AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, 20. Juli 2015
Bei einer schweren Explosion in der Stadt Pirsûs (türk.: Suruc) nahe der syrischen Grenze wurden in den frühen Mittagsstunden mindestens 30 Menschen getötet und Dutzende Menschen verletzt. Nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF soll ein Selbstmordattentäter des IS diesen Anschlag auf eine Versammlung der Föderation der Sozialistischen Jugendverbände der Türkei verübt haben. Etwa 300 Jugendliche waren im Kulturzentrum Amara zusammengekommen, um über den Wiederaufbau der durch die IS-Terroristen zerstörten Stadt Kobanê zu diskutieren und anschließend dorthin zu reisen. Bereits auf dem Weg zu diesem Treffen war es zu Provokationen und Festnahmen durch Polizeikräfte gekommen.
Gleichzeitig haben Mitglieder des IS versucht, in der Nähe einer Schule im Süden von Kobanê ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug zur Explosion zu bringen. Die Volksverteidigungseinheiten der YPG jedoch konnten diesen geplanten Anschlag verhindern.
Während kurdische Verteidigungskräfte seit einem Jahr einen erbitterten Widerstand gegen die Terrororganisation Islamischer Staat führen, unterstützt das NATO-Mitglied Türkei das Vorgehen dieser Banden, um das fortschrittliche Selbstverwaltungsprojekt von Rojava zu Fall zu bringen.
Doch statt die Bewohner*innen von Rojava und deren Verteidigungskräfte YPG/YPJ zu unterstützen, hat sich außerdem die Bundesregierung zur Bekämpfung des IS-Terrors „ihre“ Kurden auserwählt: Seit Mitte letzten Jahres werden die Peschmerga der Autonomen Region Kurdistans im Nordirak mit Waffen beliefert und von Soldaten der Bundeswehr ausgebildet. Von dieser Militärhilfe profitiert insbesondere die dortige „Demokratische Partei Kurdistans“ (KDP) des Präsidenten Masud Barzani, der mit der türkischen AKP-Regierung kollaboriert.
Wie anders verhält sich die Bundesregierung gegenüber der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ihren Strukturen und ihren Aktivist*innen! Ungeachtet aller politischen Entwicklungen und Veränderungen hält auch diese Regierung an einer repressiven, undemokratischen und längst nicht mehr nachvollziehbaren, absurden Vorgehensweise fest. Mit dieser Politik unterstützt sie letztendlich den blutigen Terror des IS und die Verfolgungsstrategie des türkischen Staates.
Das zeigt auch die neuerliche Verhaftung eines kurdischen Aktivisten.
Am 18. Juli wurde Ahmet C. während einer Wohnungsdurchsuchung festgenommen und am nächsten Tag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt. Der Generalbundesanwalt wirft ihm die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ (§ 129b StGB) vor. Er soll als PKK-Kader den Deutschland-Sektor Mitte von Juni 2013 bis Juni 2014 geleitet haben. Vorgeworfen werden ihm politische Aktivitäten, die in jeder x-beliebigen deutschen Partei alltäglich sind – wie das Organisieren von Veranstaltungen, Kampagnen oder Demonstrationen. Die im Haftbefehl formulierten Beschuldigungen gegen den 50-Jährigen gleichen Textbausteinen, weil sie genau so auch in anderen Haftbefehlen nachzulesen sind. Ausgetauscht sind lediglich Namen und Orte.
Ahmet C. wurde inzwischen von Karlsruhe in die JVA Köln verbracht.
Wir protestieren in aller Schärfe gegen dieses völlig inakzeptable Vorgehen des bundesdeutschen Strafverfolgungsapparates gegen die PKK und ihre Aktiven. Wir fordern die Einstellung aller Verfahren nach § 129b, die Freilassung aller politischen Gefangenen und Solidarität mit den Betroffenen. Unser Mitgefühl und unsere Trauer gilt den Familienangehörigen, Freund*innen und Genoss*innen der Anschlagsopfer.