Bewertung des Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 28.04.2016
Im Krieg befindliche Regionalmächte sind sich einig in ihrer Position gegen die Demokratische Föderation Nordsyriens/Rojava
Am 19. April versuchten Einheiten des noch in Teilen Qamişlos stationierten Regimes ein Mitglied der Verkehrspolizei der Selbstverwaltung festzunehmen. Diese Festnahme wurde von Mitgliedern der Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung Rojavas, der Asayiş, verhindert. Scharfschützen des Regimes eröffneten daraufhin das Feuer und töteten mindestens zwei Mitglieder des Asayiş und zwei Zivilisten. Die Auseinandersetzungen weiteten sich aus, Stadtviertel wurden vom syrischen Regime mit Artillerie bombardiert. Bis zum Waffenstillstand am 22. April waren drei YPG Kämpfer, sieben Mitglieder des Asayiş und 17 Zivilpersonen vom Regime getötet worden. Bei den Kämpfen starben auch syrische Soldaten bzw. Milizionäre, 102 syrische Soldaten wurden in Gewahrsam genommen. Weiterhin wurden mehrere strategische Punkte, unter anderem das berüchtigte Elaya Gefängnis der Kontrolle des Regimes entrissen und die Gefangenen befreit.
Nach zwei Tagen Gefechten konnte ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Dieser Waffenstillstand zeigt vor allem, dass die Selbstverwaltung von Rojava immer wieder dazu bereit ist, einer politischen Lösung den Vorzug zu geben. Dies stellt eines der zentralen Paradigmen der kurdischen Freiheitsbewegung in allen Teilen Kurdistans dar. Gewalt dient nur der Selbstverteidigung, Mittel der Lösung ist der Dialog. Dass dieser Waffenstillstand nicht aus einer Position der Schwäche heraus geschlossen worden ist, zeigt auch, dass nicht zum Status Quo Ante zurückgekehrt wurde, sondern die Verteidigungskräfte die befreiten Stellungen halten konnten, während das Regime ein berüchtigtes Folterzentrum verloren hat.
Diese Auseinandersetzungen stellen keinen Zufall dar. Das syrische Regime sieht sich durch seine Position in den Genf III Verhandlungen gestärkt. Die offizielle Ausladung der Selbstverwaltung von Rojava auf Druck der Regionalmächte und mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland stellte einen Schwächungsversuch Rojavas durch eben diese Kräfte dar. Somit sah sich nicht nur das Regime in der Lage, seine Angriffe auf Rojava auszuweiten. Die Selbstverwaltung von Rojava antwortete hingegen mit Vertreter_innen der Völker und Gemeinschaften Nordsyriens auf die Ausladung zu Genf III jedoch mit einem qualitativen Sprung nach vorne, nämlich der Ausrufung der Demokratischen Föderation Nordsyriens/Rojavas und zeigte sich damit noch deutlicher als de facto existente und funktionierende Alternative zum monistischen, zentralistischen Nationalstaat Syrien und den anderen konkurrierenden aber im gleichen Status Quo befindlichen Regionalmächten.
Der syrische Außenminister antwortete auf diese Erklärung damit, dass er „jeden der es wagt, die Einheit des Landes und der Menschen von Syrien und gleich welchem Titel zu unterminieren“ warne. Ein föderales System aufzubauen widerspreche der syrischen Verfassung und allen nationalen Konzepten und internationalen Resolutionen.
Die sog. Nationale Koalition, also das Bündnis der von den Regionalmächten abhängigen „Oppositionskräften“, die ihren Sitz in der Türkei hat, antwortete im gleichen Duktus wie die syrische Regierung und bezeichnete dies als eine „Enteignung des Willens des syrischen Volkes“. Gleichzeitig verschärften Regime und Opposition, wie auch kollaborierende kurdische Gruppen, ihre Angriffe auf die Selbstverwaltung. Dies zeigte sich in den schweren Bombardements des selbstverwalteten Viertels Şêxmeqsûd in Aleppo bei denen dutzende Zivilist_innen ums Leben kamen und die immer noch andauern. Die Angriffe werden in Aleppo sowohl von sog. Oppositionskräften, rechtsextremen turkmenischen Milizen, kurdischen Kollaborateuren durchgeführt. Gleichzeitig setzt auch das syrische Regime seine Bomber gegen den Stadtteil ein.
Im Hintergrund scheint es wohl im Umgang mit der Demokratischen Föderationen Einigungen gegeben zu haben. So fanden bzgl. der Erklärung der Demokratischen Föderation Nordsyrien/Rojava nach Angaben der algerischen Tageszeitung Al Watan zumindest indirekte Gespräche zwischen der türkischen Regierung und dem syrischen Regime unter algerischer Vermittlung statt. Auch die antikurdische Allianz mit dem hinter dem Assad Regime stehenden Iran, wurde mit dem Staatsbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu im März gestärkt. Das iranische Regime fühlt sich vom Beispiel der Demokratischen Autonomie und des Selbstbewusstseins der Kurd_innen im Eintreten für ihre demokratischen Rechte ebenso bedroht wie das Türkische. Da Rojava den nationalstaatlichen Status Quo des Mittleren Ostens in Frage stellt, versuchen die hegemonialen Staatsapparate alles in Gang zu setzen, um das Projekt zum Scheitern zu bringen. Sie sind sogar dazu bereit, ihre eigenen Differenzen zeitweise zurückzustellen. Die deutsche Bundesregierung sollte ihren Einfluss auf die Regionalmächte zu gelten machen, damit diese ihre Aggressionen im Syrienkonflikt einstellen. Ansonsten werden immer mehr Menschen sich dazu gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen.