Es ist wirklich grausam, sich immer wieder denselben Film anzusehen

hasan cemalHasan Cemal, türkischer Journalist und Autor

Es reicht, denn es ist eine Illusion zu glauben, mit den Schließungen von „Özgür Gündem“ den frei werdenden Weg zum Frieden zu gehen!
Eine Zeitung, die „Özgür Gündem“, wird per Gerichtsbeschluss geschlossen.
Keine Stimme ist zu vernehmen!
Außer ein paar Reaktionen hier und da in einer Kolumne findet es keine Beachtung.
Warum?

Warum schreien wir nicht laut auf?
Beziehungsweise warum können wir es nicht?
Warum widersprechen wir nicht?
Ist es etwa keine Nachricht wert?
Ich blicke zurück auf die 1980er.
Auch in der Zeit des 12. September [Militärputsch 1980; d. Übers.], als das Militärgefängnis in Diyarbakir eine Folterkammer war, sind wir, Vertreter der Hauptmedien, stumm geblieben.
Auch als damals in diesem Gefängnis die Menschen gezwungen wurden, Fäkalien zu essen, und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden, haben wir uns verhalten wie die drei Affen, haben unseren Stift nicht bewegt. Den Schmerzen wurde in den großen Medien keine Beachtung geschenkt …
Dadurch hat sich die Kurdenproblematik noch weiter vertieft.
Sie ist in eine Sackgasse geraten.
Die PKK ist mit diesen Schmerzen gewachsen.
Ich bin mir bewusst, dass ich als Journalist einen Teil der Schuld an dieser Schande trage.
Auch die 1990er sind nicht anders vergangen.
Dieses Mal sind die „Morde unbekannter Täter“ in den großen Medien nicht beachtet worden. Die Einstellung „Geht es um das Vaterland, dann ist alles andere Nebensache“ [Zitat Atatürks; d. Übers.] herrschte auch in den Medien und die „Regulierungen“ durch Ankara, durch die Machthaber, wirkten so sehr, dass ein schwerer Teppich des Schweigens über die im Südosten begangenen Tausende Morde gelegt wurde.
Diese erschreckende Welle von Menschenrechtsmissachtungen traf auch die ab 1992 erscheinende Zeitung „Özgür Gündem“.
76 Mitarbeiter der „Özgür Gündem“, davon 30 Reporter, sind Opfer „unbekannter Täter“ geworden.
Die Zeitung ist regelmäßig geschlossen worden.
Verantwortliche der Zeitung sind zu langjährigen, schweren Haftstrafen verurteilt worden.
Drei ihrer zentralen Büros, eines davon in Istanbul, sind 1994 durch die Hand des „tiefen Staates“ bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht worden.
So waren die 1990er, was hat sich in den Jahren nach 2000 verändert?
Können wir sagen, dass sich für die „Özgür Gündem“ etwas geändert hat?
In den 1990ern wurde sie bombardiert.
Heute wird sie geschlossen.
In den 1990ern verloren ihre Mitarbeiter ihr Leben.
Heute verlieren sie ihre Freiheit.
Das ist wohl ein „Fortschritt“ …
12 der 104 immer noch in den Gefängnissen sitzenden Journalisten sind von der „Özgür Gündem“. Wie in den 1990ern wird die Zeitung erneut geschlossen.
Das Antiterrorgesetz greift immer noch knallhart.
Ich will meine Ausführungen nicht endlos ausweiten.
Ich werde nicht in ausgetretene Diskussionen verfallen à la „Sie sind Werkzeuge der Terrororganisation, machen Propaganda“.
Ich werde mich auch nicht einlassen auf Eure unglaubwürdigen Äußerungen wie „Sitzen in den Gefängnissen Journalisten mit gelber Karte [offizieller türkischer Presseausweis; d. Übers.] oder nicht?“.
Es wird unwürdig.
Die ganze Sache konzentriert sich auf einen Standpunkt:
Die Einstellung in den Köpfen zu verbieten.
Mit dieser Haltung werdet Ihr es nirgendwohin schaffen. Der Frieden wird nicht an unsere Tür klopfen, indem wir Stimmen, die uns nicht passen, zum Schweigen bringen bzw. glauben zum Schweigen bringen zu können.
Die 1980er und vor allem die 1990er sind so vergangen. Der Staat war sich seiner auch damals schon sehr sicher. „Am Ende des Tunnels ist ein Licht zu sehen, wird zu sehen sein!“, das war auch schon damals ständig aus dem Munde der Machthaber zu hören.
Sie dachten, dass mit dem Erdrücken der Freiheit die Probleme gelöst werden könnten. In den 1990ern verloren die Kurden aber nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Leben.
Und wir, Vertreter der Hauptmedien, haben unsere Augen vor all diesen erlebten Schmerzen und den Menschenrechtsverletzungen verschlossen.
Wir haben unsere Stimmen nicht erhoben.
Das Ergebnis?
Weder ist der Frieden gekommen,
noch ist die Kurdenfrage gelöst worden,
noch ist die PKK besiegt worden.
Wollen wir uns diesen Film erneut ansehen?
Ich nicht mehr.
Denn der Frieden kommt nicht aus dem Gewehrlauf.
Denn man kann sich nicht auf den frei gewordenen Weg zum Frieden machen mit dieser Verbotsmentalität im Kopf.

Milliyet, 28.03.2012

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