Krieg gegen Demokratische Föderation Nordsyrien: Stellungnahme zu „Panorama“-Sendung über Nordsyrien

Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 27.10.2017

Während die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) mit der Befreiung Rakkas einen wichtigen Erfolg vermelden und dafür internationale Anerkennung erhalten, scheint die Redaktion der ARD-Sendung „Panorama“ mit ihrem gestrigen Beitrag eine Politik der Desinformation betreiben zu wollen. Der Beitrag setzt bewusst auf eine eindimensionale Darstellung der Situation in Nordsyrien und wird damit den komplexen Verhältnissen in Syrien bzw. dem Nahen und Mittleren Osten in keiner Weise gerecht.

„Krieg gegen IS: Der US-Pakt mit Marxisten“ lautet der Titel des Beitrags der beiden Autoren Stefan Buchen und Karaman Yavuz. Sucht man auf der Homepage der Sendung „Panorama“ nach dem genannten Beitrag, stößt man zunächst auf ein Bild, auf dem offensichtlich nicht die „Marxisten“ aus Rojava, sondern die Peshmerga-Kämpfer aus Südkurdistan/Nordirak zu sehen sind. Diesen Fehler mag man noch unter der Kategorie „Flüchtigkeitsfehler“ verordnen. Im Folgenden möchten wir jedoch auf einige inhaltlichen Fehler aufmerksam machen, die mindestens für Fahrlässigkeit, wenn nicht für gezielte Desinformation sprechen.

Auf der verzweifelten Suche nach der PKK in Nordsyrien

Den beiden Autoren liegt viel daran, die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) hinter den Kräften der SDF (Syrian Democratic Forces – Demokratische Kräfte Syriens) ausfindig zu machen. So seien die Demokratischen Kräfte Syriens nur entstanden, weil laut einem US-General der Name PKK für Kräfte in Nordsyrien nicht passend sei. Diese Darstellung ist problematisch, da es die PKK als solche seit spätestens Ende der 90er Jahre nicht mehr in Syrien gibt. Richtig ist, dass sich die kurdischen Kräfte in Form der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) an den Kräften der SDF beteiligen. Beide Kampfeinheiten entstanden im Zuge der Rojava-Revolution, die 2012 ihren Anfang nahm. Die YPG und YPJ verdrängten zunächst die Kräfte des Assad-Regimes aus den kurdischen Siedlungsgebieten Nordsyriens, anschließend verteidigten sie die Region gegen Angriffe der Freien Syrischen Armee (FSA), der Al-Nusra Front und anderen Islamisten und zuletzt gegen den sog. Islamischen Staat (IS). Von der sog. syrischen Opposition (und von vielerlei internationalen Mächten) wurden die Einheiten der YPG und YPJ sehr lange kritisch beäugt. Es wurde gar häufig der Vorwurf erhoben, die YPG und YPJ würden mit Assad kooperieren. Tatsächlich schlugen die YPG, die YPJ und die politische Selbstverwaltung von Rojava den dritten Weg ein. Sie stellten sich also weder auf die Seite der sog. Opposition (hinter welcher die Türkei, Katar, Saudi-Arabien und viele Länder des Westens stehen) noch auf die Seite Assads (hinter dem Russland und der Iran stehen). Die Maxime der YPG und YPJ lautete: „Wir verteidigen unsere Gebiete und das politische Projekt der demokratischen Selbstverwaltung und zwar gegen jeden Angreifer.“

Nun waren die Kampfeinheiten der YPG und YPJ so erfolgreich in ihrem Verteidigungskampf, dass der Westen, genauer genommen die USA, auf sie aufmerksam wurden. Der Westen hatte unlängst seine Priorität vom Sturz Assads auf den Kampf gegen den IS verschoben. Da der Kampf gegen den IS auch eine dringende Priorität der YPG und YPJ war, kam eine Zweckgemeinschaft zustande. Durch den Zulauf von arabischen Jugendlichen und Kampfgruppen aus den Reihen der Freien Syrischen Armee, die mit dem Niedergang der FSA andernfalls zwischen islamistischen Kräften und dem Regime aufgerieben worden wären, entwickelte sich das Projekt der Demokratischen Kräfte Syriens. Dieser Zulauf war zuletzt so groß, dass bei der Befreiung Rakkas mehr arabische als kurdische Kämpfer im Einsatz waren. Und selbst wenn dem nicht so wäre, würde das kein Problem darstellen. Denn nicht die Kampfgruppen der SDF übernehmen nach der Befreiung Rakkas die Kontrolle über die Stadt, sondern ein Zivilrat der lokalen Bevölkerung, welcher in seiner Zusammensetzung die verhältnismäßige ethnische und religiöse Vielfalt von Rakka wiederspiegelt.

An Themen wie diesen haben die Autoren von „Panorama“ kein Interesse. Ihnen geht es darum, den vermeintlichen Skandal des „US-Pakts mit den Marxisten“ aufzudecken. Aus diesem Grund wird die Europavertreterin der Demokratischen Föderation Nordsyriens, Sinam Mohamed, kurzerhand zur Vertreterin des syrischen PKK-Zweiges erklärt und die YPG und YPJ mit PKK gleichgesetzt gleich gesetzt. Obendrein führen die Autoren an, die PKK werde „von der Türkei, einem Natomitglied und daher formellen Verbündeten der Vereinigten Staaten, als staatsfeindliche Terrororganisation betrachtet.“  Doch wenn wir dieser Tage die Worte des Natomitglieds Türkei als verlässliches Argument betrachten wollen, müssen wir fairerweise auch Deniz Yücel für einen „PKK-Terroristen und deutschen Agenten“ und Angela Merkel und eine ganze Reihe weiterer deutsche Politiker für „Nazis“ halten. Der Ton des „Panorama“-Beitragsähnelt überraschend stark den eindimensionalen und hetzerischen Darstellungen von Erdogans Propagandisten. Es stellt sich für uns die Frage, wie kritisch sich die Autoren des Beitrages mit den Aussagen türkischer Regierungsvertreter auseinandergesetzt haben.

Die Ideen Öcalans geben den Menschen ihre Würde zurück

Doch ein Argument der beiden Autoren ist nicht von der Hand zu weisen: Die Akteure der Föderation Nordsyrien nehmen Bezug auf die Ideen des inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalans. Diese Ideen und das von ihm entworfene Konzept des Demokratischen Konföderalismus stehen heute in Nordsyrien für die Praxis von basisdemokratisch organisierter lokaler Selbstverwaltung, gleichberechtigter Teilhabe aller ethnischer und religiöser Gemeinschaften am politischen Leben und der Befreiung der Frau aus den patriarchalen Zwängen. Eben aus diesem Grund haben die Frauenverteidigungseinheiten nach der Befreiung von Rakka, also dem Ort, an dem den Frauen im syrischen Bürgerkrieg die schlimmsten Formen der Erniedrigung wiederfahren ist, ihren Sieg über die Terrororganisation IS Abdullah Öcalan gewidmet.

In Rojava und Nordsyrien findet ein bedeutender Wandel statt. Nicht nur die Kurden, sondern alle Völker der Region machen erstmals Bekanntschaft mit einem Gesellschaftsmodell, dass ihre Würde achtet und das Recht auf Demokratie garantiert. Dieser Wandel breitet sich stetig aus und schlägt tiefe Wurzeln. Selbst wenn morgen die militärische Zweckgemeinschaft mit den USA zu Ende geht, werden die Errungenschaften der Menschen in Nordsyrien nicht so einfach beseitigt werden können.

 

NACHTRAG

Wir wurden darauf hingewiesen, dass übrigens in dem Beitrag die Worte des US-Generals Raymond Thomas verfälscht werden. In der Übersetzung, die im Beitrag zu hören ist, werden dem General die Worte in den Mund gelegt, dass er “direkt mit Führungskräften der PKK” gesprochen habe. Im Original fällt in dem Satz aber weder das Wort “PKK” noch “Führungskräfte”.

Hier nochmal das Ganze zum Nachhören:
Videobeitrag von Panorama (ab Minute 2:40)