Attacken auf die Selbstverwaltung

serekaniyeKurdische Komitees im Norden Syriens sind Türkei ein Dorn im Auge
Von Martin Dolzer, 20.02.2013

In weiten Teilen der kurdischen Provinzen Syriens wurden – nach der meist friedlich verlaufenen Vertreibung staatlicher Kräfte – basisdemokratische Volksräte aufgebaut.
Mit Hilfe spezieller Komitees wollen die Volksräte in den selbstverwalteten kurdischen Regionen Nordsyriens das Leben schrittweise demokratisieren. »Es handelt sich unter anderem um Komitees für Soziales, Gesundheit, Bildung, die Gleichstellung der Frau, Kultur, Sprache und viele weitere. Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg dieses Modells ist die Einbindung sämtlicher Ethnien und Religionsgruppen“ erklärt Salih Müslüm, der Vorsitzende der Demokratischen Einheitspartei PYD im Gespräch. Die PYD organisiert ca. 60 % der syrischen Kurden, die im Norden des Landes sowie in Aleppo und Damaskus leben.

16 weitere Parteien verschiedener politischer Ausrichtung haben sich mit der PYD zum „Hohen kurdische Rat“ zusammengeschlossen, der die Dachorganisation der Selbstverwaltung ist. Zur Sicherung der relativ stabilen Region wurden die kurdischen Volksverteidigungskräfte YPG gebildet. Der Regierung der Türkei ist diese Stabilisierung ein Dorn im Auge. Um in die kurdischen Regionen eindringen zu können, rüstete sie in den letzten Monaten meist islamistisch-salafistische Gruppierungen mit schweren Waffen und Panzern aus und ließ diese über die Grenze an neuralgischen Punkten angreifen. Am stärksten konzentrierten sich die Angriffe auf die strategisch wichtige Stadt Sere Kaniye, wo neben Kurden auch viele Araber leben.

Die Kämpfer wurden in der Türkei medizinisch versorgt und nutzten wiederholt Ambulanzen zum Waffentransport. Berichten zufolge starben bei den Gefechten auch Mitglieder des türkischen Geheimdienstes Jitem. „Die Angriffe auf Sere Kaniye hat die YPG abgewehrt. Gestern hat der Hohe kurdische Rat nach monatelangen Gefechten, bei denen auch viele Zivilisten starben, ein Abkommen mit der Freien Syrischen Armee FSA unterzeichnet,“ skizziert Müslüm. „Die FSA setzt sich aus einer Vielzahl von Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen und Zielen zusammen und ist keine zentral gesteuerte Einheit, wie oft angenommen wird.“

Das Friedensabkommen sieht den Abzug sämtlicher nicht aus der Region stammenden Kämpfer vor. Darauf folgend soll ein gemeinsamer Verwaltungsrat für Stadt und Region gewählt werden, der konsensuell handelt. Auch gemeinsame Kontrollpunkte von FSA und YPG sowie die gemeinsame Kontrolle der Grenze zur Türkei sind geplant. Die Abkommensparteien einigten sich darauf dort zusammenzuarbeiten, wo die Vorherrschaft der Baathregierung noch nicht überwunden ist.

In Aleppo kam es in den letzten Wochen ebenfalls zu schweren Gefechten. Bei einem Luftangriff wurden 20 kurdische Zivilisten getötet. Sowohl Einheiten der FSA als auch Regierungstruppen hatten kurdische Stadtteile und die YPG angegriffen. Jetzt hat sich die Lage entspannt. In Ashrafiya, einem strategischen Ort in den nahe gelegenen Bergen, kommt es jedoch seit Tagen zu Gefechten zwischen Regierungstruppen und der YPG.

„Wir wissen u.a. aufgrund jahrzehntelang in Syrien erfahrener Gewalt, Folter und Unterdrückung, wie wichtig es ist, eine Revolution für Demokratie, Freiheit und Würde auf friedlichem Weg umzusetzen. Deshalb haben wir uns dem „Koordinationskomittee für demokratischen Wandel“ angeschlossen und begrüßen jede Initiative für einen Dialog. Es darf nicht vergessen werden, dass ohne die Lösung der kurdischen Frage keine Demokratisierung Syriens möglich sein wird,“ mahnt Salih Müslüm. Zum Frieden sei es noch ein weiter Weg, da viele regionale und internationale Akteure lediglich versuchen ihre eigenen Interessen auf Kosten der syrischen Bevölkerung durchzusetzen.

Quelle: ND

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