Gibt es überhaupt ein wirkliches Interesse an einer Friedenslösung?

Ulla JelpkeEuropa und die kurdische Karte
Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Anfang April feierten Kurdinnen und Kurden aus Berlin auf dem Alexanderplatz den Geburtstag des Gründers der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan. Mit der öffentlichen Geburtstagsfeier sollte zugleich der Hoffnung auf Frieden in Kurdistan Ausdruck gegeben werden. Schließlich hatte der weiterhin in Isolationshaft auf der Insel Imrali gefangene Öcalan nach geheimen Verhandlungen mit dem Staat am Newroz-Tag im März zu einem Rückzug der Guerilla aus der Türkei aufgerufen, um für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage den Weg zu bereiten. Die fröhliche Feier mit Musik und Tanz vor dem Roten Rathaus endete mit einem Polizeieinsatz. Die Moderatorin wurde von mehreren gepanzerten Polizisten zu Boden gerissen und festgenommen.

Ihr angebliches Vergehen: Sie hatte den anlässlich seines Geburtstags geehrten Öcalan mit der Parole »Bijî serok Apo!« hochleben lassen. Diese weit über den engen Kreis der PKK-Mitglieder hinaus gebrauchte Parole, die etwa zum Newroz-Fest in Amed (Diyarbakir) von Hunderttausenden skandiert wurde, bedeutet »Es lebe der Vorsitzende Apo« (Apo bedeutet Onkel und ist der Spitzname Öcalans). Dass ebendieser Apo nun vom türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan als Schlüsselfigur für den Frieden bezeichnet und als offizieller Verhandlungspartner akzeptiert wurde, haben die Berliner Polizisten wohl noch nicht mitbekommen. Oder vielmehr haben sie trotz des beginnenden Friedensprozesses in der Türkei von deutscher Regierungsseite keine Weisung bekommen, ihr bisheriges Verhalten gegenüber Anhängern der kurdischen Freiheitsbewegung zu ändern.

Warum PKK-Verbot?
Warum trotz der auch von Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßten Friedensgespräche zwischen Öcalan und türkischen Regierungsvertretern in Deutschland diese Parole »Bijî serok Apo!« weiterhin polizeilich und justiziell verfolgt wird, wollte ich in einer schriftlichen Frage von der Bundesregierung wissen. Die auf die Frage nach der Parole gar nicht erst eingehende Antwort von Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) am 22. Mai ist bezeichnend: »Die Bundesregierung verfolgt die Gespräche türkischer Regierungsstellen mit Vertretern der PKK mit großem Interesse. Derartige Gespräche haben aus Sicht der Bundesregierung derzeit keine Auswirkungen auf die Unterbindung von Aktivitäten einer in Deutschland verbotenen und auf der EU-Terrorliste gelisteten Organisation. Darum handelt es sich bei der PKK nach wie vor.«

Liest man diese Antwort, so könnte man meinen, das PKK-Verbot habe nichts mit den Entwicklungen im Nahen Osten zu tun. Offenbar kann sich die Bundesregierung nach fast 20 Jahren Betätigungsverbots gegen die PKK selbst gar nicht mehr an die damalige Verbotsbegründung erinnern. Als unmittelbarer Auslöser dieses Verbots hatten zwar »Anschlagswellen« auf türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik als Reaktion auf die Bombardierung kurdischer Städte durch die türkische Armee gedient. Im Jargon der Verbotsverfügung heißt es wie folgt: »Die PKK/ERNK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. (…) Die von Anhängern/Sympathisanten der PKK/ERNK begangenen Straftaten in Deutschland und der Türkei mit dem Ziel, einen Teil des türkischen Staatsgebietes in einen noch zu gründenden kurdischen Staat zu überführen, erfüllen diese Voraussetzungen. Die Straftaten stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland.« Neben diesem innenpolitisch motivierten Punkt folgt dann allerdings der eigentliche Verbotsgrund, nämlich eine Störung des Verhältnisses zur Türkei: »Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. (…) Diese Aktivitäten schädigen bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei und die bilateralen Beziehungen erheblich.« »Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.« Ausdrücklich wurde erwähnt, dass türkische Stellen einschließlich der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller Deutschland beschuldigt hätten, »die Bundesregierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschem Boden und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft«.

Der Umgang deutscher Behörden mit dem PKK-Verbot hat sich seitdem zu einem bürokratischen Selbstläufer entwickelt. Denn eine positive Erfolgsbilanz kann die Bundesregierung selbst aus ihrer ordnungsstaatlichen Sicht nicht liefern, wie ihre Antworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zu »Maßnahmen gegen die Arbeiterpartei Kurdistans« vom April 2013 zeigen. Ganz offensichtlich ist es trotz des fast 20-jährigen Verbots, dem bereits ein mehrjähriger Terrorismusprozess gegen rund 20 kurdische Politiker vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht vorangegangen war, nicht gelungen, die Aktivitäten der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland zu unterdrückten. Im Gegenteil: So soll sich nach Angaben des Verfassungsschutzes die Zahl der PKK-Mitglieder in Deutschland von 6?900 im Verbotsjahr 1993 auf mittlerweile 13?000 fast verdoppelt haben. Das jährliche Spendenaufkommen, das nach der Gefangennahme von Öcalan 1999 von zuvor zehn Millionen Euro jährlich auf fünf Millionen absank, liegt nach Schätzungen des Verfassungsschutzes wieder bei über acht Millionen.

Weitere Kriminalisierung der Kurden in der BRD
Mit Ali Ihsan Kitay im Februar 2013 ist erstmals ein mutmaßlicher PKK-Kader wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem Strafgesetzbuchparagraphen 129b verurteilt worden. Weitere Kurden stehen derzeit unter Terroranklage vor Gericht. Vergebens hatten die Verteidiger in Kitays Prozess den Antrag auf Prüfung des völkerrechtlichen Status des Kurdistan-Konfliktes gestellt und argumentiert, es handle sich bei den bewaffneten Aktivitäten der PKK um einen durch das Völkerrecht gedeckten antikolonialen Befreiungskampf. Eine Einstufung als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts setze »die Kenntnis konkreter Fakten des entsprechenden Falles voraus«, argumentiert dagegen die Regierung auf eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion. »Die Bundesregierung nimmt eine solche Einstufung im vorliegenden Fall nicht vor.« Die damit eingestandene fehlende Kenntnis »konkreter Fakten« zum Kurdistan-Konflikt hinderte die Bundesregierung nicht daran, der Justiz die für Paragraph-129b-Verfahren benötigte Verfolgungsermächtigung zu erteilen.

Zwar räumt heute auch der Verfassungsschutz ein, dass die PKK in Deutschland weitgehend friedlich agiert, doch immer folgt der Zusatz, dies könne sich bei einer Verschärfung der Situation im Nahen Osten schnell wieder ändern. Diese – vom Geheimdient unterstellte – latente Gewaltbereitschaft hängt also auch nach Meinung der Bundesregierung direkt mit der politischen Entwicklung in der Türkei und Kurdistan zusammen. Selbst nach ihrer eigenen Logik müsste die Bundesregierung also erkennen, dass Frieden in Kurdistan auch der inneren Sicherheit in Deutschland förderlich ist. Laut einer Meldung des Nachrichtenmagazins Focus von Anfang Juni prüfen deutsche Behörden derzeit den weiteren Umgang mit dem PKK-Verbot. Die Initiative kam demnach von der türkischen Regierung. »Die Türkei verlangt für ihren neuen Kurs gegenüber der PKK von Deutschland flankierende Maßnahmen«, erklärte ein hoher Staatsschutzbeamter gegenüber dem Focus. So hatte der zuständige Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium, Hans-Georg Engelke, gemeinsam mit leitenden Beamten des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes diesbezügliche Gespräche bei der türkischen Generalsicherheitsdirektion in Ankara geführt. Dort sei ihnen gesagt worden, dass die Türkei von Deutschland einen »gnädigeren Umgang« mit der PKK erwarte. Das Bundesinnenministerium wies diese Meldung nach Presseanfragen »klar« zurück. Eine Aufhebung des PKK-Verbots stünde nicht auf der Tagesordnung. Schon in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion hat die Bundesregierung im April zwar ausdrücklich Öcalans Aufruf zu einer Waffenruhe und dem Abzug der Kämpfer aus der Türkei als einen »großen Schritt hin zu mehr gegenseitigem Vertrauen« bezeichnet. Selbst sieht die Regierung dagegen keinen Handlungsbedarf. »Die friedliche Überwindung des Kurdenkonflikts auf politischem Wege ist eine innertürkische Angelegenheit«, behauptet die Bundesregierung, obwohl sie die die Spannungen seit Jahrzehnten durch Waffenlieferungen an die türkische Armee weiter angeheizt hat. »Analogien zur Situation in Deutschland ergeben sich deshalb nicht.« Solche Aussagen können als Indiz gewertet werden, dass die Bundesregierung trotz gegenteiliger Beteuerungen gar kein wirkliches Interesse an einer Friedenslösung in Kurdistan hat. Verwunderlich wäre dies nicht. Schließlich ist die Türkei seit langem eines der Hauptempfängerländer für Rüstungsexporte aus Deutschland. Und das Milliardengeschäft mit der tödlichen Ware floriert bekanntlich im Krieg am besten, während Frieden dem Profit der Waffenschmieden durchaus abträglich ist.

Verfolgung auch in anderen EU-Ländern
Mit einer solchen Blockadehaltung steht die Bundesregierung nicht allein da. Zu nennen ist hier insbesondere auch Frankreich, ein Land, dass in der Intensität der Verfolgung von Anhängern der kurdischen Freiheitsbewegung in den letzten Jahren darum bemüht schien, Deutschland den Rang abzulaufen. Dutzende kurdische Politiker wurden dort in den letzten Jahren unter dem Vorwurf der Terrorfinanzierung verhaftet. So befindet sich seit Oktober 2012 der Vorsitzende des Kurdistan Nationalkongresses (KNK), Adem Uzun, in französischer Untersuchungshaft. Am 9. Januar 2013 wurden die drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez in den Räumen des Kurdistan-Informationsbüros in Paris regelrecht hingerichtet. Bei dem dringend Tatverdächtigen Ömer Günay, der sich in Untersuchungshaft befindet, handelt es sich um einen mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes mit Kontakten ins faschistische Graue-Wölfe-Spektrum. Diese Erkenntnisse haben kurdische Verbände und Medien allerdings durch eigene Recherchen ans Licht gebracht. Denn auch fünf Monate nach der Bluttat mauert die französische Justiz. Obwohl das Kurdistan-Informationsbüro rund um die Uhr vom französischen Staatsschutz überwacht wird, wollen die französischen Behörden nicht erklären, wie es zu den Morden kommen konnte. Dies lässt den Schluss zu, dass die französische Regierung kein gesteigertes Interesse an einer Aufklärung des Mordes an den drei Kurdinnen hat. Der Vorsitzende der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) Murat Karayilan erklärte Ende Mai, viele regionale und internationale Kräfte wollen nicht, dass die Kurdenfrage gelöst wird. »Diese wollen die kurdische Karte nicht verlieren, deswegen arbeiten sie daran, den Prozess zu sabotieren.« Diesem Ziel hätten die Morde von Paris gedient, erklärte Karayilan und warnte vor weiteren derartigen Massakern.

PKK-Verbot und EU-Terrorliste sind Hindernisse im Friedensprozess
Noch ist nicht absehbar, ob sich der durch den Rückzug der Guerilla und die Verhandlungen mit Öcalan eingeleitete brüchige Friede wirklich in Richtung einer demokratischen Lösung entwickelt. Sollte es hier tatsächlich Fortschritte geben, könnte die Türkei selbstbewusster gegenüber der EU und den ökonomischen Diktaten aus Brüssel, aber auch den militaristischen Vorgaben der NATO auftreten. Ein Offenhalten der kurdischen Wunde würde dagegen die demokratische wie ökonomische Entwicklung der Türkei weiterhin lähmen und sie durch das Ausland erpressbar machen. Es ist zu befürchten, dass einige Kräfte auf europäischer Seite aus eigenen wirtschafts- und geopolitischen Interessen eben diese negative Perspektive verfolgen.

Die Linksfraktion ist der Auffassung, dass das europaweit in dieser Form nur in Deutschland bestehende Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans PKK und ihre Listung auf der EU-Terrorliste endlich aufgehoben werden müssen. Sie werden sonst zum Hindernis für eine Friedenslösung in der Türkei. Den hier lebenden Kurden sollte ermöglicht werden, den beginnenden Friedensprozess zwischen der PKK und der türkischen Regierung zu unterstützen, ohne deswegen polizeiliche und juristische Verfolgung befürchten zu müssen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich nicht länger gegen den Wind des Friedens und der Verständigung zu stellen, der in der Kurden-Frage weht.

Kurdistan Report Nr. 168 Juli/August 2013

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