Erdogan plant noch größere Bosheiten

Ferda ÇetinFerda Çetin, Yeni Özgür Politika, 21.11.2016

Seinem Charakter gemäß befiehlt der Faschismus, bis zum Äußersten zu gehen und solange wie möglich seinen Bestand zu sichern. Die faschistische Diktatur findet auch kein Ende, wenn sie das vollständige Regiment über Staat und Gesellschaft gewonnen hat. Sie zielt darauf ab, ihre Herrschaft über ein Unrechtsregime zu festigen und zu schützen, nicht jedoch auf Normalisierung oder Umwandlung in eine klassische Republik.

Die Diktatoren und ihre Untergebenen können sich nicht mal im Traum vorstellen, dass in Zukunft ihr Land von Anderen und mit einem anderen Format regiert wird. Ein Land, in dem sie nicht existieren, ist ein zerstörtes und verdammtes Land. Aus diesem Grund erhöhen sie zum einen den Druck und zum anderen versuchen sie, mit allen Kräften das von ihnen erschaffene Regime zu schützen. Diese Situation kommt einem ununterbrochenen Kriegszustand gleich. Die faschistische Diktatur kann sich ihrer Natur wegen nicht in Richtung Menschlichkeit und Demokratie bewegen.

In der heutigen Türkei hängen die Grobheit, Hinterhältigkeit und Furchtlosigkeit von Tayyip Erdoğan und seinen Helfern mit diesem Kriegszustand und unumkehrbaren Weg zusammen. Daher wäre es naiv, die erlebten Bosheiten als letzte Grenze des Faschismus zu betrachten.

Diejenigen, die an der Gründungsphase der AKP beteiligt waren, haben vor allen anderen gewusst, welches System Erdoğan etablieren möchte und wo dieses hinführt. Sie haben gesehen, dass Erdoğan zunächst die AKP, dann die Regierung sowie das Parlament an sich binden und über eine Abschaffung der Gewaltenteilung eine Ein-Personendiktatur etablieren will.

Abdullah Gül, Bülent Arınç, Sadullah Ergin, Hüseyin Çelik und Beşir Atalay haben vor allen anderen erkannt, dass die von Erdoğan angestrebte “Neue Türkei” einer Ein-Mann-Diktatur entspricht. Mit ihren Einwänden und ihrem Vorbehalt haben sie Erdoğan zwar gestört, waren aber nicht effektiv. In dem Wissen, dass die Mittäterschaft bei dieser Diktatur in einem Strafverfahren resultieren wird, haben sie sich zurück gezogen. So war die Kandidatur von Hakan Fidan bei den Parlamentswahlen vom 7. Juni ein Teil dieser Bewusstseinsentwicklung und stellte einen Versuch dar, sich ohne Potenzierung des Vorstrafenregisters zurück zu ziehen.

Auch AKP´ler wie Mehmet Ali Şahin und Cemil Çiçek, die in der Gründungsphase der AKP den Regierungskontakt hergestellt und den Posten des Parlamentspräsidenten bekleidet haben, widersprachen der Vorgehensweise Erdoğans und beendeten in Eigeninitiative diesen gemeinsamen Weg, den ein schlechter Ausgang erwartet.

Auch das Team, welches erkannt hat, dass Erdoğan im Beştepe Palast ein System zugunsten seiner Person und Familie etabliert hat und diese diktatorische Errichtung über die Vereinigung mit den klassischen Staatsinteressen “normalisieren” will, hat den Zorn Erdoğans zu spüren bekommen. Hierzu gehören Namen wie Ahmet Davutoğlu, Yalçın Akdoğan, Mahir Ünal und Efkan Ala, die überhaupt keinen Einspruch gegen Erdoğans Autorität erhoben haben.

Erdoğan liquidiert auch seine engen Freunde, deren Gefolgschaft er nicht anzweifelt. An die Stelle derjenigen AKP´ler, die dem Tempo des Faschismus und seiner Rücksichtslosigkeit nicht folgen können, wurden Personen gesetzt, die seiner Zeit gegen Erdoğan und die AKP agiert, jedoch den Geist des Faschismus verinnerlicht haben.

Der Innenminister Süleyman Soylu und der oberste Palastberater Yiğit Bulut sind hierfür zwei Beispiele.

In der Phase des “Aufstiegs”, gekennzeichnet durch die Beherrschung von allem durch die Diktatur Erdoğans und der AKP, ist eine offensichtliche Flucht und Distanz innerhalb der Herrschenden und seiner näheren Umgebung zu verzeichnen. Wenn man für die ersten 10 Regierungsjahre der AKP eine Liste von pro AKP sowie pro Erdoğan Journalisten und Autoren erstellt, wird sie viele Seiten umfassen. Heute bleiben hiervon nur wenige, die an einer Hand abzuzählen sind. Auch wenn die freien Plätze nun mit faschistischen Schreiblingen aufgefüllt werden, können sie die Realität der Journalisten und Autoren, die sich von Erdoğan abgewendet haben, nicht verdecken.

Zusammengefasst befindet sich Erdoğans Faschismus sowohl im Inland, als auch im Ausland unter Belagerung und deutlich sichtbarem Druck. Der Faschismus wird versuchen, dies mittels stärkerem Gegendruck und noch umfangreicheren Bosheiten zu überwinden. Diesbezüglich darf man nicht Irrtümern erliegen wie, “was kann darüber hinaus noch passieren?”, “er macht doch schon alles Erdenkliche”.

Die Erdoğan Diktatur plant alle möglichen Bosheiten, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen oder die wir uns nicht vorstellen möchten, sowie die praktische Umsetzung dieser. Die Verlegung der türkischen Armee nach Kurdistan, die Koalition mit der MHP als Resultat der Verhandlungen zur Todesstrafe und zum Präsidialsystem, die Erhebung Devlet Bahçelis zum de-facto Stellvertreter Erdoğans, die ununterbrochenen Verhaftungen sowie Festnahmen und die Worte von Süleyman Soylu und Numan Kurtulmuş, “der Name der PKK wird spätestens in einem Jahr vergessen sein” sind Anzeichen dafür, dass die aktuellen Repressionen nicht nur fortgeführt, sondern noch stärkere Bosheiten angestrebt werden.

Der Versuch über die KDP-Türkei ((Türkeizweig der Demokratischen Partei Kurdistans; die AKP versucht alternative kurdische Parteien zur PKK zu etablieren)) und in Südkurdistan ansässige, abtrünnige PKK-Funktionäre eine neue “kurdische Partei” zu gründen und die Aussage Erdoğans, “Es gibt keinen Grund mehr, der EU beizutreten, ein Eintritt in die Shanghai-Fünf würde uns entlasten”, sind Vorbereitungen für “große Bosheiten”.

Abwarten, beobachten, zuschauen und nicht dagegen zu kämpfen kommt einer Mitschuld am Faschismus gleich. Diese Gefahren und Bedrohungen können nur über eine Ausweitung des Kampfes und der Niederlage des Faschismus abgewendet werden.