AKP Staat eskaliert Krieg in Nordkurdistan weiter – Europa ignoriert Massaker an kurdischer Bevölkerung

nusaybin_kriegMichael Knapp für Civaka Azad, 14.05.2016

Die mediale Auseinandersetzung mit der Erdoğan Regierung dreht sich immer wieder um die Frage der Meinungsfreiheit. Während zu Recht viel über Böhmermann und Erdoğan diskutiert wurde, wird in der deutschen Öffentlichkeit die Verweigerung grundlegender Rechte, wie des Rechts auf Leben durch den türkischen Staat nahezu vollständig ignoriert. Selbst der von Deutschland bemängelte, aber in der EU offen geführte Widerspruch zum Antiterrorgesetz der Türkei bleibt auf Aspekte der Meinungsfreiheit reduziert. Dabei hat auch der UN Hochkommissars für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, in einer Pressemitteilung erklärt, dass eine „sofortige Untersuchung und Verfolgung von all denjenigen, die in Verdacht stehen, das Recht auf Leben verletzt zu haben, wozu auch Hinrichtungen und die unverhältnismäßige Anwendung tödlicher Gewalt gehört, durch unabhängige Gerichte notwendig sei.“ ((http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=19937&LangID=E))

Es ist auffällig, dass diese Pressemitteilung, in welcher die Türkei scharf verurteilt wird, in Deutschland medial geringes und politisch kein wahrnehmbares Echo erzeugt hat. Zeid Ra’ad Al Hussein beschreibt in einer offiziellen  Erklärung, in seiner Funktion als Hochkommissar, dass ihm Berichte vorliegen, welche die „ vorsätzliche Erschießung unbewaffneter Zivilisten, inklusive Frauen und Kinder durch Schüsse von Scharfschützen und aus Panzern und Militärfahrzeugen“ belegen.  In einer vorhergehenden Erklärung vom 01. Februar geht er auf ein vom Journalisten Refik Tekin aufgenommenes Video ein: „Dieses zeigt eine Gruppe von anscheinend unbewaffneter Zivilisten, welche von einer Frau mit einer weißen Fahne angeführt wird. Sie zogen einen Handwagen, auf welchem dem Bericht zu Folge Leichen über eine Straße transportiert wurden. Währenddessen wurden sie aus der Ferne von einem Panzerfahrzeug beobachtet. Als sie auf der anderen Seite ankommen, werden sie offensichtlich in einem Kugelhagel niedergestreckt. Tekin filmt weiter, während Blut über die Linse fließt.“ ((http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=17002&LangID=E)) Das im Bericht beschriebene Video kann unter folgenden Link abgerufen werden: https://www.youtube.com/watch?v=-6bKXZ5E0II

Im aktuellen Bericht führt Al Hussein weiter aus, dass es „massive unverhältnismäßige Zerstörungen“ von Häusern der Zivilbevölkerung durch Sicherheitskräfte gegeben habe. Er schreibt: „Am erschreckendsten sind die Berichte, die Zeugen und Familienangehörige in Cizre zitieren, die darstellen, dass in Cizre mehr als 100 Personen verbrannt worden sind, als sie in drei verschiedenen Kellern, die von den Sicherheitskräften umstellt worden waren, Unterschlupf gefunden hatten.“

Er klagt an, dass die Türkei bisher jeden Vorschlag der UN abgelehnt habe, um die Region zu besuchen und Informationen aus erster Hand zu erhalten: „Es ist im Jahre 2016 außergewöhnlich und höchst besorgniserregend, in diesem Ausmaß keine Informationen über das, was in einer solch großen und geographisch zugänglichen Region passiert, zu erhalten.“

Die Regierung der Türkei erklärte immer wieder, dass die Operation nun abgeschlossen sei, die Kämpfe und Belagerungen reißen jedoch nicht ab. So belagert die türkische Armee und Polizei nunmehr seit dem 14. März die Stadt Nusaybin. ((http://tr.hawarnews.com/nusaybinde-evler-yikilmaya-devam-ediyor/))

Auch in der nun seit 58 Tagen belagerten Stadt Şırnak dauern Belagerungen, Bombardements und Ausgangssperren an. In all diesen Orten finden Auseinandersetzungen statt, die in ihrer Tragweite mit denjenigen in Cizre zu vergleichen sind. Bisher sind die türkische Armee und ihre Spezialeinheiten nicht in der Lage, in die verbarrikadierten Stadtviertel vorzudringen, trotz des Einsatzes von schwerer Artillerie, Panzern, Hubschraubern und Drohnen. Stattdessen verlegt sie sich auf Artilleriebeschuss und das systematische Einreißen und in Brand stecken von Gebäuden. Zudem werden überall auf erhöhten Positionen Scharfschützen stationiert. Am 12.05. scheinen die Angriffe mit dem Einsatz von Kampfflugzeugen gegen die Stadt Nusaybin eine neue Stufe der Eskalation erreicht zu haben. Einheiten der zivilen Verteidigungseinheiten YPS berichten, dass das Stadtviertel Alika von Nusaybin von der türkischen Luftwaffe an jenem Tag aus der Luft bombardiert wurde. ((http://diclehaber.com/tr/news/content/view/515921?page=2&from=2975960978))

Der türkische Präsident Erdoğan hatte schon am 06. April erklärt: „Wenn nötig, dann müssen die Orte, an denen Operationen durchgeführt werden, vollständig geräumt werden und diese Orte an denen sowieso keiner leben kann, vollständig aus der Ferne vernichtet werden. Diese Orte müssen komplett eingerissen und neu aufgebaut werden.“ ((http://www.sabah.com.tr/gundem/2016/04/06/erdogan-uzaktan-imha-edilsin))

Das Konzept eines Vernichtungskrieges gegen die kurdische Zivilgesellschaft ist also von höchster Stelle vorgezeichnet. Dass AKP, MHP und CHP Abgeordnete, Abgeordnete der HDP im Parlament der Republik Türkei misshandeln, bedrohen und gemeinsam ihre Immunität aufheben lassen, zeigt wie sehr die Wege zu einer politischen Lösung von Seiten des türkischen Staates verbaut worden sind.

Dies wird in keiner Weise von der Bundesregierung auch nur andeutungsweise thematisiert. Die Menschenrechte der kurdischen Bevölkerung scheinen also im Flüchtlingsdeal vollständig verkauft worden zu sein. Mittlerweile liegen in Nusaybin und in  Şırnak hunderte Häuser in Trümmern, dennoch ist die zweitgrößte NATO Armee seit Wochen nicht in der Lage den Widerstand zu brechen. Um ein vollkommenes Abdriften der Türkei in eine mit dem Bürgerkrieg in Syrien vergleichbare Lage zu verhindern, ist es unabdingbar, dass sofortige Gespräche zwischen den Konfliktparteien eingeleitet werden. Von der kurdischen Seite sind die Türen für einen Friedensprozess immer noch geöffnet. Daher ist es notwendig, dass die internationale Gemeinschaft Druck auf die Türkei ausübt, Herrn Abdullah Öcalan als Verhandlungsführer anzuerkennen und einen Waffenstillstand auszurufen. Um diesen Druck aufzubauen, aber auch aus politischen und menschlichen Gründen muss das PKK-Verbot aufgehoben und das antidemokratische und antikurdische Bündnis der Bundesregierung mit der Türkei beendet werden.