Der Handel mit der Repression

Dr. Peer Stolle, Berliner Rechtsanwalt und Bundesvorsitzender des RAV, über die eigenen Interessen Deutschlands bei der Zusammenarbeit mit türkischen Sicherheitsbehörden, 28.09.2018

Das vorläufige Ergebnis von zwei Jahren Prozess vor dem Oberlandesgericht München gegen zehn Angeklagte, die der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) beschuldigt werden: Für sechs der Angeklagten wurde mittlerweile der Haftbefehl aufgehoben bzw. außer Vollzug gesetzt, die weiteren vier Angeklagten sitzen seit drei Jahren und fünf Monaten ununterbrochen in Untersuchungshaft. Ein Ende des Verfahrens ist nicht abzusehen. Parallel dazu finden – von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – laufend Verfahren vor den Oberlandesgerichten gegen Kurd_innen statt, denen Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen wird und die in der Regel zu Freiheitsstrafen zwischen eineinhalb und drei Jahren verurteilt werden. Zuletzt wurden auch einzelne Bewährungsstrafen verhängt.

In zunehmendem Maße werden Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz gegen Personen geführt, weil sie Fahnen der syrisch-kurdischen Organisation YPG und YPJ getragen, gepostet oder in anderer Form in der Öffentlichkeit gezeigt haben. Versammlungsverbote und Hausdurchsuchungen bei Vereinen sind weitere Beispiele für Repression, der sich die kurdische Linke gegenübersieht.

Es wäre verkürzt, diese lediglich als Umsetzung des Willens des türkischen Staates durch deutsche Sicherheitsbehörden zu interpretieren. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden exekutieren nicht einfach den Willen Erdogans: Der deutsche Staat hat schon immer linke, emanzipative Bewegungen als »staatsgefährdend« angesehen; dies gilt auch für die kurdische und türkische Linke.

Unbedingter Verfolgungswille

Es gab ein kleines Zeitfenster, in dem die Kurd_innen in Syrien, die die Stadt Kobanê gegen den IS erfolgreich verteidigten, in der weltweiten Öffentlichkeit zu Held_innen erklärt wurden. Kurz schien es so, als ob das PKK-Verbot gelockert werden könnte. Ein Trugschluss: Es kam zu keiner Liberalisierung der Verfolgungspraxis in Deutschland. Vielmehr hat sich der Generalbundesanwalt sehr zeitnah damit beschäftigt, ob für die Einleitung von Strafverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der YPG und YPJ eine eigene Verfolgungsermächtigung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz erforderlich ist oder ob die für die PKK erteilte Verfolgungsermächtigung ausreichend ist. Seitens der Bundesanwaltschaft wurde dementsprechend eine ganze Reihe von Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß §129b StGB gegen Personen eingeleitet, denen vorgeworfen wird, in Syrien an der Seite der YPG und YPJ gekämpft zu haben. Bisher wurden die Verfahren in der Regel folgenlos eingestellt.

Aus keinem anderen europäischen Land sind derartige Verfahren gegen YPG und YPJ bekannt. Überhaupt wird in keinem anderen europäischen Staat die Verfolgung der Opposition gegen das Erdogan-Regime so intensiv und nachhaltig betrieben wie in Deutschland. Es wird zwar gutgeheißen, wenn die syrischen Kurd_innen den sogenannten Islamischen Staat bekämpfen. Dies bedeutet aber nicht, dass der deutsche Staat die Anhänger_innen des Demokratischen Konföderalismus in den kurdischen Gebieten weniger repressiv verfolgt.

Auch wenn in der Öffentlichkeit der Ton zwischen Deutschland und der Türkei immer mal wieder scharf wird, funktioniert die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit im Bereich »Linksterrorismus« fast ungebrochen. Aus Antworten auf kleine Anfragen der LINKEN ergibt sich, dass persönliche Treffen zwischen deutschen und türkischen Polizeikräften häufig im Monatstakt zur gegenseitigen Unterrichtung oder Ausbildung stattfinden.

Hinzu kommen in konkreten Ermittlungsverfahren der gegenseitige Austausch von Informationen auf dem informellen oder förmlichen Weg. Auch die nach dem Putschversuch 2016 durchgeführten Säuberungswellen, von denen auch der türkische Polizei- und Justizapparat stark betroffen ist, führten nur kurzzeitig zu einer Einschränkung im Informationsaustausch. Dieser läuft ungebrochen zwischen den deutschen und türkischen Behörden, obwohl eine Reihe von Polizisten, die in den Anti-Terror-Abteilungen in der Türkei tätig geworden sind, mittlerweile suspendiert, verhaftet oder verurteilt worden sind. So wurde u.a. der hochrangige Polizeibeamte Omer Köse von der Polizeigeneraldirektion Istanbul, der für die Beschaffung von Informationen im oben genannten TKP/ML-Verfahren verantwortlich gewesen ist, mittlerweile wegen Beweismittelfälschung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu mehreren Jahren Haft verurteilt.

Deutsch-türkische Tauschgeschäfte

Durch Zeugenaussagen in dem TKP/ML-Verfahren wurde offensichtlich, dass es den deutschen Beamten egal ist, mit wem sie auf der anderen Seite zusammenarbeiten. Hauptsache, die gewünschten Informationen werden gestellt. Die in der Türkei geführten Strafverfahren gegen Polizeibeamte führen nicht zu einer Neubewertung der von ihnen übermittelten Informationen.

Es ist eher davon auszugehen, dass man – ähnlich wie die Türkei – immer einige Verschärfungsmaßnahmen bereit hält, um diese im »Tausch« gegen ein Entgegenkommen aus der Türkei ergreifen zu können. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der aktuelle Runderlass aus dem Bundesministerium des Inneren vom 29. Januar 2018 zu sehen, mit dem sowohl die Verbotspraxis in Bezug auf Versammlung mit kurdischem Themenbezug als auch das bezüglich der PKK ausgesprochene Kennzeichnungsverbot erweitert wurde. Aufgrund dieses Erlasses wurde u.a. die zentrale Veranstaltung zum kurdischen Neujahrsfest in Hannover verboten – das Verbot wurde allerdings vom Verwaltungsgericht Hannover wieder aufgehoben. Einen Tag vorher, am 28. Januar 2018, wurde durch das Bundesministerium des Inneren ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den kurdischen Mezopotamien-Verlag und den kurdischen Musikvertrieb MIR Multimedia eingeleitet – zur Prüfung, ob diese Unternehmen wegen angeblicher Unterstützung der PKK verboten werden sollen. Im Rahmen des vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens wurde der gesamte Bestand und das gesamte Archiv des Mezopotamien-Verlages und der MIR Multimedia GmbH sichergestellt und die Arbeit dieser Vertriebe de facto lahmgelegt.

Kurz vorher, nämlich Anfang Januar 2018, fand der Besuch des damaligen türkischen Außenministers Cavusoglu bei dem damaligen deutschen Außenminister Gabriel in Goslar statt, in dessen Vorfeld ein härteres Vorgehen des deutschen Staates gegen die kurdische Bewegung gefordert wurde. Kurz nach diesem Treffen wurden die oben genannten Maßnahmen ergriffen und der Journalist Deniz Yücel freigelassen. Die deutschen Sicherheitsbehörden passen sich damit der türkischen Strategie eines Repressionshandels an. Dass dabei aber die deutschen Interessen ein maßgebliches Kriterium sind, zeigt sich am Umgang mit den nach Deutschland geflüchteten Gülen-Anhängern, bei denen den Forderungen aus der Türkei nach Auslieferung oder Verfolgung in Deutschland nicht nachgekommen wird.

Die Repression läuft weiter – wenn auch mitunter stockend. In dem bereits erwähnten TKP/ML-Verfahren ist es der Verteidigung möglich, sehr ausführlich die Situation in der Türkei und die Probleme der deutsch-türkischen Zusammenarbeit zu thematisieren, wobei sich das Gericht gegenüber diesen Fragen – erstaunlich für einen Staatsschutzsenat – auch verhältnismäßig offen zeigt. Angesichts des politischen Charakters von Staatsschutzverfahren geht die Verteidigung trotzdem davon aus, dass die Angeklagten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Für den Hauptangeklagten besteht die Befürchtung, dass dieser, obwohl er nachweislich an keiner einzigen Gewalttat oder diesbezüglichen Planung beteiligt war, eine höhere Freiheitsstrafe für seine angebliche mitgliedschaftliche Betätigung in der TKP/ML erhalten wird als Beate Zschäpe für ihre 13-jährige Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Mörderbande NSU, die dafür zu einer Einzelstrafe von sechs Jahren verurteilt wurde.