Birgit Zwikirsch und Christian Katz für den Kurdistan Report Nr. 185 | Mai/Juni 2016
Seit einem Jahr engagieren sich zwei Oldenburger Schulen im Projekt »Jiyana nû« für den Wiederaufbau der Schulen in Kobanê.
Ausgangspunkt des Projekts war eine Solidaritätsaktion für die êzîdischen Geflüchteten aus Şengal (Sindschar) im Herbst 2014. Das Entsetzen und die Betroffenheit über die Angriffe des sog. »Islamischen Staats« (IS) fanden auch an den Schulen ihren Ausdruck. Viele SchülerInnen haben familiäre oder freundschaftliche Beziehungen zu den Menschen in und aus den kurdischen Gebieten. Spontan gründeten sich an den beiden Oldenburger Schulen Gruppen zur Unterstützung einer Kleiderspendensammlung für die Geflüchteten. Engagiert betreuten SchülerInnen verschiedener Herkunft und religiöser bzw. weltanschaulicher Orientierung sowie Lehrkräfte gemeinsam die an der Schule eingerichteten Sammelstellen und fanden innerhalb der Schulen ebenso wie im schulischen Umfeld und der Öffentlichkeit große Unterstützung.
Aus der positiven Erfahrung dieser erfolgreichen Solidaritätsaktion entstand in den Gruppen der beiden Schulen das Bedürfnis nach einer kontinuierlichen und koordinierten Zusammenarbeit.
Den Rahmen dafür bildet aktuell das bundesweite Netzwerk »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« (dessen Titel leicht als falsche Zustandsbeschreibung missverstanden werden kann und kritisiert wird). Mit dem Anschluss an das Netzwerk verpflichten sich beteiligte Schulen zu einem aktiven Engagement gegen Rassismus und gegen jede Form der Diskriminierung. Das beinhaltet sowohl eine konkrete Antidiskriminierungsarbeit innerhalb der Schulen als auch das gesellschaftliche Engagement zu aktuellen Auseinandersetzungen und zu eigenen Schwerpunkten, die sich bei vielen Schulen herausgebildet haben.
Seit einem Jahr ist das Solidaritäts- und Schulpartnerschaftsprojekt »Jiyana nû – neues Leben« Schwerpunkt der beiden Oldenburger Schulen. Aktueller Hintergrund war die Zerstörung Kobanês nach der erfolgreichen Verteidigung der Stadt gegen die Angriffe des sog. »Islamischen Staats«, mit der Kobanê in einer breiten Öffentlichkeit zum Symbol des Widerstands wurde. Auf eine Initiative von SchülerInnen hin beschlossen die Gruppen, mit einem langfristig angelegten Projekt zum Wiederaufbau der Schulen in Kobanê beizutragen und langfristig nach Möglichkeit Schulpartnerschaften zu beginnen.
Ende Juni 2015 veranstalteten sie im Oldenburger Stadtwald als erste Aktion einen gemeinsamen Spendenlauf. Mehr als 1000 SchülerInnen hatten in ihren Familien und bei Bekannten mit Informationen über die Situation in Kobanê SpenderInnen für das Projekt geworben. Die Aktion fand große Zustimmung in der Schulöffentlichkeit sowie in der Lokalpresse, und als Ergebnis konnte dem Komitee für den Wiederaufbau Kobanês ein beachtlicher Betrag für die Schulen übergeben werden.
In einem Antwortschreiben des Komitees erhielten die Oldenburger Schulen die Nachricht über die Verwendung des Geldes für die Schulen »Miştenûr Kobanê« und »Şehid Osman«, in denen zusammen mit fünf weiteren Schulen im September 2015 der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde. Bewegt und motiviert durch den Kontakt und Fotos aus den Schulen in Kobanê wurde der erste Brief zum Beginn einer Schulpartnerschaft formuliert und auf den Weg gebracht.
Nach den Sommerferien 2015 beeinflussten die Ereignisse und Medienberichte im Zusammenhang mit der Fluchtbewegung nach Europa auch die Fortsetzung des Kobanê-Projekts. Diskussionen und Aktivitäten an den Schulen und in den Gruppen »Schule ohne Rassismus« waren durch die konkrete Solidarität mit Geflüchteten und die Abwehr rassistischer Entwicklungen geprägt, im weiteren Verlauf auch durch die Auseinandersetzung mit Sexismus.Jîana Nû – Neues Leben
Gleichzeitig führte gerade diese Situation zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Bedeutung des Kobanê-Projekts. Informationen und Diskussionen über den Aufbau in Kobanê verdeutlichten den Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Projekt der demokratischen Selbstverwaltung in Rojava. So wurde Solidarität mit Kobanê immer mehr als Beitrag zum Aufbau Rojavas verstanden, als Unterstützung einer Perspektive des gleichberechtigten Zusammenlebens von Frauen und Männern sowie der verschiedenen kulturellen und weltanschaulichen Bevölkerungsgruppen, und damit auch als Beitrag zur Verminderung von Fluchtursachen. Um diese demokratische Perspektive gegen die Blockade, Bedrohung und Angriffe von außen bekannt zu machen, zeigten die Schulen im Rahmen der »Internationalen Wochen gegen Rassismus« im März 2016 in Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater die Fotoausstellung »back to rojava« von »medico international«. Auch die Ausstellung, mit der zur Anerkennung von und Solidarität mit Rojava aufgerufen wird, fand in der Öffentlichkeit und Lokalpresse positive Aufmerksamkeit.
“Inzwischen ist für uns immer deutlicher geworden, dass wir mit dem Projekt nicht nur im Protest (gegen die Angriffe des sog. IS), sondern auch in der positiven Ausrichtung auf der richtigen Seite sind. Das demokratische Projekt Rojava gibt den Menschen, die dort leben, und denjenigen, die zurückkehren möchten, eine Perspektive, die auch den Grundgedanken der Initiative ›Schule ohne Rassismus‹ entspricht: Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Frauen und Männern und von Menschen verschiedener kultureller und religiöser Bevölkerungsgruppen. Wenn wir, so wie wir es vorhaben, eine Schulpartnerschaft mit den Schulen in Kobanê anfangen, werden wir dadurch sicher noch eine ganze Menge lernen können.”
So begründen die Gruppen »Schule ohne Rassismus« in der Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung ihr weiteres Engagement im Projekt »Jiyana nû«. Sie werben, auch bundesweit, für eine Unterstützung und eine Beteiligung anderer Schulen an der Initiative. Für September ist ein weiterer Spendenlauf geplant.
Informationen unter: www.jiyananu.blogsport.de
Birgit Zwikirsch und Christian Katz koordinieren die Arbeit der Projektgruppen »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« an der Oberschule Eversten und der Helene-Lange-Gesamtschule in Oldenburg.