Einst gehasst und jetzt geliebt: Kann Öcalan den Weg von Mandela folgen?

The Region über die Parallelen zwischen Abdullah Öcalan und Nelson Mandela, 24.07.2018

Kann man einen Vergleich zwischen Mandela, dem Mitbegründer von Umkhonto we Sizwe („Der Speer der Nation“), dem militärischen Arm des African National Congress (ANC) und Abdullah Öcalan, dem Architekten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), anstellen?

Nur wenn die Frage so gestellt wird, wie es der ehemalige Guardian-Kolumnist Seumas Milne mit dem “Kumbaya”-Mythos von Mandela ((https://www.theguardian.com/commentisfree/2013/dec/11/mandela-sanitised-hypocrites-apologists-apartheid)) formulierte, können wir diese Frage ehrlich ansprechen.

Frage irgendjemanden nach den Namen, die in den Sinn kommen, wenn man Mandelas Namen hört und man bekommt wahrscheinlich Gandhi, Martin Luther King, vielleicht sogar den Dalai Lama zu hören. Wer ist daran schuld? Viele wissen, dass Mandela 27 Jahre lang inhaftiert war, aber sie kennen weder die Gründe, noch etwas über seine Rolle im Gefängnis. Mandela wurde verhaftet, weil er den bewaffneten Kampf Südafrikas gegen die Apartheid verkündete.

Nach dem Tod von Mandela bemerkte der Guardian-Kolumnist: „Es wurde in den letzten Tagen kaum erwähnt, aber Mandela unterstützte den bewaffneten Feldzug des ANC mit Sabotage, Bombenanschlägen und Angriffen auf Polizei- und Militärziele während seiner Zeit im Gefängnis.“ Wie Öcalan wusste er, dass obwohl Zivilisten nie das Ziel waren, manchmal auf tragische Weise Opfer wurden ((http://news.bbc.co.uk/onthisday/hi/dates/stories/may/20/newsid_4326000/4326975.stm)). Wie auch im Falle Öcalans wurden manchmal unabhängig von den Empfehlungen des Zentralkomitees Entscheidungen innerhalb der großen Organisationen getroffen.

Und am wichtigsten ist, dass Mandela wie Öcalan immer versuchte, den Konflikt zu deeskalieren, indem er den Weg des Friedens vorschlug. Doch obwohl Mandela ein Befürworter des Friedens war, hat er nie auf die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes verzichtet oder sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Selbst als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, sagte Mandela folgendes:

„Die Faktoren, die den bewaffneten Kampf notwendig machten, existieren noch heute. Wir haben keine andere Wahl, als weiterzumachen. Wir bringen die Hoffnung zum Ausdruck, dass bald ein Klima geschaffen wird, das einer Verhandlungslösung förderlich ist, damit sie nicht länger die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes ist. Ich bin ich ein loyales und diszipliniertes Mitglied des ANC. Deshalb stimme ich mit allen Zielen, Strategien und Taktiken überein.“ ((https://www.nytimes.com/1990/02/12/world/south-africa-s-new-era-transcript-mandela-s-speech-cape-town-city-hall-africa-it.html)) Dies stellt die These in Frage, die oft von denjenigen verbreitet wird, die seine Geschichte geradebiegen wollen, wonach Mandela auf den bewaffneten Kampf im Gefängnis verzichtete und ein “Reformer“ wurde. Es würde ihnen jeder nachsehen, wenn Sie diese Worte mit denen von Öcalan verwechseln würden.

Warum wollte Mandela Öcalan Asyl gewähren, als er auf der Flucht war? Weil er in Öcalan etwas von sich selbst gesehen hat. Wie Öcalan war Mandela der Kopf eines bewaffneten Kampfes, er war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Südafrikas ((http://www.sacp.org.za/main.php?ID=4154)) und wurde von den meisten westlichen Staaten zum Terroristen erklärt.

Wie Öcalan war auch Mandela auf der Flucht vor einem internationalen Komplott, dass das Ziel seiner Verhaftung verfolgte. Wie die New York Times im Jahr 1999 enthüllte, spielte die CIA eine wichtige Rolle bei der Verhaftung von Mandela im Jahr 1962. ((https://www.nytimes.com/1990/06/10/world/cia-tie-reported-in-mandela-arrest.html))

Die ehemalige Premierministerin des Vereinigten Königreichs antwortete im Jahr 1987 auf die Frage nach einem möglichen Friedensprozess mit dem ANC und Mandela: “Eine beträchtliche Anzahl der ANC-Führer sind Kommunisten… Wenn der ANC sagt, dass sie britische Unternehmen ins Visier nehmen werden, zeigt dies, was für eine typische terroristische Organisation sie sind… Ich habe den Terrorismus mein ganzes Leben lang bekämpft…. Ich werde nichts mit einer Organisation zu tun haben, die Gewalt ausübt. Ich habe noch nie jemanden von der ANC oder der PLO oder der IRA getroffen und würde das auch nicht tun.” ((https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/margaret-thatcher-branded-anc-terrorist-while-urging-nelson-mandela-s-release-8994191.html))

Und was sagte die heutige Premierministerin Theresa May im Jahr 2018 über die bewaffneten Aktivitäten der PKK? Sie lobte den türkischen Präsidenten Erdoğan für seine Rolle bei der sogenannten “Verteidigung der Demokratie”, angesichts dessen, was sie “kurdischen Terrorismus” nannte. ((http://www.kurdistan24.net/en/news/1bff2195-e6da-4cc0-adca-56502545ebd9))

Gleiches Drehbuch, anderer historischer Moment.

Dasselbe kann man über ihren Vorgänger sagen. Als Student arbeitete David Cameron mit der pro-Apartheid-Lobby zusammen. “Ihn zu treffen war eine der großen Ehren meines Lebens”, sagte Cameron nach Mandelas Tod. ((https://www.bbc.com/news/uk-politics-25248490)) Es ist genau derselbe Cameron in dessen Zeit als junger Konservativer, die Föderation der Konservativen Studierenden Aufkleber verteilte, auf denen “Hang Nelson Mandela” stand. (Cameron war nicht an der Kampagne beteiligt, verteidigte aber die Apartheid in Südafrika). ((https://www.bbc.com/news/uk-politics-25248490)) Erinnen wir uns daran, dass die Zeitung Hürriyet im Jahr 1999 den Beitrag “Todesurteil: Die Rache für die Babys” veröffentlichte, in dem sie ihre Empfehlungen für den Umgang mit Öcalan darlegte. ((https://www.independent.co.uk/news/turkeys-revenge-is-not-so-simple-1104257.html))

Wie der Independent es nach der Verhaftung Öcalans formulierte: “Seit Monaten führen Zeitungen und TV-Sender eine nationale Kampagne zur Hinrichtung des kurdischen Rebellenführers Abdullah Öcalan”. Wie Mandela wurde auch Öcalan so gehasst, dass eine große Zahl von Menschen nichts Geringeres als sein Blut wollte. Die Regierungen der Welt schienen sich damals einig zu sein.

Ja, es ist wahr, genau wie heute viele Regierungen, Zeitungen und Analysten Abdullah Öcalan hassen, obwohl er von den meisten Kurden verehrt wird, war es einmal der Fall, dass auch Mandela von den Regierungen der Welt gehasst, aber von den meisten Afrikanern verehrt wurde.

Als Öcalan wegen der Führung der PKK verhaftet wurde, wurde er des Verrats aufgrund der Leitung einer bewaffneten Guerillabewegung angeklagt. Bei der Verhaftung von Mandela, wurde auf der Farm Lilliesleaf ein Dokument gefunden, das die geheime “Operation Mayibuye” (Operation Comeback, oder Operation Rache) beschreibt. ((https://www.theguardian.com/world/1964/mar/01/nelsonmandela.southafrica)) Der Plan sah angeblich vier Gruppen von jeweils 30 Männern vor, die eine Revolution planten und sich einer internen Truppe von 7000 Guerillas anschlossen. Mandela wurde wegen Hochverrats angeklagt.

Das ist der Mandela, den die meisten Leute nicht kennen. Als der Guardian erklärte, die einzige Ähnlichkeit zwischen Öcalan und Mandela sei eine “entfernte Parallele”, weil Öcalan “gefürchtet” werde, antwortete Öcalan gegen diesen Vorwurf. ((https://www.theguardian.com/commentisfree/2013/dec/05/nelson-mandela-a-leader-above-all-others)) “Ich kann in aller Bescheidenheit sagen, dass der liebe Madiba und ich mehr Parallelen als Gegensätze haben. Mandela war für die Aufklärung Afrikas ein leuchtender Stern. Wir werden dafür sorgen, dass dieser Stern über den Völkern des Mittleren Ostens weiter leuchten wird”, schrieb Öcalan in einem Brief an den Guardian. ((https://www.theguardian.com/world/2014/jan/20/abdullah-ocalan-role-kurds-struggle-freedom))

Ehrlich und nüchtern betrachtet, war der Unterschied zwischen Mandela und Öcalan zu der Zeit als beide als Terroristen galten, nur der des Ausmaßes (grundsätzlich gleich, aber der Bürgerkrieg in Kurdistan dauert viel länger und ist gewalttätiger). Beide führten ihre eigenen bewaffneten Kämpfe. Heute sind die Unterschiede nur deshalb so groß, weil eine Gruppe gewonnen und eine andere verloren hat. Es scheint fast sicher, dass, wenn ein türkisch-kurdischer Friedensprozess Realität werden sollte, die Geschichte auch Öcalan freisprechen wird, so wie sie Madiba freigesprochen hat.

Der verstorbene Richter Essa Moosa, ein enger Vertrauter von Mandela, und der Mensch, der ihn überzeugte, Öcalan Asyl zu gewähren, starb bei dem Versuch, für Öcalans Freiheit zu kämpfen.

„Bevor der ANC und seine Bündnispartner verboten wurden, war einer häufig benutzen Slogans: Freedom in our Lifetime”. Richter Moosa soll oft darüber nachgedacht haben, wie auch er die Freiheit von Mandela für einen Wunschtraum hielt, obwohl er unermüdlich dafür kämpfte. „Ich hoffe, dass ich auch in meinem Leben die Freiheit von Abdullah Öcalan erleben kann”, sagte er zuletzt.