Frauenbefreiung und gemeinsame Perspektiven

Halide Türkoğlu ist frauenpolitische Sprecherin der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM). Anhand verschiedener Praxisbeispiele gibt sie im Interview einen Einblick in die Arbeit und den unermüdlichen Kampf der kurdischen Frauenbewegung. Sie erklärt, wie Frauen vor Ort Politik gestalten und gemeinsam eine freie, gleichberechtigte Gesellschaft aufbauen.

Sie beschreibt, wie Solidarität, Erfahrungsaustausch und internationale Vernetzung diesen Kampf stärken und warum der Weg zur Befreiung der Frauen auch ein Weg zur Demokratisierung der gesamten Gesellschaft ist.

Die Freiheit der Frauen und die Demokratisierung sind die grundlegenden Paradigmen der kurdischen Freiheitsbewegung. Was bedeutet das für Sie als Frauenorganisationen innerhalb der DEM-Partei und der Frauenversammlungen in der Praxis? Wie interagieren diese beiden Ebenen miteinander?

Wir bewegen uns in einem Bereich demokratischer Politik, der darauf abzielt, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern und zu gestalten. In diesem Zusammenhang sind der Einsatz für Demokratie und der Kampf der Frauen eng miteinander verbunden.

Ein wichtiger Teil dieses Kampfes ist die eigenständige Organisierung von Frauen innerhalb der Politik. Heute sind Frauen in der Lage, ihre verschiedenen politischen Anliegen durch unabhängige Frauenstrukturen sichtbar zu machen. Sie können den Befreiungskampf der Frauen ins Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Erneuerung stellen und dabei die Strukturen von männlicher Vorherrschaft und Sexismus in der Politik gezielt aufbrechen.

Gleichberechtigung als Prinzip

In den Frauenräten der DEM-Partei wird die gleichberechtigte Vertretung, Mitbestimmung und Beteiligung von Frauen auf allen Entscheidungsebenen aktiv gelebt. Damit wird die frauenpolitische Perspektive in allen Bereichen der Partei vertreten. Ko-Vorsitz und die paritätische Besetzung von Gremien sind dabei Grundprinzipien unserer Partei.

Diese Strukturen schaffen nicht nur eine demokratische und gleichberechtigte Parteikultur, sondern tragen auch dazu bei, die gesamte Gesellschaft aus der Perspektive der Frauenbefreiung zu politisieren und neue Netzwerke der Organisierung zu bilden.

Wie ist die Frauenbewegung in Bakur (Nordkurdistan) derzeit organisiert? Welche Rolle spielen nicht-kurdische Frauen? Gibt es gemeinsame feministische Perspektiven, die ethnische und kulturelle Grenzen überschreiten?

Die Frauenräte der DEM-Partei arbeiten in allen Regionen, in denen die Partei aktiv ist, nach einem eigenständigen und besonderen Organisationsmodell. Diese Frauenräte bestehen nicht nur aus kurdischen Frauen, sondern auch aus sozialistischen, feministischen Frauen, Frauen verschiedener Glaubensrichtungen und Identitäten sowie aus den Frauenstrukturen der einzelnen Teilparteien.

Durch diese vielfältige Beteiligung entsteht im Frauenrat ein gemeinsamer Raum, in dem die Perspektiven und Anliegen aller Frauen im Konsens behandelt werden können. Der Kampf der Frauen wird dabei umfassend verstanden: als Arbeits- und Klassenkampf, als Kampf um Selbstbestimmung über den eigenen Körper, um Identität und Glauben sowie um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

In den Diskussionen der Frauenräte wird eine breite demokratische Perspektive entwickelt, die auch den Einsatz für Frieden hör- und sichtbar macht. Auf dieser Grundlage verwirklichen die Frauenräte unserer Partei eine freiheitliche, demokratische und sozialistische Frauenpolitik.

Die Frauenräte sind eng mit der radikaldemokratischen Basisbewegung verbunden. Können Sie uns konkret beschreiben, welche Aufgaben und Projekte Sie vor Ort umsetzen? In welchen Bereichen – wie zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Rechtsschutz oder wirtschaftliche Selbstorganisation – sind Sie besonders aktiv? Und wie wirkt sich diese Arbeit auf das alltägliche Leben der Frauen in den jeweiligen Regionen aus?

Für die Stärkung der lokalen Politik arbeiten unsere Frauenräte eng zusammen mit den Frauenplattformen, den Frauenstadträten, den Ko-Bürgermeisterinnen, Gemeinderätinnen und Provinzrätinnen, die als natürliche Mitglieder Teil unserer Frauenräte sind. Gemeinsam setzen sie sich für ein emanzipatorisches und demokratisches Gesellschaftsmodell der Frauen in der lokalen Politik und Verwaltung ein.

Unser Frauenrat versteht den Kampf für Gleichberechtigung und Freiheit als grundlegenden Mentalitätswandel. Deshalb fördert er gezielt Frauenorganisationen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Einrichtungen wie Frauenakademien, Frauenkooperativen, Netzwerke gegen Gewalt, Frauenkulturzentren und Sporteinrichtungen bieten Frauen die Möglichkeit, aktiv an der lokalen Demokratie teilzunehmen und ihre Anliegen direkt in die Politik einzubringen.

Gleichberechtigung in allen Ebenen

Von Nachbarschaftsräten bis zu Stadtfrauenräten können Frauen auf lokaler Ebene konkrete Veränderungen bewirken. Dabei wird kein Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Gebieten gemacht — überall sollen Institutionen entstehen, die den Bedürfnissen der Frauen vor Ort entsprechen.

Die Frauenräte der DEM-Partei sind außerdem Teil der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, TJA) und arbeiten im Rahmen einer konföderalen Struktur, die auf der aktiven Beteiligung von Frauen in der Politik beruht. Sie sind Mitglieder des Frauenrats des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) und gestalten dort vielfältige Aktivitäten mit: von Nachbarschafts- und Kooperativenarbeit über Umwelt- und Gesundheitsräte bis hin zu Arbeits- und Glaubensräten. So vernetzen und stärken sie den gemeinsamen Kampf und die politische Arbeit der Frauen an der Basis.

Die Präventions- und Interventionsarbeit gegen patriarchale Gewalt ist ein wichtiger Bereich. Wie genau organisieren Sie diese Aktivitäten? Können Sie von Ihren Erfahrungen oder Projekten berichten, die besonders beispielhaft sind?

Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir: Ein auf der Freiheit der Frau basierendes Gesellschaftsmodell, wie es die kurdische Frauenbewegung und die Frauenbewegung in der Türkei in den Kommunalverwaltungen aufgebaut haben, ist auch für unseren Frauenrat die Grundlage unserer Politik.

Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist der Kampf gegen Gewalt an Frauen. Dafür haben wir ein umfassendes Hilfesystem entwickelt. Dazu gehören unter anderem eine mehrsprachige Notrufnummer für von Gewalt betroffene Frauen, Frauenhäuser, Beratungszentren für rechtliche und psychologische Unterstützung sowie sogenannte „First-Step-Stationen“, die Frauen einen ersten sicheren Zufluchtsort bieten. Mit diesen Angeboten wollen wir Frauen helfen, der Gewalt zu entkommen und ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen.

Doch damit allein ist es nicht getan. Um Gewalt langfristig zu bekämpfen und ein Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen, braucht es einen grundlegenden Mentalitätswandel. Dazu organisieren wir regelmäßig Schulungen und Workshops zu Themen wie Geschlechterrollen, Gewaltprävention und Gleichberechtigung. Diese Veranstaltungen finden in unseren eigenen Einrichtungen und in den Stadtvierteln statt. Neben speziellen Angeboten für Frauen gibt es auch gemischte Schulungen, damit die gesamte Gesellschaft für diese Themen sensibilisiert wird.

Auf welche gesellschaftlichen oder staatlichen Hindernisse stoßen Sie bei der Gründung und der täglichen Arbeit des Frauenrats? Wie gehen Sie mit patriarchalen Traditionen, staatlichem Druck und Widerstand in der Gesellschaft um?

Es gibt eine staatliche Realität, die gezielt Frauenbewegungen und den politischen Kampf von Frauen angreift. Frauen, die sich politisch engagieren, werden schikaniert, verhaftet und inhaftiert. Unsere Frauenräte sind ständig politischer Verfolgung ausgesetzt. Lokale Verwaltungen, die ein wichtiger Teil dieser Rätestrukturen sind, werden durch die Einsetzung von staatlichen Treuhändern entmachtet. Die auf der Freiheit der Frau basierenden Modelle, Institutionen und Anlaufstellen gegen Gewalt, die wir in den Kommunen aufgebaut haben, werden auf diese Weise systematisch abgeschafft. Alles, was Frauen in den Städten erkämpft und aufgebaut haben, soll vernichtet werden.

Männlich dominierte, traditionelle Denkweisen erstarken durch den zunehmenden staatlichen Druck und richten sich gezielt gegen Frauen. Unsere Arbeit wird kriminalisiert, diffamiert und von jenen angegriffen, die Gleichberechtigung ablehnen. Um Frauen von politischer Teilhabe und Selbstorganisation abzuhalten, wird mit allen Mitteln Druck ausgeübt — bis hin zu psychologischer Kriegsführung.

Doch wir lassen uns davon nicht einschüchtern. Wir begegnen dieser Unterdrückung, indem wir Frauen stärker mobilisieren, Erfahrungen teilen und unsere Solidaritätsnetzwerke ausbauen. Denn Frauen nehmen die ihnen aufgezwungene ausbeuterische und diskriminierende Ordnung nicht hin. Jede Frau, die begreift, dass sie selbst Teil des gesellschaftlichen Wandels ist, gibt den Kampf nicht auf. Ihr Widerstand ermutigt und inspiriert andere Frauen, weiterzumachen.

Welche Vision haben Sie für die zukünftige Entwicklung der Frauenräte und der kurdischen Frauenbewegung im Allgemeinen? Welche Art von Solidarität und Netzwerken gibt es mit feministischen und queeren Bewegungen in der Türkei und international?

Unsere Frauenräte und die kurdische Frauenbewegung kämpfen gegen die Gewalt und Unterdrückung eines patriarchalen Staates. Dabei setzen wir uns für den Aufbau einer freien, gleichberechtigten Gesellschaft ein. Frauen sollen in einer Welt leben können, in der sie selbstbestimmt und ohne Angst existieren. Mit unserem Engagement und unseren Organisationen arbeiten wir daran, diese Vision Schritt für Schritt Wirklichkeit werden zu lassen.

In einem Land, das von Krieg, Chaos und alltäglicher Gewalt gegen Frauen bis hin zu Femiziden geprägt ist, ist der Kampf um die Befreiung der Frauen unverzichtbar. Er bedeutet nicht nur Widerstand, sondern auch Veränderung und den Aufbau einer neuen, solidarischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Frauen gleichberechtigt und frei leben können, rückt durch unseren Kampf immer näher.

Für Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung

Seit vielen Jahren führen die kurdische Frauenbewegung, unsere Frauenräte und die Frauenbewegung in der Türkei diesen Kampf gemeinsam. Aus dieser Zusammenarbeit ist viel Wissen und Erfahrung entstanden, und jede solidarische Verbindung hat den Kampf der Frauen gestärkt.

Wir arbeiten in vielen Netzwerken, Bündnissen und Initiativen zusammen — mit feministischen Gruppen, queeren Selbstorganisationen und anderen gesellschaftlichen Bewegungen. Gemeinsam organisieren wir Aktionen, erarbeiten politische Strategien und bauen Solidaritätsnetzwerke auf, sowohl für das Parlament als auch für die Straße.

Unsere Frauenratsstrukturen sind zudem international vernetzt. Wir beteiligen uns an vielen globalen Bündnissen, darunter Women Strong Together, die I Need Peace Initiative, dem Kongress der Regionalen Demokratischen Frauenkoalition für den Nahen Osten und Nordafrika (NADA), der Weltfrauenmarsch und zahlreiche Frauenplattformen. Unser Ziel ist ein internationaler, solidarischer Frauenkampf für Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung.