Aufgrund vom fehlenden Korridor nur begrenzter Schulunterricht möglich

image-941842fb495a819a879352802a2daab2b27f52d47c8acea662442e0a909502ad-VssCivaka Azad im Interview mit der 22-Jährigen Perwin Hemo aus Kobanê, 29.05.2015

Die Wiederaufbauarbeiten in Kobanê werden von der Bevölkerung in sämtlichen Dimensionen des Lebens getragen. Von Aufräumarbeiten, den Bauten der ersten Krankenhäuser und Gesundheitsstationen und der Gewährleistung von Bildungsmöglichkeiten. Die Bevölkerung ist in sämtlichen Arbeitsbereichen integriert. Die Zahl derjenigen, die nach Kobanê zurückgekehrt sind übersteigt mittlerweile mehr als 100.000 Menschen. Im Interview erzählt Perwin Hemo, einer 22 Jährigen Lehrerin, den Schulalltag in Kobanê und die Schwierigkeiten, die sie zu meistern hat.

 
Civaka Azad: Nach der Befreiung von Kobanê gehen nun die ersten Schülerinnen und Schüler zur Schule. Wie sieht die Situation derzeit in Kobanê aus?
Man könnte sagen, dass wir im Rahmen des Unmöglichen das Möglichste bewerkstelligen konnten. Zwar ist die Stadt befreit, jedoch ist der Großteil der Stadt zerstört. Besonders in den Dörfern, die an der Peripherie des Kantons liegen und wo die Gefechte zwischen den Frauenverteidigungseinheiten der YPJ und den Volksverteidigungseinheiten  der YPG weiter andauern, hinterlässt der IS alles in Schutt und Asche. So haben wir nur provisorische Schulen einrichten könne.

 
Civaka Azad: Wie viele Schulen sind denn derzeit in Betrieb?
Im Stadtzentrum sind es derzeit nur drei Schulen. Leider gibt es nur sehr wenige Lehrkräfte. Ein weiteres Problem stellen die fehlenden Unterrichtsräume dar. Auch die bestehenden sind von Kugel- und Granateneinschüssen gekennzeichnet. Da es nach wie vor an Wasser und vor allem an Strom fehlt, war die Situation vor allem in den späten Wintermonaten sehr schwierig. Derzeit befinden sich jedoch nur 3 Schulen im Stadtzentrum im Betrieb.Etwa 26 Schulen werden in den Dörfern betreut.

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Civaka Azad: Wie viele Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit die Schulen?
Im Rahmen der begrenzten Kapazitäten können derzeit nur 4000 Kinder zur Schule gehen. Mittlerweile sind über 100.000 Zivilisten nach Kobanê zurückgekehrt. Besonders die Kinder sind in Folgen des schweren Krieges stark traumatisiert. Entgegen dieser Traumata und mit dem Ziel die Kinder von Kobanê aus dieser Kriegspsychologie zu befreien, unterrichten wir im Rahmen schwierigster Umstände. In einigen Dörfern wurde auch mittlerweile der Unterricht in den Schulen begonnen. Jedoch fehlt es vor allem an Schulmaterial.

 
Civaka Azad: Worin liegen die Gründe fürden Materialmangel?
Da die Türkei weiterhin die Grenze systematisch geschlossen hält, kann nichts nach Kobanê gelangen. Ich hatte ja bereits schon erwähnt, dass die Kämpfe in allen Richtungen des Kantons weiterlaufen. D.h., dass Kobanê weiterhin vom IS umzingelt ist. Die einzige Möglichkeit etwas nach Kobanê zu bringen, wäre über die türkische Grenze. Aber die türkische Regierung unterlässt selbst die Lieferung von essentiell-wichtiger Nahrung und Trinkwasser. Die meisten Kinder leiden unter schweren Krankheiten, weil es ihnen an notwenigen Impfungen fehlt. Viele Kleinkinder sind aufgrund von fehlender Babynahrung und spezieller Medizin entweder schwer erkrankt oder auch gestorben.

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Civaka Azad: Am 7.Juni finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Verfolgen sie die Wahlen? Welche Auswirkungen könnte das Ergebnis der Wahlen für Kobanê bedeuten?
Leider haben wir nicht die Möglichkeiten Resourcen wir Internet und andere Medien zu nutzen. Dafür fehlt uns vor allem der Strom. Jedoch verfolgen wir in der Kommune täglich die Abendnachrichten. Natürlich tragen die Wahlen in der Türkei eine historische Bedeutung. Zum ersten Mal tritt die Demokratische Partei der Völker (HDP) als Partei an und fordert die 10%Hürde heraus. Ein Wahlerfolg der HDP wird zur Demokratisierung der Türkei beitragen. Wir haben über Jahrzehnte miterlebt, was es heißt unter einem diktatorischen System zu leben. Ich befürchte, dass wenn eine neue Diktatur unter Erdogan in der Türkei errichtet werden würde, es für Kobanê schwer sein wird, dass Überleben zu sichern.

 
Civaka Azad: Sie sind gerade erst 24 Jahre alt. Wir sehen die Schwierigkeiten aus mit denen sie als Co-Schulleiterin konfrontiert werden?
Es ist natürlich als Frau in Führungspositionen nicht immer einfach von allen Teilen der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass gerade aufgrund des von uns geführten gesellschaftlichen Kampfes, wir zum Angriffsziel des IS erklärt wurden. Entgegen eines Klerikalfaschismus, repräsentiert unser Gesellschaftsmodell demokratische Werte wie Freiheit und Gleichheit. Die Revolution von Rojava basiert auf den Aufstand von 2004. Kurz davor wurde die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) gegründet. In diesem Revolutionsprozess, besonders seit der Vertreibung des Regimes aus Kobanê, haben die Frauen die Rolle der Avantgarde übernommen. Daher sind in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft Doppelspitzen vertreten. Es ist ein 50% Geschlechterquote vertreten. Denn das Maß der Freiheit einer Gesellschaft, wird an dem Maß der Freiheit der Frau gemessen.

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