Hofft nicht vergebens, sie werden den Ausnahmezustand nicht aufheben

Yavuz Baydar, Artigercek, 10.03.2017

Unser Thema ist der Ausnahmezustand.

Unser Thema ist der Ausnahmezustand, weil dieses Thema kritischer als das Referendum ist.

Warum ist es so?

Weil der Palast ((Gemeint ist der Amtssitz des türkischen Staatspräsidenten Erdogan)) und die Regierung das Ergebnis des Referendums nicht hundertprozentig lenken können. Aber sie besitzen die Macht, den Ausnahmezustand so zu handhaben, wie sie es wollen.

Heute haben wir vom Premierminister Yildrim zunächst gehört, dass der Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert wird. Noch bevor wir uns die Frage stellen konnten, was eigentlich los ist, hat Herr Yildirim wohl gemerkt, dass er ins Fettnäpfchen getreten ist oder er wurde von jemandem ermahnt, woraufhin er sich mit der Aussage, „dieses Thema wird im Nationalen Sicherheitsrat bewertet“, ausreden wollte.

Aber er konnte sich aus der Situation nicht ganz herausreden.

Viele Teile der Türkei konzentrieren sich auf das Referendum, aber insbesondere der Europarat, die Venedig Kommission ((Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) ist eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät)) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), als auch die Kreise, die die Geschehnisse von außen klarer betrachten können, schauen sich im Kern den Ausnahmezustand an.

Das hat auch Safak Yilmazoglu in seinem heutigen Bericht in „Arti Gercek“ wie folgt hervorgehoben: „Der nach dem Putschversuch am 20. Juni erklärte Ausnahmezustand wurde bereits zwei Mal um 3 Monate verlängert. Nach dem aktuellen Stand läuft der Ausnahmezustand zum 19. April aus. Mit der Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere drei Monate, wird der Zustand bereits ein Jahr andauern.“

Was bedeutet es, den Ausnahmezustand für weitere drei Monate zu verlängern?

Ich habe mir einige die Meinungen angeschaut, die in dem genannten Artikel wiedergegeben werden. Da sagt beispielsweise Prof. Erol Katircioglu: „Die Diskussion um die Verlängerung des Ausnahmezustands zeigt, dass die Erwartungen der Regierung bezüglich eines positiven Ergebnisses für sie weniger wahrscheinlich ist. Unabhängig davon, was das Ergebnis sein wird, die autoritäre Ausrichtung wird fortgeführt werden. Aber es wird eine Nuancierung geben. Das Ergebnis des Referendums wird bestimmen, wie der Ausnahmezustand aussehen wird. Es kann sowohl ein harter als auch ein weicher politischer Kurs eingeschlagen werden. Das hängt ein wenig von dem Verhältnis zwischen den ‘Ja’ und ‘Nein’ Stimmen ab. Aber in jedem Fall müssen wir ein härteres Regime erwarten. Die HDP hat zuvor schon betont, dass der Präsident jetzt schon erklären muss, dass er die Ergebnisse des Referendums respektieren wird. Das stimmt, in diesem Fall ist es notwendig, dass der Präsident erklärt, dass er das Ergebnis des Referendums respektieren wird.”

Sezgin Tanrikulu, Abgeordneter der CHP, sagt: „Wenn sie Selbstvertrauen hätten und daran glauben würden, dass das Referendum zu ihren Gunsten ausgeht, würden sie dieses repressive Regime nicht fortführen. Nun haben wir fast den 9. Monat im Ausnahmezustand erreicht. Der Premierminister meinte bezüglich der Diskussionen um die Volksabstimmung: ‚Wir werden nicht zulassen, dass Sie sagen, wir hätten im Ausnahmezustand ein Referendum abgehalten.‘ Aber wenn der Ausnahmezustand verlängert wird, deutet das daraufhin, dass sie keine Optionen außer diesem Repressionszustand haben.“

Die HDP Fraktionsvorsitzende Filiz Kerestecioğlu erklärt: “Das zeigt einmal mehr, wie sehr die AKP in die Enge getrieben ist. Letztendlich deutet das daraufhin, dass sie das Land von nun an auf diese Weise regieren und diese Regierungsform verewigen möchten.“

Kommen wir auf den Punkt.

Angesichts der gegenwärtigen Umstände die Frage zu stellen, ob der Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert wird, gleicht der Frage, ob morgen früh der Tag aufbrechen wird.

Der regierungsnahe Kolumnist Abdülkadir Selvi brachte die Informationen, die wir auch zu hören bekamen, klar und deutlich auf den Punkt: Der Ausnahmezustand wird bis mindestens Ende 2017 verlängert.

Vergessen Sie das nicht.

Ganz gleich welches Ergebnis das Referendum hervorbringt, dieser Trend wird unverändert bleiben.

Warum?

Weil die labile Gleichung, die der Palast aufgestellt hat, nicht darauf zielt den Ausnahmezustand aufzuheben, sondern ihn zu verfestigen.

Das gilt auch, selbst wenn die „Ja-Quote“ beim Referendum 80% beträgt.

Sobald der Ausnahmezustand aufgehoben wird, wird alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen.

Es gibt zwei Gründe dafür:

Erstens: Für die neue Oligarchie im Land, welche die Regierung erschaffen möchte, müssen noch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Hierfür bietet der Ausnahmezustand die passende Gelegenheit. Und da der Prozess noch nicht abgeschlossen ist und seine Zeit braucht, wird auch der Ausnahmezustand noch andauern.

Zweitens: Noch in der Zeit vor dem Ausnahmezustand wurde das Rechts- und Justizsystem dermaßen beschädigt, es fanden dermaßen schwerwiegende Rechtsverletzungen statt, dass die Aufhebung des Ausnahmezustands einem „Suizid“ der Regierung und seiner Weggefährten gleich käme.

Nennen wir daher das Kind beim Namen:

Der Ausnahmezustand ist der Zement auf dem der Faschismus errichtet wird.

Die drei weiteren Monate beiseite, es besteht keine Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit darauf, dass der Palast und die AKP davon absehen werden, noch mindestens ein Jahr den Ausnahmezustand fortzuführen.

Ich wünschte ich würde falsch liegen.

Ich wünschte.