Kein Lebenszeichen von Öcalan: Kurdische PolitikerInnen treten in Hungerstreik

dtk-aciklamaFiratnews (ANF), 31.08.2016

VertreterInnen aller kurdisch-politischen Institutionen, Organisationen sowie Abgeordnete der HDP haben gestern in Amed (Diyarbakir) am Dienstag, dem 31.08.2016 den Beginn eines neuen Prozesses bekannt gegeben. Hierzu wurde eine Presseerklärung von Hatip Dicle vor dem Gebäude des DTK (Demokratischer Volkskongress) verlesen, in der es wie folgt hieß: “Es ist nun an der Zeit zu Handeln. 50 unserer Freunde werden ab dem 5. September 2016 in einen Hungerstreik treten, der so lange andauern wird, bis unsere Forderungen erfüllt sind”.

Bereits vor einigen Tagen wurde eine Erklärung von kurdischen PolitikerInnen und VertereterInnen verschiedener Institutionen für den 31.08.2016 angekündigt.

Zu der Pressekonferenz waren VertereterInnen des DTK (Demokratischer Gesellschaftskongress), HDK (Demokratischer Kongress der Völker) , KJA (Kongress der freien Frauen), DBP (Partei der Demokratischen Regionen), HDP (Demokratische Partei der Völker), verschiedene kurdischen PolitikerInnen, BürgermeisterInnen, VertreterInnen diverser NGO’s und anderer gesellschaftlicher Kreise aus Amed anwesend.

Kein Lebenszeichen aus Imrali

In der Presseerklärung hieß es wie folgt:

“Wir möchten mit Hilfe dieser Presseerklärung die Regierung auf einen, aus unserer Sicht, wichtigen Punkt hinweisen. Seit mehr als 510 Tagen versuchen wir vergeblich Kontakt zu Herrn Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali aufzunehmen. Wir haben seither kein einziges Lebenszeichen aus Imrali erhalten. Obwohl seit dem Putschversuch nun schon 46 Tage vergangen sind und obwohl bekannt ist, dass die Putschisten einen aktiven Angriff auf Imrali vorgesehen hatten, haben wir keinen einzigen objektiven Hinweis auf den Zustand der Sicherheit und Gesundheit von Abdullah Öcalan.

Wir möchten noch einmal betonen, dass die ungelöste kurdische Frage, die seit dem ersten Weltkrieg auf eine Lösung wartet, dass Hauptproblem unseres Landes darstellt. Auf friedliche Lösungsversuche wurde immer mit Repression, Verleugnung und Vernichtung geantwortet, sodass seither diese Frage auf ihre Lösung pocht. Wir versuchen inmitten dieser Situation der Gewalt eine politische Lösung zu realisieren, während nationale, regionale und internationale Mächte stets auf ihren Profit beharrten und sogar aus diesem Konflikt profitieren. Da kurdischen Aufständen immer mit Repression begegnet wurde, blieb sowohl dem türkischen, als auch dem kurdischen Volk nichts weiter übrig, als gemeinsam das Leid zu ertragen.

Die Hoffnung auf Frieden und die Totalisolation auf Imrali

Um genau diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen und einen echten Frieden zu schaffen, hat Herr Abdullah Öcalan zu Newroz, dem Neujahrsfest 2013 die starke Initiative zum Frieden ergriffen. Herr Abdullah Öcalan erklärte, dass die Gewalt ein Ende nehmen müsse und der bewaffnete Kampf zu einem politischen Kampf werden müsse. Da auch der türkische Staat damals dem Frieden zustimmte, kam eine große Hoffnung zum Frieden auf. Die Waffen schwiegen tatsächlich und es wurde kein Blut vergossen. Doch leider wurde der Friedensprozess inoffiziell Ende 2014 und offiziell im Sommer 2015 von der türkischen Regierung gekündigt und hat den Platz für Frieden einem skrupellosen Krieg überlassen.

Genau an diesem Punkt möchten wir mit Nachdruck erwähnen, dass wir zu derjenigen Person, die uns den Frieden so nahe bringen konnte, seit über 510 Tagen keinen Kontakt haben. Selbstverständlich bevorzugen wir keine Gewalt und keinen Krieg. Jedoch sollten selbst während eines Krieges gewisse Regeln eingehalten werden.

Es ist weder ethisch, noch rechtlich vertretbar, dass diejenige Person, die drei Jahre lang die Hoffnung auf Frieden aufrechterhalten konnte und für dessen Freiheit weltweit 10.328.623 Menschen eine Petition unterschrieben haben, auf diese Weise isoliert und so behandelt wird. Gleichzeitig werden ihm seine rechtlich zugesicherten universell geltenden Rechte offensichtlich verwehrt, was die Gefängnisinsel Imrali damit zu einer rechtsfreien Zone macht.

Den AnwältInnen von Herrn Öcalan wird seit 5 Jahren jeglicher Kontakt zu ihm verwehrt. Die Regierung wendet eine ‘Isolation in der Isolation’ gegen ihn an, um ihn damit noch mehr zu bestrafen bzw., ihn als Geisel zu halten.

Unsere Gesellschaft hat mit all ihrer Vielfältigkeit ein Recht auf ein friedvolles und gemeinsames Leben. Die Erfüllung dieses Rechts sollte die erste Aufgabe von uns PolitikerInnen sein.

Indem wir einerseits Widerstand gegen jegliche Form von Repression leisten und andererseits jeden kleinen Funken Hoffnung auf eine politische Lösung der kurdischen Frage auswerten, versuchen wir dieser Aufgabe gerecht zu werden. Allerdings möchten wir erwähnen, dass es nicht zu einem möglichen Frieden beiträgt, die Führungspersönlichkeit eines Volkes insbesondere nach dem versuchten Putsch weiterhin und nun schon seit 510 Tagen in Isolationshaft zu halten.

Eine friedliche Lösung, ohne Herrn Öcalan einzubeziehen, ist früheren Erfahrungen nach, nicht realistisch. Aber wir beobachten, dass genau diese Herangehensweise wiederholt wird, indem Herr Öcalan ausgeschlossen wird. Dies ist nicht lösungsorientiert und folglich inakzeptabel. Keiner kann von uns erwarten, dass wir die Totalisolation von Herr Öcalan akzeptieren. Alle unsere Bemühungen der vergangenen 510 Tage blieben seitens der türkischen Regierung unbeachtet.

Startschuss zu einem Hungerstreik

Daher beschließen wir, einen neuen Prozess zu beginnen, der so lange andauern wird, bis der Familie oder den AnwältInnen der direkte Kontakt zu Herrn Öcalan ermöglicht wird. Daher verkünden wir, dass 50 Freiwillige aus unseren Reihen ab dem 05. September 2016 einen Hungerstreik anfangen werden, der so lange andauern wird, bis unsere Forderung erfüllt wird. Der Hungerstreik hat nur eine Forderung: Ein Gespräch mit Herrn Öcalan im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten. Daher ist unser erster Aufruf an die (türkische)Regierung: Wir erwarten, dass unsere, aus politischer, rechtlicher, ethischer und menschlicher Sicht legitime Forderung umgehend erfüllt wird.

Wir möchten darüber hinaus hervorheben, dass jeder, der an Frieden und eine politische Lösung glaubt, sich auch gegen diese Totalisolation stellen sollte, da jedes Wort aus Imrali (Herr Abdullah Öcalan ist damit gemeint, Anmerkung der Redaktion) einen neuen Friedensprozess anstoßen und weitere Opfer verhindern kann.“