Impressionen aus Kobanê (Teil 2): Widerstand bis zum Ende

kobane 32Gulan Gernas befindet sich als eine der wenigen JournalistInnen in Kobanê und berichtet von dort aus.

Fast pausenlos ertönen Geräusche von Detonationen. Teilweise einkehrende Stille trügt, denn sie ist so wie die Ruhe vor dem Sturm. Die Stadt wir weiterhin von allen Seiten angegriffen. Mittlerweile blicken wir auf mehr als 70 Tage des Widerstandes zurück. Jedoch lassen sich ebenso 70 Tage der Angriffe im Antlitz der Stadt verzeichnen. Eine in Trümmern liegende Stadt spiegelt das Bild. Zerstörte Hausfassaden lassen in leere Betongestelle sehen. In Windzügen wirbelnde Asche lässt die Sicht im Staub vernebeln.

Die Nächte in Kobanê sind nicht nur kurz, sondern auch sehr kalt. Es bahnt sich ein eisiger Winter an. Am heutigen Morgen wird der raue Wind begleitet vom prasselnden Regen. Zwar bedeutet der Niederschlag, dass mit weniger Angriffen zu rechnen ist. Jedoch trägt dieser auch zur Bedeutung, dass die notgedrungenen Obdache der vielen Menschen durchnässt werden. Zuflucht und Schutz vor Kälte und Nässe zu finden, erscheint derweilen mehr als mühsam. Dennoch handelt es sich hierbei keineswegs, um das einzige Problem. Nicht nur das sämtliches Hab und Gut der Menschen geplündert wurden, ebenso wurde alles verbrannt und zerstört.

kobane 33Nichts als Verwüstung wurde übrig gelassen. Auf die Frage, weshalb denn die Kinder ohne Socken rumlaufen, entgegen deren Mutter, dass es den Kindern nicht nur an Schuhen fehlt. Ebenso fehlt es an Wasser, um die Socken reinigen zu können. Genauso wie es nicht möglich ist, diese irgendwo zu trocknen. „Wir haben nicht mal Wasser zum trinken“, die Worte der Mutter die den Widerhall eines Ausschreis von Verzweiflung reflektiert. Tatsächlich sind die Wasservorräte sehr knapp.

Bereits vor mehr als zwei Jahren, genauer gesagt nach der Volksrevolte von Kobanê, den viele als Beginn der Revolution von Rojava begreifen, kappte das syrische Regime die Wasserzufuhr nach Kobanê. In Folge dessen erbaute die Bevölkerung von Kobanê eine alternative Wasserleitung. Diese wurde von den Scheusalen des sogenannten Islamischen Staates zerstört. Derzeit ist es der Bevölkerung nur möglich Wasser aus einigen Brunnen zu beziehen. Jedoch handelt es sich bei dem Wasser um kein sauberes Trinkwasser. Geschuldet der knappen Vorräte von Wassertrinkflaschen, sehen sich viele Menschen dennoch gezwungen von diesen Brunnen Gebrauch zu machen.

kobane 34Erwähnt sei an dieser Stelle, dass nicht nur aufgrund der vielen Bombeneinschlägen, sondern auch der verwesenden Leichen, die angesichts der Angriffsgefahr nicht geräumt werden können, eine akute Seuchengefahr bestehend ist. Nicht nur fehlendes Trinkwasser stellt ein gewaltiges Problem dar. Ebenso heikel sieht es mit der Nahrungsversorgung aus. Die von der Bevölkerung erbaute Brotproduktionsstelle ist in die Hände des IS geraten. Mit ihr zusammen sämtliche Weizen- und Mehlvorräte. Derzeit wird Brot in einer kleinen Bäckerei, die der Besitzer der Kantonalregierung überlassen hat, produziert. Jedoch reichen die Kapazitäten, trotzt ununterbrochenem Betrieb, nicht aus, um den Bedarf der gesamte Bevölkerung von Kobanê zu decken. Fraglich ist zudem wie lange die Mehlvorräte noch halten werden.

Ebenso nach dem Beginn des Volksaufstandes hat das Regime in Damaskus die Stromversorgung gekapert. Das von der Bevölkerung errichtete alternative Stromsystem fußt auf Generatoren, welche mit Benzin betrieben werden. Jedoch wurde das Benzindepot vom IS zerstört. Ebenso im Depot gelagert, waren die Heizölvorräte der Stadt Immer mehr Menschen kehren nach Kobanê zurück.

kobane 35Es sind vor allem diejenigen, die erst ungewollt geschickt wurden. Vor allem die Eltern der Töchter und Söhne, die ihre Heimat vor den Besatzungsbestrebungen der Terrormiliz Islamsicher Staat, verteidigen. Sie sind nicht wie viele in die Flüchtlingslager nach Prisûs gereist, sondern verweilen seitdem am Grenzpunkt zu Kobanê. Sämtlichen Repressionen der türkischen Armee zum Trotz. Jedoch sind mindestens genauso viele Familien, eben wegen der Repressionen des Staates und der missständlichen Lage der Flüchtlingslager, aus den Flüchtlingscamps nach Kobanê zurückgekehrt.

Eine junge Kämpferin wurde im Gefecht verletzt. So wie es aussieht, sehr schwer. Dennoch zeigt sich die Frau entschlossen zurück an die Front zu gehen. „Meine Freundinnen und Freunde brauchen mich.“, so ihre Worte, die sie gerade noch mit letzter Kraft über die Lippen kriegt. Die Aufopferungsbereitschaft der Menschen hier ist unbeschreiblich. In diesem Augenblick frage ich mich warum nicht alle so sind, wie diese Menschen. Die Menschen könnten viel mehr machen, als das sie tun. Die junge Frau reiht sich im Kreis der niemals sterbenden Märtyrerinnen und Märtyrer des Widerstandes von Kobanê ein.

kobane 36In Kobanê wird nicht Geschichte geschrieben, in Kobanê wird Geschichte gelebt. Genauso wie das Leben einer weiteren Kämpferinnen tiefe Spuren in diesem Heldinnenepos hinterlassen wird. Freiheit, so lautet ihr Name übersetzt. Tatsächlich war ihr Leben geprägt vom Freiheitskampf, den sie sich in jungen Jahren anschloss. Sie trachtete förmlich in jeder Sekunde, in jeder Faser ihres Herzen und Seins nach Freiheit. Vor allem aber war sie bestrebt ihre Mitmenschen in Richtung Freiheit zu führen. So marschierte sie auch in den letzten Momenten ihres Lebens in Richtung Freiheit. Sie stellte sich einem Panzer entgegen, damit sie ihre Freundinnen und Freunde retten konnte. Sie gab ihr Leben, für das Leben der anderen.