Geständnis eines IS-lers: Die Türkei hat die Angriffe geplant

islerInterview von Seyit Evran mit einem gefangen genommenen IS-Kämpfer, Nachrichtenagentur Firat (ANF), 09.03.2016

Inzwischen gibt es klare Hinweise darauf, dass die Angriffe auf Girê Spî (die auf arabisch Tall Abyad genannte Stadt in Nordsyrien/Rojava direkt an der Grenze zur Türkei; Anm. d.Übersetzers) und Siluk von Seiten der Türkei geplant worden sind. Ahmet Haci Layih, der sich vor zwei Jahren dem IS angeschlossen hatte und jetzt von der YPG gefangen genommen wurde, hat ausgesagt, dass er für den Angriff von türkischen Sicherheitskräften aus Jarabulus geholt und dann vom türkischen Geheimdienst MIT ins Gebiet von Girê Spî und Siluk geschleust wurde. Nach Layih’s Aussagen war geplant, dass von den eingeschleusten IS-Gruppen einige von Osten, Süden und Westen Girê Spî angreifen sollten, während gleichzeitig mit dem Ziel einer Besetzung türkische Soldaten von Norden in die Stadt vorrücken sollten.

Auf Girê Spî und die Kreisstadt Siluk hatte am Morgen des 27. Februar (also nach dem Beginn des derzeitigen Waffenstillstands; Anm. d. Übersetzers) ein Großangriff begonnen. Der Angriff der IS-Banden führte zu heftigen Kämpfen an 25 verschiedenen Orten, die ungefähr zwei Tage andauerten. Dabei wurden viele IS-ler getötet einige fielen der YPG aber auch lebend in die Hände. Einer der überlebenden IS-ler ist Ahmet Haci Layih, oder mit seinem IS-Kodenamen Ebu Eyyüp Ensar. Layih, fiel der YPG am 1. März lebend in die Hände und hat danach wichtige Aussagen gemacht.

‘Wir wurden von türkischen Sicherheitskräften geholt…’

Lahiy stammt aus dem Dorf Mixtelta im Kreis Siluk und hat sich vor ungefähr zwei Jahren dem IS angeschlossen. Er hat ausgesagt, dass er während der früheren Angriffe auf Kobanê in Çelebiyê’ gekämpft hat. Daneben hat er in Tabka und Hedle gekämpft und er hat angegeben sich zuletzt in Jarabulus aufgehalten zu haben. Lahiy hat ausgesagt eine Weile in Jarabulus gewesen zu sein und von dort drei Tage vor dem Angriff durch türkische Spezialkräfte in die Türkei gebracht worden zu sein. Layih erklärte:

“Es gibt IS-Einheiten, die in dauerndem Kontakt mit dem türkischen Geheimdienst stehen. Darin gibt es einen, der Ömer Timsah heißt. Von dort haben wir die Nachricht erhalten, man würde dafür sorgen wird, dass wir über die Türkei nach Girê Spî und Siluk passieren können. Kurz darauf haben uns türkische Sicherheitskräfte aus Jarabulus in die Türkei gebracht. Das geschah nicht offen, sondern sie haben uns im Geheimen herüber geschleust. Von dort hat uns eine streng geheime Spezialeinheit unter Vermittlung des MIT nach Girê Spî und Siluk gebracht. Beim Passieren der Grenze haben unser Kommandant Xalit Taci und der Geheimdienstler Ömer Timsah uns gewarnt: ‘Wenn euch irgendwas passiert benachrichtigt uns. Wenn es Verletzte gibt, benachrichtigt uns, wir schicken dann jemand, der euch versorgt. Wenn ihr unter Druck geratet, dann schlagt euch zur Grenze durch und ergebt euch den Soldaten. Von dort schicken sie euch wieder nach Jarabulus zurück.’ ”

Die türkischen Soldaten sind geflohen, als die Kämpfe heftiger wurden

Layih hat ausgesagt, dass 5 Gruppen aus Jarabulus nach Girê Spî und Siluk verbracht wurden. Abgesehen davon, dass außer seiner eigenen auch noch andere Gruppen verbracht wurden, hat Lahiy weitere Details berichtet:

“Sie haben uns in 5 Gruppen rüber gebracht und zwar im Gebiet zwischen Girê Spî und Siluk. In jeder Gruppe waren ungefähr 50 Leute. Wir wurden drei Tage vor dem Angriff rüber gebracht. Es gab auch Gruppen, die vor uns rüber gebracht wurden. Das Angriffsdatum war vorher festgelegt worden, man hat es uns allerdings nicht mitgeteilt. Am zweiten Tag hat man uns dann mitgeteilt, welche Gruppe von wo aus angreifen soll. Unsere Gruppe sollte von Siluk aus, eine der anderen Gruppen sollte von Westen aus angreifen. Einige Gruppen sollten innerhalb der Stadt Girê Spî mit dem Angriff beginnen. Es war geplant, dass die türkischen Soldaten die Stadt von Norden aus angreifen und einmarschieren, sobald wir angreifen. Aber sie haben ihre Aufgabe nicht erledigt. Wir haben den Angriff gestartet, aber sie haben sich zurückgezogen und uns keine Unterstützung gegeben. So haben sie uns verraten.”

‘Viele im IS sind Türken’

“In unserer Gruppe gab es einen der hieß Ebu Tahir Suudi.  Es gab auch einen Afghanen. In einem anderen Fahrzeug waren drei oder vier Tadschiken. Wahrscheinlich ist diese Gruppe auch nach Tel Abyad rüber gekommen. Es gab nämlich in jedem Fahrzeug drei oder vier Leute. In jedem Wagen gab es drei oder vier Tadschiken. Im Moment gibt es viele Tadschiken, die kommen,” sagte Lahiy aus und fährt fort:

“Der türkische MIT kennt ihre Namen nicht. Untereinander nennen sie sich ‘Bruder’.

Wir hatten immer viele Verletzte. In der Türkei wurden sie behandelt und sind dann zurückgekommen. Das ist bekannt.

Wer im Kampf gefangen genommen wird, der wird geköpft. Als wir den Militärflughafen Tabka angegriffen haben, wurde einem Soldaten vor meinen Augen der Kopf abgeschnitten. Das ist die Beschneidung auf Prophetenart. Frauen, die einem in die Hände fallen, werden Eigentum und Frau desjenigen. Er kann sie verkaufen oder einem Anderen als Geschenk geben.

Sie hatten mich vom Weg Allah’s und dem Gesetz des Propheten überzeugt. Ich habe geglaubt, dass man die Ungläubigen köpfen muss und dass dies der Islam ist.

Der MİT hat uns Waffen, Munition und Proviant geschickt. Das alles ist in Lastwagen gekommen, die als Hilfsgüter deklariert waren. Die wurden über den Grenzübergang Girê Spî rüber gebracht. Die Ausrüstung haben sie unter den Hilfsgütern versteckt und rüber gebracht.

Viele im IS sind Türken. Für die türkischen Kämpfer wurden eigene Bataillone aufgestellt. Es gibt auch Kurden und Turkmenen. Solche Bataillone gibt es in Rakka. Auch in Mossul gibt es welche. Die Bataillone bestehen aus 150-200 Mann. Es gibt eine große Anzahl Türken; die gab es schon immer, aber auch jetzt noch.

Es ist ganz klar, dass die Türkei uns überredet und geschickt hat – das ist ganz klar. Das eigentliche Ziel der Türkei ist, dass wir gegen die Partei (Anm. d. Übersetzers: gemeint ist hier anscheinend die Partei ‘PKK’) kämpfen; weil die Partei ihr Feind ist. Sie will die Partei loswerden. Deswegen benutzt sie den IS um die Partei zu bekämpfen.

Die ezidischen Frauen und Kinder sind in Lagern in Mossul und Aleppo. Um sie zu erziehen sind besondere Orte eingerichtet worden. Nach diesem Verrat will ich nur noch nach Hause.

Der IS hat mich verheiratet. Meine Frau stammt aus dem Dorf Rimelê bei Siluk. Ich habe ein Kind. Meine Frau lebt zusammen mit dem Kind in Rakka.”

Layih berichtet, dass man große Verluste hatte, weil die Türkei nicht einmarschiert ist und dass aus seiner Gruppe nur 5 Leute überlebt haben: “Unsere Lage war sehr schlecht geworden. Ich selbst wurde leicht verletzt. Um mich zu retten bin ich Richtung Grenze, bin dabei in einen Hinterhalt geraten und wurde gefangen genommen. Wenn die Türkei sich so verhalten hätte, wie sie es versprochen hatte, hätten wir nicht so viele Verluste gehabt und ich wäre nicht in Gefangenschaft geraten. Ich weiß nicht was nach meiner Gefangennahme mit meinen Kameraden passiert ist. Denn nachdem wir in den Hinterhalt geraten waren wurden wir aufgerieben“.

‘Zentrum unserer Beziehungen mit der Türkei’

Layih, der bekennende IS-ler, betont die strategische Bedeutung von Girê Spî und weist darauf hin, dass Girê Spî im Zentrum der Türkei-IS-Beziehungen steht. Layih: “Gire Spî ist enorm wichtig um die Verbindung zwischen der Türkei und uns zu öffnen. Es ist einer der zentralen Verbindungswege. Waffen, Munition, Proviant und Kämpfer sind alle auf diesem Weg gekommen. Auch unsere Verletzten sind über diesen Weg abtransportiert und zurückgeholt worden. Als wir Girê Spi verloren haben, war das deshalb als ob man uns die Luftröhre durchschnitten oder unsere Hauptschlagader gekappt hätte. Der Weg, auf dem die Türkei uns Hilfe geschickt hatte, war nun zu . Mit dieser Hilfe hat die Türkei uns dazu gebracht gegen die YPG und die Kurden zu kämpfen. Deswegen hat Girê Spî so eine Bedeutung.”

Laut Augenzeugen sind während des Angriffs etwa 30 türkische Soldaten bis zum Grenztor vorgedrungen. Erst als die Kämpfe heftiger wurden und Bombenangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition erwartet wurden, haben sich die Soldaten zurückgezogen. Die Aussagen von Layih bestätigen dieses Detail und erhärten den Verdacht, dass der Angriff von Seiten der Türkei geplant wurde.

 

Hinweise:

Tall Abyad ist Girê Spî; Saluq ist Siluk.

Grüngelb ist das von der YPG bzw. das von den „Demokratischen Syrischen Streitkräften“ (SDF) befreite Gebiet; das IS-Gebiet ist dunkel- bzw. hell-grau

rojava