Dringender Appell für Aysel Tugluk und die kranken Gefangenen in der Türkei

Dieser Aufruf folgt unserer früheren Erklärung vom 8. Dezember, in dem wir die internationale Öffentlichkeit über den sich verschlechternden Gesundheitszustand der inhaftierten HDP-Politikerin und ehemaligen Abgeordneten Aysel Tuğluk informierten.

Tuğluk wurde im Dezember 2016 unter fingierten „Terrorismusvorwürfen“ verhaftet. Sie leidet an Demenz, die sich im Laufe ihrer Inhaftierung verschlimmert hat.

2017 verlor Tuğluk ihre Mutter, Hatun Tuğluk. Die Beerdigungszeremonie in Ankara wurde von einem rassistischen Mob angegriffen, und die Leiche ihrer Mutter musste zur Beerdigung in ihre Heimatstadt Dersim gebracht werden. Kurze Zeit nach dem Verlust ihrer Mutter und dem Trauma dieses Angriffs begannen die gesundheitlichen Probleme Tuğluks. Sie sagte ihrer Familie und ihren Anwält*innen häufig, dass sie zwar nicht wolle, dass darüber gesprochen wird, aber ihr Zustand verschlechtere sich zunehmend. Tuğluk litt unter zunehmendem Gedächtnisverlust und war nicht mehr in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Am 15. März diagnostizierte das Universitätskrankenhaus Kocaeli bei ihr Demenz. In dem Untersuchungsbericht der Universität vom 12. Juli heißt es, dass die Demenz fortschreiten und es Probleme bei ihrer medizinischen Betreuung und Pflege geben könnte. Außerdem sei  es für Tuğluk nicht möglich, ihr Leben ohne Hilfe fortzusetzen. Sie wurde daraufhin an das Institut für Rechtsmedizin (ATK) überwiesen, eine Einrichtung des Justizministeriums. Nach einer nur zweistündigen Untersuchung kam das Institut zu dem Schluss, dass Tuğluk „ihr Leben weiterführen und die Vollstreckung ihrer Strafe im Gefängnis fortgesetzt werden kann, wenn ihre Behandlung und die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden.“ Auf der Grundlage dieses Berichts lehnte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung von Tuğluks Strafe ab.

Am 21. Dezember beantragten die Anwälte von Tuğluk ein drittes Gutachten. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Im Staatlichen Krankenhaus von Kocaeli İzmit Seka soll ihre Situation erneut untersucht und ein neuer Befund zu ihrer gesundheitlichen Lage erstellt werden.

Am 24. Dezember besuchte die Ko-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, Aysel Tuğluk im Kandıra F-Typ-Gefängnis. Buldan stellte fest, dass Tuğluk nicht in der Lage ist, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie stellte fest, dass sie Schwierigkeiten hat, zu sprechen und Menschen zu erkennen, und dass sie in ihren Bewegungen eingeschränkt ist.

Wie wir in unseren Stellungnahmen wiederholt betont haben, sind die türkischen Gefängnisse zu Zentren der Misshandlung und Folter geworden. Die internationale Gemeinschaft ist sich der unmenschlichen Haftbedingungen und der extremen Isolation im Gefängnis auf der Insel Imrali, in dem Abdullah Öcalan seit 1999 inhaftiert wird, bewusst. Auch das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) hat mehrfach in seinen Berichten hierauf verwiesen. Viele Gefangene in der gesamten Türkei leben unter ähnlichen Bedingungen wie extremer Isolation, Folter und Misshandlung. Ihre Lage hat sich während der Pandemie noch weiter verschärft. Diese Bedingungen haben zu Selbstmorden in den Gefängnissen und zum Tod kranker Häftlinge geführt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gibt es in der Türkei derzeit über 1.600 kranke Gefangene. Die schlechte Behandlung ist so allgegenwärtig, dass kranke Gefangene entweder die Gefängnisse in Särgen verlassen oder nur wenige Tage nach ihrer Entlassung ihr Leben verlieren. Hunderte andere kranke Gefangene, wie Aysel Tuğluk, werden nicht entlassen und auf Grundlage politisch motivierter Berichte der gerichtsmedizinischen Anstalt im Gefängnis dem Tod überlassen. 

Leider gab es in den letzten Wochen eine Reihe von Todesfällen in den Gefängnissen zu beklagen.

Vedat Erkmen, der eine lebenslange Haftstrafe im Tekirdağ-Gefängnis verbüßte, wurde am 19. Dezember tot in seiner Zelle aufgefunden. Seiner Familie wurde mitgeteilt, dass es sich um Selbstmord handelte.

Ilyas Demir, der eine lebenslange Haftstrafe im Bolu-Gefängnis verbüßte, wurde am 17. Dezember tot in seiner Zelle aufgefunden. Demir hatte unter psychischen Problemen gelitten.

Halil Günes, ein Krebspatient, der eine lebenslange Haftstrafe im Diyarbakır-Gefängnis verbüßte, wurde am 15. Dezember tot in seiner Zelle aufgefunden. Die Appelle, aufgrund seines Zustands freigelassen zu werden, waren abgelehnt worden.

Abdulrezzak Suyur, ein weiterer inhaftierter Krebspatient, verlor am selben Tag in der Provinz Izmir sein Leben.

Am 9. Dezember wurde Garibe Gezer, eine achtundzwanzigjährige kurdische Politikerin im Kandıra-Gefängnis, tot in ihrer Zelle aufgefunden, während sie in Einzelhaft saß. Die Gefängnisverwaltung erklärte, sie habe Selbstmord begangen. Gezer hatte zuvor berichtet, sie sei von Gefängniswärtern sexuell missbraucht und gefoltert worden. Zweiundzwanzig weibliche HDP-Abgeordnete übermittelten diese Berichte über Folter und sexuellen Missbrauch dem Parlament und dem Justizministerium. Doch diese Initiativen blieben ohne Erfolg.

Wir rufen die internationale Gemeinschaft, allen voran das CPT und andere einschlägige Organe des Europarats, die Menschenrechtskommissare des Europarats und der Vereinten Nationen, Menschen- und Frauenrechtsorganisationen sowie alle Freund*innen und Kolleg*innen auf, sich unverzüglich für Aysel Tuğluk und alle kranken Gefangenen einzusetzen und gegen diese unmenschlichen Zustände in türkischen Gefängnissen vorzugehen, bevor es zu spät ist.

Denn für zu viele ist es bereits zu spät!

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