Syrien
Beginnen wir mit ermutigenden und guten Nachrichten aus Nord- und Ostsyrien: Mehr als 118 Tage hat die Bevölkerung aus der Region der demokratischen Selbstverwaltung gemeinsam mit den militärischen Selbstverteidigungskräften den Tișrîn-Staudamm gegen die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen verteidigt. Menschen aus allen Teilen Nord- und Ostsyriens verhinderten damit auch das Vorrücken der mit der Türkei verbündeten islamistischen Milizen, auch bekannt unter der Abkürzung SNA, Richtung Kobanê.
Mehr als 20 Menschen verloren durch türkische Waffen ihr Leben und viele wurden teilweise schwer verletzt während sie gemeinsam einen Schutzschild gegen die Angriffe bildeten. Unter der Vermittlung der internationalen Anti-IS-Koalition kam es zu einem Abkommen mit der Übergangsregierung in Damaskus über die Entmilitarisierung und Verwaltung dieser wichtigen zivilen Infrastruktur. Die Selbstverwaltung erklärte daraufhin den Tișrîn-Staudamm zu einem Symbol der Einheit der Völker. Nicht nur am Staudamm, sondern in ganz Nord- und Ostsyrien feierten die Menschen den Sieg ziviler Widerstandskraft.
Im Rahmen intensiver außenpolitischer diplomatischer Kontakte der Selbstverwaltung führten Delegationen aus Deutschland, Frankreich und den USA Gespräche mit der Selbstverwaltung und den militärischen Selbstverteidigungskräften SDF.
Auch eine Delegation des Vatikans reiste durch Nord- und Ostsyrien. Die Teilnehmer:innen wollten das basisdemokratische Gesellschaftssystem des demokratischen Konföderalismus kennenlernen. Natürlich spielten in den vielen Gesprächen auch das Zusammenleben der verschiedenen Religionen und die Herausforderungen der aktuellen Lebenssituation der Menschen eine wichtige Rolle. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde die Delegation von den Ko-Vorsitzenden Ilham Ehmed und Fanar al-Kaeet sowie deren Stellvertretenden Gulîstan Elî und Rubel Baho in der Abteilung für Außenbeziehungen der Autonomieverwaltung in Qamișlo begrüßt. Auch die Inhaftierung Abdullah Öcalans und sein Aufruf für Frieden und Demokratie wurden zum Thema für die Delegation bei einem Besuch der ‚Initiative für die Freiheit von Abdullah Öcalan‘
Ein großer innenpolitischer Erfolg war die Konferenz für nationale Einheit am 26. April in Qamișlo. 400 Delegierte aus verschiedenen Regionen Kurdistans und der Diaspora diskutierten über die Zukunft und eine gemeinsame Perspektive für Rojava. Es gelang die unterschiedlichen Standpunkte zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung zusammenzuführen. Eine Vertreterin der PYD und ein Vertreter der ENKS trugen die Abschlussworte gemeinsam vor. Eine multiethnische, multireligiöse und multikulturelle Identität, die den internationalen Menschenrechtskonventionen verpflichtet ist, die Freiheit und die Rechte der Frauen und ihre wirksame Beteiligung an politischen, sozialen und militärischen Institutionen sowie die Garantie der verfassungsmäßigen Rechte der Kurden wurden in der Abschlusserklärung thematisiert. Ein gemeinsames kurdisches Verhandlungskomitee soll die vereinbarten Ziele auf nationaler und internationaler Ebene vertreten und durchsetzen.
Weiterhin Spannungen und Auseinandersetzungen im restlichen Syrien
Die syrische Übergangsregierung bemüht sich weiterhin um außenpolitische Anerkennung. Damit verbunden ist die Hoffnung auf eine Aussetzung der Wirtschaftssanktionen und damit auf eine Verbesserung der desolaten Wirtschaftslage. Ein Beispiel dafür sind die Verhandlungen mit dem Irak über die Wiedereröffnung des Grenzübergangs al Tanf und die Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen. Die USA verknüpfen die Aussetzung weiterer Sanktionen für zwei Jahre übrigens mit politischen Forderungen: So soll jegliche pro-palästinensische Politik auf syrischem Gebiet unterbunden werden.
Der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa ist am Mittwoch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu einem offiziellen Besuch in Paris empfangen worden. Es war al-Sharaas erste Reise nach Europa. Macron will Frankreichs Unterstützung für den Aufbau eines „freien, stabilen und souveränen Syriens“ bekräftigen – eines Landes, das alle Teile seiner vielfältigen Gesellschaft respektiert. Auch die Lage der Alawiten und Drusen in Syrien war nach offiziellen französischen Angaben Thema der Gespräche.
Ende April werden weiterhin Morde an Alawit:innen gemeldet und seit März wurden mehr als 50 alawitische Mädchen und Frauen verschleppt. Auch die Gewalt gegen Drusen weitet sich aus: Im Umland von Damaskus, aber auch in den Städten Aleppo und Homs werden seit Tagen drusische Menschen angegriffen. Bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der lokalen drusischen Gemeinschaft und Kräfte des syrischen Verteidigungsministeriums verloren mindestens 15 drusische Kämpfer ihr Leben. Unter der drusischen Bevölkerung herrscht entsprechend große Angst.
Von der Generalkommandantur der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) wurde die Gewalt dschihadistischer Gruppierungen gegen Minderheiten in Syrien in einer Erklärung scharf verurteilt. Die YPJ ruft dazu auf, eine gemeinsame Selbstverteidigung gegen Terror und Unterdrückung aufzubauen. Nach dem Sturz des Baath-Regimes und der Machtübernahme durch „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) sei das Land in eine neue Phase der Gewalt, Repression und sektiererischen Spaltung getreten, so die YPJ.
Israels Militär hat mehrere Ziele in der Nähe von Damaskus, auch in unmittelbarer Nähe des Präsidentenpalasts in Syrien, bombardiert. Nach israelischen Angaben dienen diese Luftangriffe auf syrisches Gebiet dem Schutz der Drusen. Der türkische Außenminister Hakan Fidan bezeichnete Israel als größte Bedrohung für die Sicherheit der Region. Ihm zufolge suche die Türkei aber nicht die Konfrontation mit Israel in Syrien. Dem steht die Realität entgegen: Beide Länder versuchen ihren Einfluss in Syrien mit militärischen und politischen Mitteln auszubauen.
Erinnern wir uns an die kurdische Politikerin Havrin Khalaf. Sie war die Generalsekretärin der Zukunftspartei Syriens und bei der Bevölkerung wegen ihres Einsatzes für den Aufbau der demokratischen Gesellschaft anerkannt und beliebt. Im Oktober 2019 wurde das Fahrzeug der 34-Jährigen auf einer wichtigen Verbindungsstraße in Nord- und Ostsyrien von islamistischen Söldnern angehalten und dann beschossen. Die verletzte Politikerin wurde aus dem Wagen gezerrt und hingerichtet. Ihr Fahrer wurde ebenfalls getötet. Ihre Mörder verbreiteten die Bilder von ihrer Ermordung in den sozialen Medien. Einer dieser Mörder wurde jetzt von der syrischen Übergangsregierung zum Kommandeur der 86. Division ernannt. Ahmad Ihsan Fayyad Al-Hayes, der von den USA sanktionierte Milizenführer und verantwortlich für zahlreiche grausame Verbrechen gegen die kurdische Bevölkerung, ist im neuen Syrien in Amt und Würden.
Deutschland
Die ehemalige Bundesinnenministerin Faeser besuchte als eine ihrer letzten Amtshandlungen gemeinsam mit ihrem österreichischen Kollegen Damaskus. Besprochen wurde die Rückkehr von Syrer:innen. Die syrische Übergangsregierung zeigte sich offen für das Thema und ist bereit die notwendigen Papiere auszustellen.
Der „Aufruf für Frieden und eine Demokratische Gesellschaft“ von Abdullah Öcalan bleibt in der deutschen Innenpolitik weiter ungehört. Die Kriminalisierung politisch aktiver Kurd:innen im Land steht folglich weiter auf der Tagesordnung. Ende April wurden die Räume des Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrums in Bremen durchsucht. Die Anwesenden wurden stundenlang festgehalten. Erst im November 2024 und dann im wieder Januar 2025 war der Verein Ziel polizeilicher Maßnahmen.
Zum Abschluss noch eine Erfolgsmeldung aus Deutschland: Die Gemeinschaft der kurdischen Studierenden hat sich als studentischer Dachverband gegründet. Das Motto des Gründungskongresses in Frankfurt am Main lautete „Geschichte verstehen, Grenzen überwinden, Kurdistan vereinen“. Ca 500 Teilnehmende aus dem gesamten Bundesgebiet unterstrichen das große Interesse an dem Dachverband.
Türkei
Am 1. Mai galt wie jedes Jahr seit 1977 ein Demonstrationsverbot auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul. Alle Zufahrtswege wurden mit Metallbarrieren versperrt. Über 200 Menschen wurden bei dem Versuch die Absperrungen zu überwinden festgenommen. Die zentrale Feier zum Internationalen Tag der Arbeit fand im Istanbuler Stadtteil Kadıköy statt.
Ein Gericht in Ankara verurteilte den schwedischen Journalisten Joakim Medin wegen „Präsidentenbeleidigung“ zu elf Monaten und 20 Tagen Haft, setzte die Strafe jedoch zur Bewährung aus und ordnete seine Freilassung an. Medin bleibt jedoch aufgrund eines weiteren laufenden Ermittlungsverfahrens in Haft, in dem ihm „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen werden.
Auf der von ‚Reporter ohne Grenzen‘ veröffentlichten Rangliste für Pressefreiheit finden wir die Türkei auf Platz 159 von 180.
Der UN-Menschenrechtsrat kritisierte in seiner Sitzung am 6. Mai die Rechtsverletzungen in der Türkei. Die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, politisch motivierte Gerichtsverfahren, die fehlende Unabhängigkeit der Justiz, Verletzungen von Minderheitenrechten und die inhumanen Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen waren Thema.
Viele Menschen trauern um Sirri Süreyya Önder, der am 03. Mai 2025 im Alter von 62 Jahren nach einem Herzinfarkt verstorben ist. Der turkmenische Politiker und Filmemacher war Mitglied der DEM-Partei und der Imrali-Delegation und eine wichtige Stimme für Demokratie, Freiheit und Sozialismus im Land.
Eine Delegation der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) traf sich mit Justizminister Yılmaz Tunç. Thematisiert wurden die Haftbedingungen Abdullah Öcalans, die Situation kranker Gefangener, die Arbeit der Vollzugsausschüsse und die Inhalte des geplanten Justizpakets. Sezai Temelli, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, beurteilte das Gespräch als konstruktiv und inhaltlich wichtig. Wir zitieren ihn mit den Worten: „Natürlich kann man nicht alle Themen in einem einzigen Treffen klären, aber wir konnten zentrale Anliegen frühzeitig ansprechen – insbesondere im Hinblick auf das sich in Vorbereitung befindliche neue Justizpaket“. Zu Abdullah Öcalans Haftbedingungen sagte er: „Es ist nicht hinnehmbar, dass jemand, der in dieser Zeit mit seinem politischen Einfluss die Geschichte mitgestaltet, weiterhin unter so widrigen Bedingungen leben und arbeiten muss.“
Der Sprecher der AKP Ömer Celik wiederholte in einer Stellungnahme am Montag wieder die Erwartung an die PKK sich aufzulösen und an die Guerilla, die Waffen niederzulegen. Ein Angebot von Seiten der türkischen Regierung war nicht zu hören, aber aus seinen Worten lässt sich die Bedeutung der aktuellen Gespräche für die türkische Regierung heraushören.
Irak
Die Welle militärischer Angriffe der türkischen Armee auf Stellungen der Guerilla in denRegionen Zap, Xakurke, Gare und Metîna im Irak hält an. Die Pressestelle der Volksverteidigungskräfte spricht vom Einsatz verbotener Explosivstoffe, Phosphorbomben und bewaffneter Drohnen. Allein im April gab es 9.790 Angriffe aus der Luft und am Boden. Die Guerilla reagierte mit gezielten Gegenangriffen.
Ende April fanden in Hewlêr, der Hauptstadt der Kurdistan-Region des Irak, mehrere diplomatische Treffen statt, bei denen Vertreter:innen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien und der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) mit dem französischen Außenminister Barrot und mit dem Präsidenten der Kurdistan-Region des Irak Barzanî über die politische und sicherheitspolitische Zukunft Syriens berieten. Ein zentrales Thema war die Rolle der Kurd:innen in einem zukünftigen, stabilen Syrien. Ilham Ehmed, Ko-Außenbeauftragte der demokratischen Selbstverwaltung, und der SDF-Generalkommandant Mazlum Abdi trafen in diesem Rahmen mit Frankreichs Außenminister Barrot in Hewlêr zusammen, um über die aktuelle Lage in Syrien und die Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen in einen politischen Übergangsprozess zu sprechen.
Iran
Es reicht aus in der ‚Jin Jiyan Azadi-Bewegung‘ aktiv zu sein und sich friedlich für die kurdische Kultur und Sprache einzusetzen, um im Iran zu fünf Jahren Haft verurteilt zu werden.Am 19. April trat die kurdische Aktivistin und Sprachlehrerin Sirwe P. in der kurdischen Stadt Sine ihre Haftstrafe an. Sie zitiert den kurdischen Dichter Sherko Bekas: „Das Einzige, was ihr niemals erreichen werdet, ist, die Freiheit aus unserer Seele zu löschen. Ihr könnt unseren Körper einsperren, aber niemals die Freiheit in unseren Seelen“.
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