Das verlorene Geld der Zentralbank von Mosul

Ferda ÇetinFerda Çetin, Journalist, Yeni Özgür Politika, 23.06.2014

In den frühen Morgenstunden des 10. Juni hat ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) das Zentrum von Mosul eingenommen. Die Einnahme der Stadt hat nicht nach Belagerung und Kämpfen stattgefunden. Ein Gouverneur der Stadt hat sich mit den Sicherheitskräften und seinen Leuten ergeben, ohne dass ein einziger Schuss gefallen war.

Alles deutet darauf hin, dass 429 Mill. Dollar, die sich in der Zentralbank von Mosul befanden, in die Hände von ISIS geraten sind. Türkische Medien berichteten, dass ISIS dieses Geld „nach Robin-Hood-Manier“ unter der Bevölkerung von Mosul verteilte. Aber niemand in der Stadt hat dieses Geld je gesehen oder auch nur davon gehört. Denn es hat einfach nicht stattgefunden. Nachdem dieses Geld in Vergessenheit geraten war, traf sich Atheel al-Nujaifi, der Gouverneur von Mosul, mit Fehim Tastekin in Hewler (Hürriyet, 14.Juni 2014). Während des Treffens trat „eine Dame, die für die Finanzen in Mosul verantwortlich sei“ an Tastekin heran und beklagte: „Unsere Situation ist sehr schlecht, ISIS hat 500 Mill. Dollar von der Zentralbank beschlagnahmt und an die Menschen verteilt.“

Journalisten, die sich in der Verwaltung von Mosul gut auskennen, wurden dazu befragt. Es gibt kein Institut oder Amt, das sich „Finanzamt von Mosul“ nennt. Dementsprechend kann es auch keine „Dame geben, die für die Finanzen von Mosul verantwortlich“ sein kann. Offensichtlich ist dies eine Manipulation. Der Gouverneur Atheel al-Nujaifi und seine Helfer haben gleich in den ersten Stunden des Angriffs die Nachricht in Umlauf gebracht, ISIS habe 429 Mill. Dollar beschlagnahmt. Sie haben es nicht dabei belassen und erklärt, das Geld sei an die Bevölkerung verteilt worden. Diese Geschichte des „Geldverteilens“ sollte eine mögliche Gegenerklärung der ISIS, „es könne keine Rede davon sein, dass sie Geld der Mosuler Bank beschlagnahmt haben“ von vornherein blockieren.

Denn Daten und Belege weisen darauf hin, dass Atheel al-Nujaifi bereits schon vorher über den Angriff von ISIS informiert war. Es geht noch weiter, denn es gibt Erklärungen von ihm selbst dazu. „Ich habe noch einen Tag vor der Einnahme Mosuls mit dem türkischen Botschafter in Mosul Öztürk Yilmaz telefoniert. Ich habe ihn gebeten die gefährliche Situation, in der Mosul sich befindet, Ankara mitzuteilen.“(Internet Haber, 12. Juni 2014) Kann der Gouverneur al-Nujaifi, der im Voraus über den Angriff auf Mosul informiert war und seine Bekannten gewarnt hat, vergessen haben, dass bei diesem Angriff das Erste die Beschlagnahmung der Mosuler Zentralbank sein würde und in der Bank eine hohe Summe Geld gelagert war?

Journalisten, die Mosul, die Familie Nujaifi und den Gouverneur Atheel al-Nujaifi gut kennen, deuten an, dass die Behauptung, ISIS hätte 429 Mill. Dollar aus der Zentralbank an sich genommen, nicht der Wahrheit entspricht. Und nicht nur das, sondern dass sich diese hohe Summe Geld zurzeit nicht in den Händen der ISIS, sondern in der Kasse von Atheel al-Nujaifi befindet.

Eine vom Gouverneur al-Nujaifi unterschriebene Weisung vom 6. Juni 2014 an die Sicherheitskräfte und Stadtpolizei weist noch deutlicher auf die „Spur“ der 429 Mill. Dollar hin. Vier Tage vor dem Angriff wurde diese Weisung, die in der südkurdischen Presse breit diskutiert wurde, erlassen (ANF, 11.Juni 2014). Diese Weisung, mit Unterschrift des Mosuler Gouverneurs al-Nujaifi, war der Befehl, „sich nicht gegen die ISIS zu stellen und nicht zu kämpfen“.

In der sieben Punkte enthaltenden Anordnung des Gouverneurs wurden die militanten ISIS-Kämpfer „Mudschaheddin“ genannt. Es wird den Sicherheitskräften befohlen, nicht zu kämpfen, wenn die Mudschaheddin den Angriff einleiten. Die Anordnung an Kommandanten und Soldaten ist, nicht zu telefonieren und beim Rückzug Fahrzeuge und militärisches Material nicht mitzunehmen.

In al-Nujaifis Weisung wird befohlen, alle schriftlichen Wirtschaftsverträge nach Erhalt der Weisung zu verbrennen. Somit werden alle Belege über die Eigentümer der Gelder und der jeweiligen Höhe in der Mosuler Zentralbank verschwunden sein.

Der Gouverneur al-Nujaifi ist in der Nacht des Angriffs auf Mosul mit den 429 Mill. Dollar aus der Zentralbank nach Dohuk geflüchtet; und die Regierung in Südkurdistan ist über dies alles informiert. Es gibt eine direkte Verbindung dieses Geldes zu den Kritiken des Gouverneurs an der Regierung Maliki und den Komplimenten für die kurdischen Führungskräfte.

Dass sich die 429 Mill. Dollar der Zentralbank von Mosul nicht in den Händen der ISIS, sondern in denen der Familie Nujaifi befinden, dafür gibt es mehr als ein Argument. Die Vergangenheit der Familie und ihre jederzeit „guten“ Beziehungen zur Regierung werfen einen Schatten auf die Wahrheit der Geschichte des Mosuler Gouverneurs Atheel al-Nujaifi.

Die Familie Nujaifi ist eine der größten und bekanntesten Familien Iraks. Der ältere Bruder des Gouverneurs, Usama an-Nujaifi, war während der Diktatur Saddams zwölf Jahre lang (1980–1992) Minister für Industrie und Bergbau und seit 2010 Präsident des irakischen Parlamentes.

Usama an-Nujaifi hat sich eine Woche vor dem Angriff der ISIS auf Mosul in Ankara mit Tayyip Erdogan und eine Woche nach dem Angriff in Hewler mit Masud Barzanî getroffen. Haben diese Treffen vielleicht etwas mit dem Angriff der ISIS auf Mosul und den entwendeten 429 Mill. Dollar aus der Zentralbank vom Mosul zu tun?

YÖP, 23.06.2014, ISKU

 

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