Der immer wiederkehrende Tod des Bahoz Erdal

bahoz-erdalCivaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 29.06.2016

Es ist schon wieder Mal so weit…Die türkischen Medien haben im Laufe der Woche den Tod von Dr. Bahoz Erdal gemeldet, einem „hochrangigen PKK-Kader“. Demnach wurde Dr. Erdal in Syrien von einer bisher unbekannten Gruppe getötet, während er in einem Fahrzeug in der Nähe der Stadt Qamislo unterwegs war.

Diese Art von Meldungen werden öfters in den türkischen Medien serviert. Der Zweck solcher Nachrichten ist es, die Gegner zu demoralisieren, abzulenken und die eigenen Schwächen zu verstecken.

Eine Chronologie des jüngsten Todes

Dr. Bahoz Erdal erscheint öfters in den türkischen Medien. Das Szenario ändert sich zwar manchmal, aber in den meisten Fällen wird entweder von seinem Tod oder eines Machtkampfes, in dem Dr. Erdal mit anderen PKK-Führungsmitgliedern verwickelt ist, berichtet.

Im Jahre 2007 wurde von türkischen Medien der Tod „vieler Teilnehmer einer strenggeheimen Sitzung der PKK-Führung“ gesprochen, bei dem u.a. Dr. Erdal ums Leben kam.

2008 wurde berichtet, dass zwischen der „Syrien-Gruppe“ um Dr. Erdal herum gegen die „Türkei-Gruppe“ um Murat Karayilan (damals KCK-Exekutivratsvorsitzender) ein Machtkampf herrsche, bei dem es jedes Mal zu Toten zwischen beiden Seiten komme.

Im selben Jahr wurde nach der Zap-Offensive des türkischen Militärs berichtet, dass „die Führungskader mit ihren Gruppen desertieren“ würden. Auch hier fiel mehrfach der Name von Bahoz Erdal.

Im Jahre 2009 erklärten türkische Medien, dass Dr. Erdal wegen des andauernden Machtkampfs von Murat Karayilan „inhaftiert“ wurde. Nach der Inhaftierung würde die „Syrien-Gruppe“ keine Befehle mehr befolgen und rebellieren.

Auch im Jahr 2009 übergab Dr. Erdal seinen Posten als Oberkommandeur der Volksverteidigungseinheiten HPG an Nurettin Sofi. Diese Übergabe präsentierte die türkische Presse als „Entmachtung“ Dr. Erdals.

2012 meldeten türkische Medien einen „Zuwachs an syrischen Mitgliedern“ innerhalb der PKK, was die Hand Dr. Erdals stärke. Dies führte laut türkischen Medien zu weiteren Spannungen zwischen der vermeintlichen Syrien- und Türkei-Gruppe innerhalb der Partei.

Ende 2012 als 34 Zivilisten in Roboskî an der türkisch-irakischen Grenze durch die türkische Luftwaffe ermordet wurden, versuchte der türkische Staat den Vorfall u.a. damit zu legitimieren, dass „Dr. Erdal in der Gegen unterwegs“ gewesen sei.

2014 wurde der Tod Dr. Erdals während des Kampfes um Kobanê gemeldet.

Im März 2016 wurde gemeldet, dass Dr. Erdal und Sofi die YPG führen würden. Im Juli meldete die türkische Presse dann einen Machtkampf zwischen der PKK und der PYD (Türkei-/Syrien-Gruppe).

Anfang dieser Woche wurde erneut der Tod Dr. Erdals gemeldet. Dr. Erdal wurde demnach zusammen mit seinen Leibwächtern nähe Qamislo in die Luft gesprengt. Eine bisher unbekannte militärische Gruppe aus Syrien hätte sich demnach in die PYD „eingeschlichen“ und „zum richtigen Zeitpunkt zugeschlagen“.

Was passierte nach der Meldung?

Eigentlich dasselbe, was nach jeder dieser Meldungen passiert. Zuerst werden diese Nachrichten ganz weit oben in allen Medienorgane platziert. Agenturen melden dies als „Breaking News“, Sender unterbrechen manchmal ihre Sendungen und schalten „Terrorspezialisten“ ein, die über die Folgen sprechen und (insbesondere regierungsnahe)  Politiker versuchen die moralische Oberhand zu gewinnen. So drückte ein AKP-Politiker sein (ironisches) Beileid gegenüber dem HDP-Vorsitzenden aus.

Und danach?

Im Anschluss werden weitere, sehr phantasiereiche Tatsachen präsentiert. So sei z.B. Dr. Erdal auf dem Weg nach Minbic gewesen, dessen Operation er persönlich leite. Oder der türkische Geheimdienst wäre in einer strenggeheimen Operation für den Tod Dr. Erdals verantwortlich. US-Soldaten wären im gleichen Fahrzeug gestorben – jene, die YPG Symbole auf ihrer Uniform trugen. Die PKK verbiete ihren Kadern das Thema öffentlich zu treten, um eine Demoralisierung zu vermeiden. Hochrangige Politiker melden sich zu Wort und erklären die Tatsache zu „99% als wahr“, hätten aber noch keine abschließenden Beweise.

Warum wird das gemacht?

Dass das erste Opfer eines jeden Kriegs die Wahrheit ist, ist keine neuentdeckte Tatsache. Doch in unserem Medienzeitalter scheint die Rolle der medialen Kriegspropaganda fast schon eine größere Relevanz zu spielen, als das, was tatsächlich auf den Kriegsschauplätzen sich abspielt. Das leider eindrucksvollste Beispiel hierfür ist wohl der IS, dem es durch seine professionelle Medienaufmachung gar gelungen ist, Schlachten gegen technisch und zahlenmäßig stärkere Militäreinheiten allein durch seinen ihm vorauseilenden Ruf in den Medien für sich zu gewinnen (wie beispielsweise in Mosul gegen die irakische Armee). Ebenso wichtig sind die Medien für Kriegsparteien allerdings auch, wenn es auf dem Kriegsfeld nicht so wie gewünscht läuft oder die eigene Bevölkerung Anzeichen für Kriegsermüdung zeigt. Gerade dann bedarf es Siegesmeldungen vom Schlachtfeld, um die Moral der eigenen Seite oben zu halten und die Gegenseite zu demoralisieren.

Bei der Relevanz, welche die Medien in Kriegen spielen, ist es kein Wunder, dass sich auch zahlreiche Sozialwissenschaftler mit diesem Phänomen beschäftigen. Der Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung hat bereits in den 1990er Jahren mit dem Konzept des Friedensjournalismus (in Abgrenzung zum Kriegsjournalismus) versucht deutlich zu machen, dass die Medien friedensfördernd in Konfliktverläufe einwirken können. Sie können aber eben auch das genau Gegenteil tun, und Kriege unterstützen, befördern und weiter anheizen. Die Meldungen um den Tod von Dr. Erdal sind ein Paradebeispiel für den Kriegsjournalismus. So ist ein Kennzeichen des Kriegsjournalismus die propagandaorientierte Berichterstattung (im Gegensatz zur Wahrheitsorientierung des Friedensjournalismus). Denn der Fokus im Kriegsjournalismus liegt auf der Frage, wer im Krieg die Oberhand hat. Wenn da die Realität auf dem Schlachtfeld nicht ganz den eigenen Wünschen entspricht, so bedarf es auch mal einiger phantasievoller Meldungen, die durch die Medien gejagt werden. „Bahoz Erdal ist getötet worden – die PYD dreht durch“ (Yeni Akit, 10.07.2016) oder „Bahoz Erdal ist getötet worden – in der PKK macht sich die Angst breit“ (Sabah, 10.07.2016) sind Beispiele für eben diese Phantasie türkischer Journalisten, die sich dem Kriegsjournalismus verschrieben haben.

Schwierig wird die ganze Sache nur, wenn ein Mann wie Dr. Bahoz Erdal so viele Tode stirbt. Irgendwann wirkt dann nämlich auch noch der beste Kriegsjournalist schlichtweg unglaubwürdig.

Und zu Schluss?

Am Ende verliert das Thema an Relevanz. Es wird vielleicht noch ein paar Mal aufgekocht und verschwindet dann aus der Tagesordnung. Bis auf ein nächstes Mal…