Pressegleichschaltung statt Pressefreiheit in der Türkei
von Mako Qoçgirî, 05.09.12
Was gibt es schöneres für eine Regierung, als zu sehen, dass die Medien im eigenen Land nur Positives über einen schreiben?! Gewiss würde dies die öffentliche Meinung im Land zugunsten der Regierung beeinflussen, was wiederum einer Wiederwahl den Weg ebnen würde. Leider ist das nicht immer so einfach für manch eine Regierung. Denn dort, wo Demokratie herrscht, sollten die Medien die Politik der Regierung stets kritisch unter die Lupe nehmen. Gerade deshalb muss sich die Regierung umso mehr bemühen, sich in ihrer Politik keine Fehltritte zu leisten, denn die MedienvertreterInnen sitzen ihnen im Nacken. Soweit die Theorie …
In der Türkei hat sich die AKP-Regierung einen anderen Weg für den Umgang mit den Medien ausgesucht. Kritische Medien werden einfach zum Schweigen und Mainstreammedien auf die eigene Linie gebracht. So kann man es natürlich auch machen. Zumindest wenn man auf Demokratie und Pressefreiheit keinen besonderen Wert legt.
In der Türkei sitzen rund hundert JournalistInnen aktuell hinter Gittern. Diese Zahl stellt jedes andere, offen als antidemokratisch angeprangerte, Land in den Schatten. Der mit Abstand größte Teil dieser JournalistInnen stammen aus den kurdischen Medien. Allein diese Tatsache legt die Verbindung zwischen der fehlenden Pressefreiheit der Türkei und der ungelösten kurdischen Frage in aller Deutlichkeit offen. Aber die Angriffe auf die Pressefreiheit treffen nicht allein die kurdischen Medienvertreter. Auch die Mainstreammedien bekommen ihren Senf ab.
Es dauerte bis ins Frühjahr 2011 als die Angriffe der AKP-Regierung auf die Medien auch international Beachtung fanden. Damals wurden die beiden bekannten Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener mit dem Vorwurf der Ergenekon-Mitgliedschaft festgenommen. Abgesehen hatte es die AKP-Regierung auch auf das noch nicht veröffentlichte Buch „Die Armee des Imams“ von Ahmet Sik, in welchem der Einfluss der Gülen-Sekte auf die türkischen Sicherheitskräfte aufgedeckt wurden. Mit diesen Festnahmen machte die Regierung ganz klar auch deutlich, dass sie nicht nur die kurdischen und sozialistischen Journalisten im Visier hat, sondern alles und jeden, der oder die nicht im Sinne der Regierung „journalistische Arbeit“ betreibt.
Ein weiteres bekanntes Opfer der „Medienpolitik“ der AKP wurde kurz vor den Wahlen 2011 die Moderatorin des türkischen Nachrichtensenders NTV Banu Güven. Kurz vor den Wahlen ist im türkischen Fernsehen Hochsaison für Diskussionsveranstaltungen mit allen möglichen Parteivertretern. Da dachte sich Güven wohl auch nichts weiter dabei, als sie die kurdische Politikerin Leyla Zana für solch eine Diskussionsveranstaltung einladen wollte. Doch da hatte sie sich geirrt. Ihre Redaktion wurde wohl von irgendeiner Stelle unter Druck gesetzt, und so wurde die Einladung an Leyla Zana zurückgenommen. Zana zeigte sich nicht wirklich überrascht von dieser Entscheidung, immerhin war sie schon ganz anderen Repressionen durch den Staat ausgesetzt. Umso überraschter war jedoch Güven, die solch eine unverfrorene Einmischung in ihr Sendeprogramm bisher nicht kannte. Als sie dann noch erfuhr, dass auf Druck der AKP-Regierung die Einladung an Leyla Zana zurückgenommen wurde, weil man Stimmeinbußen befürchte, wenn Zana öffentliche Bühne geboten werde, quittierte Banu Güven nach einem vorgezogenen Urlaub den Dienst bei NTV.
Die Regierung dürfte es gefreut haben, dass eine unliebsame Person wie Banu Güven freiwillig die Segel gestrichen hat. Auch wenn sie selbst nicht unbedingt eine unliebsame Stimme für die Regierung darstellte, so wollte sie doch unliebsamen Stimmen ein Gehör verschaffen. Und dieses Vergehen ist in den Augen der Regierung mindestens genauso schlimm.
Dabei hat die Regierung doch mittlerweile den JournalistInnen im Lande Mittel und Wege zur Verfügung gestellt, wie diese ihre Arbeit ohne Probleme und ohne große Mühen bewerkstelligen können. Sie gibt einfach regelmäßig mündliche und schriftliche Statements zu den verschiedensten Ereignissen im In- und Ausland ab, und die Journalisten müssen diese einfach in ihre Artikel einarbeiten. So fällt das lästige Recherchieren und Untersuchen für die JournalistInnen ganz von alleine weg.
Sollte sich aber dennoch ein/e JournalistIn dazu entschließen selber zu recherchieren und dann noch abweichend von den Statements der Regierung zu berichten, bekommt er oder sie es mit dem Ministerpräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan persönlich zu tun. Regelmäßig verlautbart Erdogan, über was die Medien berichten oder vielmehr nicht berichten sollen. Oft sind dann der Kurdenkonflikt und die eskalierenden bewaffneten Auseinandersetzung auf der Verbotsliste. Gerne nennt Erdogan den einen oder die andere Journalistin von seiner Abschussliste auch öffentlich beim Namen. So geschehen vor kurzem auch im Fall des Journalisten Yildirim Türker. Türker hat die liberale Tageszeitung Radikal mit aufgebaut und insgesamt 16 Jahre für sie gearbeitet. Diesem langjährigen Journalisten wurde nun zum Verhängnis, dass er bei der Berichterstattung über die rund drei Wochen anhaltenden Gefechten von Semzînan (Semdinli) nicht blindlings die Vorgaben der Regierung eingehalten hat, sondern sich ein differenziertes Bild über die Situation vor Ort verschaffen wollte. Das erregte den Unmut der AKP-Regierung, und selbst eine Tageszeitung wie Radikal konnte Türker nicht mehr halten, und man trennte sich im Einvernehmen am 12. August. Ähnliches widerfuhr zwei Tage zuvor auch dem Journalisten Serdar Akinan von der konservativen Tageszeitung Aksam. Auch dessen Kolumnen passten nicht so recht in das Bild eines „guten“ Journalisten der AKP-Regierung. Es reichte aus, dass Erdogan erklärte, man nehme Notiz von den Artikeln Akinans, und die Zeitung Aksam setzte diesen umgehend vor die Tür.
Zum Berichterstattungsverbot für Semzînan schrieb der Kolumnist Cüneyit Özdemir, ein weiterer Name im Visier Erdogans, für die Radikal zutreffend folgendes: „Wir sehen im Fall von Semdinli, dass der Staat den Medien eine große Zensur auferlegt. Früher, also in den 90er Jahren wurde diese Zensur vom Militär auferlegt. Damit damals nicht über die PKK berichtet werden sollte, hat das Militär die Journalisten, manchmal gar die Redaktion, angerufen und ihre ‚Bitte‘ weitergeleitet. Nun, mittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Die ‚bittende‘ Stimme am anderen Ende des Hörers ist nun eine zivile (und keine militärische) Stimme, aber das Verbot bleibt gleich.“
Zum Schluss noch ein Veranstaltungshinweis: Der oben genannte ehemalige Journalist der Tageszeitung Radikal Yildirim Türker ist auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am 13. Oktober als Referent für eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Pressefreiheit und Demokratie in der Türkei“ eingeladen.