Vom deutschen Umgang mit türkischer Agententätigkeit gegen kurdische Aktivisten

Mako Qoçgirî, Mitarbeiter von Civaka Azad, 10.09.2017

Der Prozessbeginn am vergangenen Donnerstag gegen Mehmet Fatih S. in Hamburg sorgte für Schlagzeilen. Die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit ist groß. Denn dem Angeklagten wird vorgeworfen, im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MİT (Millî İstihbarat Teşkilâtı) kurdische Aktivisten in Deutschland ausspioniert zu haben – so die Anklageschrift. Doch so sehr die Empörung der deutschen Öffentlichkeit gerechtfertigt ist, ebenso sehr wirkt die Aufregung der politisch Verantwortlichen in Deutschland gegenüber „Erdoğans langen Arm“, gelinde gesagt, scheinheilig. Das gilt vor allem dann, wenn sich die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes hierzulande gegen kurdische Strukturen richten.

So wissen wir nicht erst seit gestern, dass der türkische Geheimdienst bis zu 6.000 Agenten in Deutschland unterhält. Es stellt sich die Frage, was die politisch Verantwortlichen hierzulande bislang unternommen haben, um die Aktivitäten dieser Agenten zu stoppen? Wir wissen auch, dass der türkische Staat mehrfach „schwarze Listen“ an die deutschen Behörden übergeben hat, in denen die Namen von vermeintlichen Gülen- und PKK-Anhängern in Deutschland aufgeführt werden. Man zeigte sich in Berlin empört über diese Listen. Die betroffenen vermeintlichen Gülen-Anhänger wurden darüber informiert, dass sie auf den Listen Ankaras stehen. Warum ist dasselbe aber nicht bei den vermeintlichen PKK-Anhängern passiert? Und dann erinnern wir uns an einen Gerichtsprozess vor knapp zwei Jahren, der vielleicht noch spektakulärer war, als der gegenwärtige Hamburger Prozess. Muhammed Taha Gergerlioğlu, ein ehemaliger Erdoğan-Berater, und zwei weitere Personen wurden in Koblenz angeklagt, weil sie ebenfalls im Dienste des türkischen Geheimdienstes u.a. Informationen über kurdische Aktivisten in Deutschland sammelten. Doch dann wurde der Prozess auf außergewöhnliche Weise eingestellt und schlichtweg unter den Teppich gekehrt. Wie kam es dazu? Haben hier etwa die politisch Verantwortliche in ein juristisches Verfahren interveniert, um den diplomatischen Schaden mit der Türkei kleinzuhalten?

Doch die dringendste Frage, die uns aufgrund des aktuellen Verfahren auf den Lippen brennt, lautet: Warum werden in der aktuellen Anklageschrift gegen Mehmet Fatih S. mit keinem Wort die Mordpläne gegen Yüksel Koç und andere kurdische Aktivisten erwähnt? Die Lage ist doch offenkundig! Koç und andere kurdische Vertreter haben nach der Festnahme des von Mehmet Fatih S. SMS-Mitteilungen erhalten, in denen ihnen unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass sie jetzt vielleicht mit dem Leben davon gekommen sind, sich aber keineswegs in Sicherheit wähnen sollten. Das scheint die Staatsanwaltschaft allerdings wenig zu interessieren. Koç wurde noch nicht einmal als Nebenkläger beim Verfahren zugelassen. Und das alles, obwohl die deutschen Behörden und politisch Verantwortlichen doch spätestens seit den Morden an den drei kurdischen Aktivistinnen am 9. Januar 2013 in Paris sehr genau wissen, dass es dem türkischen Geheimdienst bei seinen Aktivitäten gegen kurdische Vertreter im Ausland um weitaus mehr geht, als bloß an Informationen zu gelangen.

Nicht die deutschen Ermittlungsbehörden, sondern die kurdischen Strukturen enttarnen türkische Geheimdienstaktivitäten

Noch befremdlicher wird die Haltung der deutschen Behörden, wenn man sich vor Augen führt, wie es überhaupt zum Prozess gegen Mehmet Fatih S. gekommen ist. Die kurdischen Strukturen erfuhren von der Agententätigkeit des Angeklagten, der als Journalist getarnt den Kontakt zu seinen Zielobjekten suchte, durch die Aussagen von dessen Freundin. Sie konnte dessen Aktivitäten nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren und legte deshalb die tatsächliche Tätigkeit von Mehmet Fatih S. offen. Erst als kurdische Vertreter die deutschen Ermittlungsbehörden zum Aktivwerden aufriefen, tat sich was. Und dennoch dauerte es immer noch rund vier Wochen von dem ersten Bericht über die Tätigkeit des Angeklagten samt seiner Mordpläne in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika ((15.11.2016, http://yeniozgurpolitika.org/index.php?rupel=nuce&id=62828)) bis zu dessen letztendlicher Festnahme in der Hansestadt Hamburg ((http://www.mopo.de/hamburg/tuerkischer-spion-in-hamburg-verhaftet-er-soll-eine-todesliste-gefuehrt-haben-25334458)). Hinzu kommt, wie bereits erwähnt, dass nun bei der Anklage die Mordpläne des mutmaßlichen Agenten schlichtweg übergangen wurden.

Doch schaut man sich einen aktuelleren zweiten Fall an, mag man zu dem Schluss kommen, dass die erhobene Anklage gegen Mehmet Fatih S. schon ein großer Schritt ist. Denn im Juli 2017 wurde ein weiterer vermeintlicher Agent des türkischen Geheimdienstes, der in Hamburg aktiv war, durch kurdische Strukturen enttarnt. Es geht um einen Mann mit dem Namen Mustafa K., der über längere Zeit im lokalen kurdischen Verein im Auftrag des MIT aktiv gewesen sein und sich das Vertrauen der Menschen erschlichen haben soll. Allerdings flog er auf, als Mitschnitte eines Gesprächs von Mustafa K. mit türkischen Geheimdienstmitarbeitern den kurdischen Strukturen zugespielt wurden. In den Mitschnitten ist auch die Rede davon, wie ein mögliches Attentat auf eine Frauenverantwortliche der kurdischen Strukturen vorbereitet werden könne. Wie berichteten über den Fall bereits ausführlich ((http://civaka-azad.org/weiterer-tuerkischer-agent-in-deutschland-aufgeflogen-bedrohungslage-fuer-kurdische-aktivisten-bleibt-hoch/)). Diese Informationen wurden auch an die deutschen Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Doch Folgen für Mustafa K. gab es keine.

Wenn wir uns dieses Gesamttableau anschauen, kommt man zu dem Eindruck, dass die deutschen Behörden und politisch Verantwortlichen kein großes Interesse daran haben, in Deutschland lebende Kurdinnen und Kurden vor den Geheimdienstaktivitäten des MIT zu schützen. Im Gegenteil, selbst wenn den Behörden Informationen über Agentenaktivitäten auf dem Silbertablett serviert werden, tut sich wenig bis gar nichts. Dass Erdoğans Männer dabei hier nicht nur zum Ausspähen und Sammeln von Informationen nach Deutschland geschickt werden, sondern mit Aufträgen zum Mord an kurdischen Vertretern, ist offensichtlich. Wiederholt sich deshalb in Deutschland ein Vorfall wie beim Mordanschlag von Paris im Januar 2013, werden sich die Behörden hierzulande nur schwer der Mitverantwortung entziehen können. Der Prozess gegen Mehmet Fatih S. ist deshalb ein Lackmustest darüber, wie Ernst hierzulande mit dieser Bedrohungslage umgegangen wird. Die Aussichten darauf, dass dieser Test bestanden wird, sehen nach aktueller Sachlage jedenfalls nicht besonders gut aus.