland, da das deutsch-türkische Bündnis eine lange Tradition hat. Berlin ist gefordert, in seiner Türkeipolitik auch die KurdInnen zu berücksichtigen, da Ankaras Stabilität von der kurdischen Politik abhängig ist. Daher stellt das PKK-Verbot eine Hürde dar, die einer neuen Bewertung bedarf.

Spätestens seit dem Zusammenbruch des Status quo der Region und der verschiedenen Regime wie des Baath- und des Assad-Regimes, des kemalistischen Systems und jetzt der AKP-Regierung in der Türkei kann der Widerstand der KurdInnen nicht mehr als Terrorismus abgestempelt werden.

Alle Staaten, ob sie politisch pro oder kontra zu den vier Schlüsselstaaten Türkei, Iran, Irak und Syrien stehen, sind heute von der PKK herausgefordert, die Rechte der KurdInnen zu berücksichtigen. Denn diese sitzen an den strategisch wichtigen Grenzen dieser Staaten. Ferner stellt Kurdistan eine unübersehbar wichtige Route für die Energiepolitik dar. Ob für Erdgas aus dem Osten oder Erdöl aus Irak und Syrien, die Routen verlaufen über kurdisches Gebiet. Nicht zu vergessen, dass Kurdistan auch über enorme Wasserreserven wie die Flüsse Euphrat und Tigris verfügt.

Ohne Partizipation der KurdInenn ist keine Außenpolitik möglich

Die westlichen Staaten müssen heute mit ihren einst wichtigsten Verbündeten verhandeln, die als stabil erachtet wurden, indem die Augen vor ihrer Repressionspolitik zugedrückt wurden. Fast ein Jahrhundert lang sind die KurdInnen mit Wissen und Unterstützung des Westens einer Unterdrückungs- und Assimilationspolitik ausgesetzt worden, die immer wieder auch einem physischen und kulturellen Genozid nahekam.

Trotz der Grenzen, die Kurdistan teilen, verfügen die KurdInnen heute über eine eigene moderne Kommunikation, was den nationalen Austausch ermöglicht.

Entsprechend der Tatsache, dass militärische Verteidigung im Nahen Osten zu einer vitalen Existenzgrundlage gehört, hat es die PKK geschafft, in allen Teilen Kurdistans ein ausgedehntes Verteidigungswesen aufzubauen. Ohne ein solches wäre es nicht möglich gewesen, den IS in Syrien wie in Irak zu schwächen.

Die PKK behindert auch die AKP-Regierung dabei, ihre expansionistischen Ziele im Stellvertreterkrieg mithilfe von IS und Al-Nusra etc. zu erreichen. Wegen der Verfolgung eigener Machtinteressen wirkt die gegenwärtige türkische Regierung destabilisierend und verschärft die Konflikte durch ihre Eskalation. Die AKP-Politik hat ein Maß erreicht, das gegenwärtig vor allem für europäische Staaten ein Problem darstellt. Kaum wagt eines der EU-Länder, die Türkei für ihre aggressive Lösung zu kritisieren, so wird über das Flüchtlingsproblem mit Erpressung reagiert.

Diese Wahrheit hat sich mittlerweile auch bei den Regierungen in Europa und den USA durchgesetzt.

Die Überzeugung von der Einheit der Vielfalt, die die PKK als Grundlage für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten sieht, findet im Völkermosaik der Region große Zustimmung. Die praktischen Ansätze im Sinne dieser Überzeugung in der Form gemeinsamer Verwaltungsstrukturen haben in Rojava den Mut und den Glauben der christlichen Assyrer, Armenier, Turkmenen, Tschetschenen, Araber gestärkt und damit zu einer alternativen Lösung beigetragen. In der Türkei führte das zum HDP-Erfolg bei den Parlamentswahlen am 7. Juni. Hilfe zur Selbsthilfe war die wichtigste Devise für das gemeinsame und freiwillige Zusammenleben der Volksgruppen. Nunmehr sind alle vom IS gefährdeten Glaubensgemeinschaften wie kurdische Êzîdi, Kaka‘i und Alawiten sowie christliche Chaldäer, Armenier, turkmenische und arabische Schiiten sowie Mandäer in der Lage, eigene autonome Strukturen zur Existenzsicherung aufzubauen.

 

Frauenkampf demokratisiert die Gesellschaft

Während die Region erfasst ist von Kriegen, deren Ursachen in Polarisierung, Nationalismus, Chauvinismus, Sexismus liegen, verfolgen die KurdInnen eine emanzipatorische Strategie und Politik des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen sowie der Geschlechterbefreiung.

Es ist auch die feste Überzeugung der PKK, dass eine gesellschaftliche Befreiung nur über die Freiheit der Frauen erreicht werden kann, die das patriarchal geprägte Bild des Nahen Ostens mit aktiven und selbstbewussten kurdischen Frauen in allen Lebensbereichen erneuert hat. In einer Region, in der das Existenzrecht für Frauen keine Wertschätzung findet, breitet sich der Frühling der Frauen in Kurdistan aus und wirkt bei Frauen in den Nachbarländern wie eine Kettenreaktion. Als Kontrast zum schwarzen Tschador, in dem die Frauen gefangen gehalten werden, spricht das Bild in Kurdistan von einem revolutionären sozialen Wandel.

Einsicht in die neue Realität erforderlich

Angesichts der historischen Veränderungen in Kurdistan ist heute die Einsicht in diese neue Realität erforderlich. Demokratie in der Türkei, Iran, Irak und Syrien ist jetzt mit der Akzeptanz der kurdischen Lösungsvorschläge weitaus realistischer. Allen voran die PKK wie auch andere kurdische Kräfte bekräftigen, dass das Selbstbestimmungsrecht innerhalb der bestehenden Grenzen umsetzbar ist.

Zum anderen gibt es das explizite Beharren der PKK darauf, die kurdische Frage mit politischen Mitteln zu lösen. Nicht zuletzt erklärten Abdullah Öcalan und die PKK seit 1993 in der Türkei (meist einseitige) Waffenstillstände. Ferner hat sich Abdullah Öcalan trotz der inhumanen Haftbedingungen bemüht, in den letzten drei Jahren einen Verhandlungsprozess zu erreichen, um die kurdische Frage im türkischen Parlament zu thematisieren. Die AKP hat mit der Bombardierung der PKK-Standorte in Irakisch-Kurdistan am 24. Juli all seine Anstrengungen, die von zahlreichen Kompromissen der PKK begleitet wurden, beendet und erneut auf militärische Gewalt gesetzt. Der von der AKP erklärte Krieg dauert immer noch an. Nicht nur in der Türkei, die AKP führt mithilfe des IS heute auch einen Stellvertreterkrieg in den kurdischen Gebieten in Syrien. Im Klartext heißt das, die Behauptung Berlins, die PKK würde auf Gewalt setzen, bewahrheitet sich nicht. Letzten Endes war es die PKK, die auf den Aufruf aus Brüssel und Berlin zur Waffenruhe reagiert und diese einseitig ausgerufen und befolgt hat, während die deutschen Bemühungen, die AKP-Gewalt zu beenden, äußerst schwach ausgefallen sind.

Es ist nunmehr also zynisch, dass die Bundesregierung noch immer auf dem PKK-Verbot beharrt. Genauso wie dieses Verbot die PKK nicht daran gehindert hat, eine Massenbewegung ins Leben zu rufen, wird seine Aufrechterhaltung in dieser kritischen Zeit auch keinen Erfolg haben, die PKK damit zu zügeln oder unter Druck zu setzen. Die seit einem Jahr erhöhte Frequenz von Festnahmen kurdischer Politiker in Deutschland wird weder die PKK-nahe kurdische Diaspora in Deutschland noch die PKK-Politik im Nahen Osten beeinträchtigen können. Es wird Berlin schwerfallen, seine Anti-PKK-Politik im eigenen Land erklären zu können. Vor allem ist die Aufrechterhaltung des Verbots heute viel schwieriger, da dessen eigentliche politische Absichten ans Tageslicht kommen werden und die deutsche Öffentlichkeit diese Janusköpfigkeit hinterfragt. Vor allem auch deshalb, weil es die PKK und ihr nahestehende Kräfte sind, die den eigentlichen Kampf gegen den IS führen und eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft der Toleranz und Demokratie aufbauen.

Als Signal zur Förderung des Friedens in Kurdistan ist die Aufhebung des PKK-Verbots wichtig. Auch vor dem Hintergrund, einen Akzent für die AKP-Regierung zu setzen. Ebenso ist hierbei die Freilassung der inhaftierten Acht kurdischen Politiker wie Ahmet Çelik, Bedrettin Kavak u.a. erforderlich. Sowohl Celik als auch Kavak sind bekannte politische Aktivisten, die mit ihrem Engagement für den Frieden bekannt sind.