Erklärung von CENÎ, 8. Mai 2015
Es vergeht kein Tag ohne Nachricht über einen weiteren Fall von Vergewaltigung, Angriffen oder auch Selbsttötungen von Frauen. Um einer Vergewaltigung durch iranische Staatsangestellte zu entgehen, hat sich die junge Frau Ferînaz Xosrowanî gestern (7. Mai) vom vierten Stock des Hotels in der ostkurdischen Stadt Mahabad, in der sie arbeitete, gestürzt und dabei ihr Leben gelassen.
Ihre Haltung verstehen wir als Aufstand der Würde; sie wurde mit ihrer Tat ein neues Glied in der langen traditionellen Widerstandskette der kurdischen Bewegung. Um nicht in die Hände ihrer Peiniger zu geraten, setzte sie ihrem Leben lieber ein Ende. In Dersim haben damals tausende Frauen sich lebendig von Schluchten heruntergeworfen, um nicht in die Hände der türkischen Soldaten zu gelangen. Oder Beritan, die ebenfalls bis zur letzten Kugel gegen die KDP-Peschmerga kämpfte und als sie sich kurz vor der Gefangennahme befand, sich bewusst vom Berghang warf.
Die Grausamkeit der patriarchalen, frauenfeindlichen und herrschenden Ideologie wird einmal mehr deutlich. Nicht nur der Fall Özgecan Aslan, sondern auch die von den IS-Kämpfern verschleppten und immer noch in Gefangenschaft befindenden Frauen aus Shengal zeigen dies auf brutale Art und Weise. Auch Ferînaz wurde ein Opfer dieser menschfeindlichen Ideologie.
Eine systematische Kultur der Gewalt gegen Frauen wird genutzt, um die Gesellschaft zu schwächen und sie mit ihrem patriarchalen Interesse zu beeinflussen. Eine der Formen, die die Auswirkungen einer solchen Politik aufzeigen ist beispielsweise der alltägliche und aggressive Sexismus, dem die kurdischen Frauen ausgesetzt sind. Dieser Zustand wird nicht nur vom Staat verursacht, sondern auch praktisch gefördert. Vergewaltigung und andere sexuelle Übergriffe werden bewusst bei Frauen eingesetzt, um sie zu brechen und sie für das Auflehnen des kurdischen Volkes zu bestrafen.
Es wird die Strategie verfolgt, um ein Volk zu unterwerfen, ihren Willen vorher zu brechen, worunter nun vor allem und überwiegend Frauen zu leiden haben.
Die jüngsten Angriffe auf Ferînaz Xosrowanî oder die sich durch die Geschichte kontinuierlich durchziehende Gewalt an Frauen in türkischen Gefängnissen, demonstrieren die Ergebnisse dieser kolonialen und patriarchalen Gesinnung.
Die Gesellschaft hat durch den unnachgiebigen Widerstand von Frauen und ihrer Organisierungsarbeit an Bewusstsein erlangt. Nun nimmt sie Haltung ein gegen die Grausamkeiten der sexistischen Denksysteme, deren populärste Stellung im 21. Jahrhundert der Islamische Staat innehat. Die Bevölkerung von Mahabad hat ihre Haltung und ihren Unmut auf die Straße getragen und das Hotel, in dem der Vergewaltigungsversuch stattfand, in Brand gesteckt. Das ist ein Aufstand der Würde und muss überall weitergeführt werden, allen voran von kurdischen Frauen. Der Widerstand gegen Sexismus und Vergewaltigungskultur, sowie der Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen, müssen überall intensiviert werden.
Als Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden schließen wir uns dem Aufruf der Gemeinschaft der Freien Frauen Ostkurdistans (KJAR) an und rufen alle Fraueninstitutionen und –Organisationen, Feministinnen, MenschenrechtlerInnen, alle Menschen dazu auf, eine gemeinsame Haltung gegenüber diesen Taten einzunehmen. Den Tod von Ferînaz anzuklagen bedeutet, die Organisierung überall zu verstärken und der Vergewaltigungskultur, den Übergriffen und Frauenmorden ein Ende zu setzen.
Wir unterstreichen unsere langjährige Forderung Feminizide international als Vergehen gegen die Menschlichkeit anzuerkennen und werden dieser Forderung solange Ausdruck verleihen bis es von den zuständigen internationalen und nationalen Institutionen umgesetzt wird.
Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.