Im Schatten des Gezi-Parks; die Entwicklungen im Nahen Osten!

Gezi-ParkText der „Abdullah-Öcalan-Akademie für Gesellschaftswissenschaften“

Der Widerstand im Istanbuler Gezi-Park hat allen verdeutlicht: Die gesellschaftliche Dynamik ist noch immer lebendig. Der Geduldsfaden ist nun geplatzt und die Grundlage zur Entwicklung solcher Ereignisse erstarkt.

Der Gezi-Park-Aufstand ist immer noch der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung der Türkei. Auch wenn er mit dem Schutz einer Grünanlage begann, ist in seinem Verlauf deutlich geworden, dass das Ereignis ein viel größeres Ausmaß angenommen hat. Gegen die Bestrebungen der AKP-Regierung, die der Gesellschaft ihre Prinzipien überstülpen will, gab es immer schon ernsthaften Widerstand.

Doch aufgrund ihrer Machtposition und der Unterstützung, die sie sowohl aus dem Inneren der Gesellschaft als auch von außerhalb der Türkei erfährt, nahm sie den Aufstand nicht ernst. Das Istanbuler Gezi-Park-Ereignis hat zum Ausbruch der seit Jahren aufgestauten Wut geführt und sich in kürzester Zeit in der ganzen Türkei und in Teilen Kurdistans sowie in weiteren Ländern verbreitet.

Die besondere Rolle der PKK beim Aufstand und der Einfluss des seit fast vierzig Jahren andauernden Demokratie- und Freiheitskampfes sind offensichtlich. Ebenso hat der an Newroz durch Abdullah Öcalan eingeleitete und von der Freiheitsbewegung mit praktischen Schritten begleitete Prozess erheblich dazu beigetragen. Bekanntlich verfügen die Menschen, die sich zum Aufstand erhoben haben, nicht über ein starkes politisches Bewusstsein, eine starke Organisierung oder klare Zielsetzung. Aber es besteht die Möglichkeit, dass sich diese Erhebung in einen demokratischen Widerstand mit fester Organisierung und klarer Zielsetzung verwandelt.

Es hat sich gezeigt, dass besonders der HDK (Demokratischer Kongress der Völker), die BDP (Partei für Frieden und Demokratie) und die demokratisch-gesellschaftlichen Organisationen im Allgemeinen sich dem Aufstand zu engstirnig und oberflächlich angenähert haben und ihre praktische Arbeit im Hinblick auf ihre sich auf der letzten Konferenz in Ankara gestellten Aufgaben deutlich verstärken müssen. Der Widerstand im Istanbuler Gezi-Park hat allen verdeutlicht: Die gesellschaftliche Dynamik ist noch immer lebendig. Der Geduldsfaden ist nun geplatzt und die Grundlage zur Entwicklung solcher Ereignisse erstarkt. Das Fundament wurde mit dem durch den Repräsentanten des kurdischen Volkes eingeleiteten Prozess gelegt. Mit Äußerungen wie „Ich kann kaum noch meine Anhänger in ihren Häusern halten“ droht Erdogan öffentlich der Bevölkerung. Dass „ausländische Provokateure, andere Kräfte“ involviert seien oder ähnliche Verschwörungsszenarien sind nichts anderes als Behauptungen der Lakaien dieser Macht.

Die Hoffnung auf eine neue Türkei

Auch wenn die Intensität dieser Ereignisse mit der Zeit abnimmt, wird in Zukunft eine neue Türkei entstehen, eine neue Politik. Diese Ereignisse sind ein Funke, eine Hoffnung. Die Botschaft des gegenwärtigen Widerstands muss von den demokratischen Kräften gelesen werden und dementsprechendes Handeln nach sich ziehen. Darüber, wie sich die Regierung gegenüber der Öffentlichkeit verhalten wird, sollten sich alle relevanten Kräfte ernsthaft Gedanken machen.

Die von Abdullah Öcalan initiierte Bewegung „demokratische Befreiung und Aufbau eines neuen Lebens“ ist ein grundlegender Tagesordnungspunkt. Der Rückzug der Guerilla aus dem Norden in den Süden wird durch die immer stärkere Beteiligung der Bevölkerung Kurdistans unterstützt. Der Prozess wird durch die Bevölkerung beschleunigt mit Volksversammlungen und mit Aktivitäten in den Ortschaften wie dem Aufstellen von Info-Zelten zur Beobachtung des Prozesses sowie mit Protestaktionen gegen den Bau neuer Polizeistationen und Staudämme. Es ist aber auch zu beobachten, dass der Prozess noch nicht richtig verstanden wurde, so sind beim Aufbau der Demokratischen Moderne weiter Mängel festzustellen. Die Volksräte, die Kommunen, die anderen demokratischen Organisierungsformen und besonders die Einheiten der kommunalen Selbstverwaltung müssen, im Hinblick auf den laufenden Prozess, neu bewertet und dementsprechend umstrukturiert werden. Die wohl wichtigste Aufgabe ist der an die aktuelle Situation angelehnte Aufbau der Kommunen und Rätestrukturen. Die Mängel in dieser Hinsicht stellen eine ernstzunehmende Schwäche dar. Den Äußerungen Erdogans ist zu entnehmen, dass das gegenwärtige Demokratieverständnis der AKP-Regierung der repräsentativen Demokratie entspricht. Die Alternative dazu liegt aber in den Aktivitäten der Bevölkerung.

Es ist zu beobachten, dass die Bedenken sowohl der Bevölkerung der Türkei als auch der demokratischen Kräfte gegenüber dem (Friedens-)Prozess und dessen Perspektiven in den letzten Wochen deutlich gesunken sind. In dieser Situation müssen die demokratischen Kreise aktiver werden. Vor allem die Organisierung des HDK und der BDP ist als unzureichend anzusehen; die Vorreiterrolle beim Erfolg der demokratischen Lösung ist doch ihre Aufgabe. Doch der HDK bleibt dabei hinter den Erwartungen zurück, die Haltung und die Erklärungen der BDP stehen immer noch dem Prozess entgegen. Der Gezi-Park-Aufstand aber zeigt, dass die Bevölkerung für praktische Aufgaben bereit ist.

Es geht jetzt um die Umsetzung

Die verschiedenen Konferenzen der letzten Zeit, denen eine entscheidende Funktion für eine erfolgreiche Entwicklung des Prozesses zugerechnet wird, wurde in Ankara als erste Etappe abgeschlossen. Für die Stärkung des Frauenfreiheitskampfes und für den Aufbau einer geschlechterbefreiten Gesellschaft im Mittleren Osten und weltweit spielt die erste Mittelost-Frauenkonferenz eine bedeutende Rolle. Auch die Konferenz des KNK (Kurdischer Nationalkongress) für die Einheit Kurdistans ist im Hinblick auf den gegenwärtigen Prozess als wichtige Versammlung zu sehen, ebenso wie die Zusammenkünfte verschiedener Teile der Gesellschaft auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Ohne Zweifel sind diese Treffen der Gemeinschaften, Gemeinden und Gruppierungen in Kurdistan, der Türkei und im Mittleren Osten große Anstrengungen zur Organisierung des demokratischen freien Willens. Allerdings ist es noch immer das etatistische Paradigma, mit seinen bürokratischen, elitären, zentralistischen und egozentrischen Vorstellungen, das auf diesen Versammlungen offensichtlich vorherrscht.

So nahmen an der Konferenz in Ankara vor allem akademische Kreise teil. Die Bevölkerung aus der demokratischen Volksorganisierung, die Künstler und lokalen NGOs waren nur schwach vertreten. Dies ist ein Grund, warum der gesellschaftliche Wille nur unzureichend aus der Konferenz herauskristallisiert werden konnte und die Arbeit und Organisierung nicht in dem Maße umgesetzt werden konnte, wie es der aktuelle Prozess von uns allen verlangt. Trotz all dieser Defizite waren die Konferenz in Ankara, die Mittelost-Frauenkonferenz und die KNK-Konferenz von enormer Wichtigkeit. Jetzt geht es um die Umsetzung der Ergebnisse.

Die Notwendigkeit des dritten Weges

Die Intensität der Angriffe auf die revolutionäre Bewegung und die Gesellschaft in Rojava (Westkurdistan) hat in den letzten Wochen zugenommen. Dazu kommt noch die Schließung der Außengrenzen durch die PDK [Demokratische Partei Kurdistans in Südkurdistan]. Dies ist in einer Phase der Diskussionen über die nationale Einheit, einhergehend mit großen Hoffnungen und viel Aktivität, inakzeptabel.

Die Gesellschaft muss gegen diese Angriffe intensiven Widerstand leisten. Es ist offensichtlich, dass diese sich selbst als Teil der Freien Syrischen Armee (FSA) darstellenden Angreifer in Wirklichkeit Salafisten und Söldner sind, die vom türkischen Staat, der PDK und von Saudi-Arabien unterstützt werden. Innerhalb der FSA erklärten einige Gruppen, dass sie die FSA aufgrund der genannten Angriffe verlassen hätten. Damit einhergehend spielen die Salafisten und die bezahlten Banden in der FSA mit der Zeit eine immer bestimmendere Rolle. Die USA und ihre Verbündeten, die die Salafisten, die Muslimbruderschaften und die genannten Banden innerhalb der FSA als Gefahr ansehen, versuchen den Prozess nach ihren eigenen Interessen zu lenken. Die US-russischen Gespräche und die Arrangements, wie die Genfer Konferenz, belegen diese Annäherungsweise. Die gegenwärtige Situation in Syrien wird wohl noch eine ganze Zeit andauern, und alle Kräfte werden versuchen, ihre eigene Linie durchzusetzen. Dagegen entwickeln sich in Rojava (Westkurdistan) der legitime bewaffnete Kampf zur Selbstverteidigung und der Aufbau der Demokratischen Nation und zeigen damit die Notwendigkeit eines dritten Weges.

Und im Iran zeigt sich mit der Ablehnung eines Großteils der Anträge der Kandidaten in der aktuellen Präsidentschaftswahl, dass man zu einer Fortsetzung des derzeitigen Systems entschlossen ist. Der Iran beabsichtigt auf diese Weise, sein System zu stabilisieren und zu schützen und eine aktivere Rolle in den Auseinandersetzungen in der Region zu spielen.

In einer Phase, in der das Chaos im Mittleren Osten mit jedem Tag zunimmt, wird die Organisierung der Völker dieses Chaos beenden und damit alle Spielchen, die mit ihnen gespielt werden. Die Aufgaben liegen klar und deutlich vor uns. Sie bestehen im Aufbau der Demokratischen Moderne.

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