Eine Stadt sollte den IS nicht allein bekämpfen müssen

kobani5Wie die Türkei den Kampf Kobanês gegen den IS behindert
Meysa Abdo*, 28.10.2014, Kobanê, New York Times

Wir, die Menschen der syrischen Stadt Kobanê, kämpfen nun seit dem 15. September. Wir kämpfen, obwohl sowohl an Zahl als auch an Waffentechnik unterlegen, gegen einen Angriff mit allen Mitteln der Armee des Islamischen Staates, auch bekannt als IS.

Trotzdem die Angriffe im letzten Monat zugenommen haben und mittlerweile auch den Einsatz von von den USA produzierten Panzerfahrzeugen und Panzern beinhalten, war der Islamische Staat nicht in der Lage, den Widerstand der Kämpferinnen und Kämpfer von Kobanê zu brechen.

Wir verteidigen eine demokratische, säkulare Gesellschaft von KurdInnen, AraberInnen, MuslimInnen und ChristInnen, die akut von einem Massaker bedroht sind.

Der Widerstand von Kobanê hat unsere ganze Gesellschaft mobilisiert und viele von deren AnführerInnen, mich eingeschlossen, sind Frauen. Diejenigen von uns, die an der Front stehen, sind sich der Behandlung von Frauen durch den IS sehr bewusst. Wir erwarten von allen Frauen auf der Welt, uns zu helfen, denn wir kämpfen für die Rechte der Frau überall. Wir erwarten von ihnen nicht, dass sie kommen und hier mit uns kämpfen (auch wenn wir stolz wären, wenn Frauen es täten). Aber wir fordern die Frauen auf, unsere Sache an die Öffentlichkeit zu bringen, das Bewusstsein über unsere Situation in ihren eigenen Ländern zu wecken und ihre Regierungen unter Druck zu setzen, uns zu helfen.

Wir sind der Koalition dankbar für ihre intensivierten Angriffe auf die Stellungen des IS. Diese Angriffe waren entscheidend, dessen Möglichkeiten zur Nutzung der Panzer und schweren Artillerie einzuschränken. Aber wir haben bis zu den begrenzten Abwürfen von Waffen und Versorgungsgütern durch die Koalition am 20. Oktober ohne jegliche logistische Unterstützung vom Rest der Welt gekämpft – diese Abwürfe müssen weitergehen, wenn uns nicht die Munition ausgehen soll.

Nichts davon ändert etwas an der Tatsache, dass unsere Waffen noch immer nicht denen des IS entsprechen.

Wir werden niemals aufgeben. Aber wir brauchen mehr als nur Gewehre und Granaten, um unserer Verantwortung gerecht zu werden, der Koalition im Kampf gegen die DschihadistInnen helfen. (…)

Die Türkei, ein NATO-Mitglied, hätte eine Alliierte in diesem Konflikt sein müssen. Sie hätte uns einfach helfen können, indem sie uns die Bewegung zwischen den verschiedenen syrisch-kurdischen Gebieten erlaubt hätte, so wie sie uns erlaubt hätte, KämpferInnen und Versorgungsgüter durch die Türkei zu bewegen.

Stattdessen hat der türkische Präsident R.T. Erdogan mehrfach unsere KämpferInnen, die eine unterschiedliche und demokratische Gesellschaft verteidigen, mit dem mörderischen IS gleichgesetzt, erwiesenermaßen wegen der Kontroverse um die kurdische Bevölkerung in der Türkei.

Letzte Woche, nachdem die internationale und inländische Kritik zugenommen hatte, haben türkische Verantwortliche erklärt, einen Korridor für eine kleine Gruppe irakischer Peschmerga-KämpferInnen und Brigaden der Freien Syrischen Armee nach Kobanê zu öffnen. Aber sie erlauben immer noch nicht anderen syrischen KurdInnen, türkisches Territorium zu durchqueren, um zu uns zu gelangen. Das wurde ohne Abstimmung mit uns entschieden.

Infolgedessen kann der IS unendliche Mengen neuer Kräfte und Munition heranbringen, wir sind immer noch von allen Seiten blockiert – auf drei Seiten vom IS, auf der vierten von türkischen Panzern. Es gibt Beweise dafür, dass türkische Kräfte dem IS erlaubt haben, Menschen und Material über die Grenze zu bewegen. Aber syrisch-kurdischen KämpferInnen ist es nicht gestattet, dasselbe zu tun.

Die türkische Regierung verfolgt eine antikurdische Politik gegen die syrischen KurdInnen und es ist ihre Priorität, die kurdische Freiheitsbewegung in Nordsyrien zu unterdrücken. Sie wollen, dass Kobanê fällt.

Wir standen der Türkei niemals feindselig gegenüber. Wir wollen sie als Partnerin, nicht als Feindin, und wir glauben, dass es auch im Interesse der türkischen Regierung liegt, lieber eine Grenze mit einer demokratischen Verwaltung als mit dem IS zu haben.

Die westlichen Regierungen sollten ihren Druck auf die Türkei verstärken, damit diese einen Korridor für syrisch-kurdische Kräfte und deren schwere Waffen öffnet, um die VerteidigerInnen von Kobanê über ihr Territorium erreichen zu können. Wir sind der Überzeugung, dass ein solcher Korridor statt für den sehr begrenzten Transport anderer KämpferInnen unter der Aufsicht der Vereinten Nationen geöffnet werden muss.

Wir haben bewiesen, dass wir eine der wenigen effektiven Kräfte sind, die den IS in Syrien bekämpfen. Wenn wir ihn unter gleichen Bedingungen treffen, besiegen wir ihn immer. Wenn wir mehr Waffen hätten und sich mehr KämpferInnen aus anderen Orten Syriens anschließen könnten, wären wir in der Lage, dem IS einen tödlichen Schlag zu versetzen, einen Schlag, der letzten Endes zu seiner Auflösung in der ganzen Region führen würde.

Die Menschen von Kobanê brauchen die Aufmerksamkeit und die Hilfe der Welt!
*Meysa Abdo ist auch unter dem Kampfnamen Narin Afrin bekannt, sie ist Kommandantin des Widerstands von Kobanê.

http://www.nytimes.com/2014/10/29/opinion/turkeys-obstruction-of-kobanis-battle-against-isis.html?_r=0