Nach Festnahme der Abgeordneten – Die HDP, die Türkei und die EU

hdpCivaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 06.11.2016

Die Möglichkeit, über die demokratisch Politik für die Interessen der Völker einzutreten, besteht in der Türkei nicht mehr. Das dürfte die wichtigste Erkenntnis sein, die aus den Festnahmen der neun HDP-Abgeordneten am 04. November gewonnen werden kann. Und so erklärt der HDP Sprecher Ayhan Bilgen zwei Tage später in Amed (Diyarbakir), dass seine Partei bis auf Weiteres ihre Tätigkeit im türkischen Parlament einstellen wird. „Von nun an werden wir jeden Tag an der Seite unserer Bevölkerung sein“, so Bilgen. Die Frage, ob man sich auch vollständig aus Parlament zurückzieht, werde gemeinsam mit den Wählerinnen und Wählern getroffen.

Alle zwölf HDP-Abgeordneten, die in der Nacht auf den Freitag in Gewahrsam genommen wurden, machten vor dem Haftrichter deutlich, dass sie die Legitimität dieses Gerichtes nicht anerkennen. „[…] ich akzeptiere es nicht, eine Figur in einem Justiz-Theaterstück zu werden, das auf Befehl Erdoğans errichtet wurde“, und „Allein das Volk, das mich gewählt hat, hat ein Recht mich aufgrund meiner politischen Haltung und Handlung zur Rechenschaft zu ziehen”, heißt es in der gemeinsamen Verteidigungsrede der HDP-Abgeordneten, die vollständig HIER zu lesen ist. Die Haftrichter entließen nur drei der zwölf Abgeordneten. Der HDP Kovorsitzende Selahattin Demirtas wurde mit einem Militärhubschrauber in das F-Typ Gefängnis im westtürkischen Edirne gebracht. Die zweite Kovorsitzende Figen Yüksekdağ hingegen wird im F-Typ Gefängnis von Kocaeli inhaftiert.

Internationales Aufsehen und viel „Bestürztheit“

Der internationale Aufschrei nach den Festnahmen am Freitag war groß. Weltweit meldeten sich Politiker und Staatsvertreter zu Wort und kritisierten zum Teil in scharfen Worten die türkische Regierung. Doch die Frage ist, was auf diese Worte folgen wird? Insbesondere in Europa ist man schon seit längerer Zeit „bestürzt“ über die Entwicklungen in der Türkei. Politiker erklären immer wieder, dass sie das Vorgehen der AKP und Erdogans „mit Sorge beobachten“. Das Mitgefühl für die Opfer der AKP-Diktatur mag ja ganz nett sein. Aber was folgt auf diese Sorgenbekundungen? Wie will die EU und insbesondere die deutsche Bundespolitik Druck auf eine Türkei ausüben, die sich ganz offenkundig lustig über die Erklärungen aus der EU macht? Die türkische Regierung scheint sich gewiss zu sein, dass sie derzeit die EU aufgrund des Flüchtlingsdeals in der Hand hat. Und so wundert es nicht, dass die türkische Regierung sich nicht nur die Kritik aus Europa verbittet, sondern zusätzlich nochmal klarstellt, dass sie die Visafreiheit für ihre Bürger in kürzester Zeit verwirklicht sehen will. Andernfalls werde man den Flüchtlingsdeal mit der EU aufkündigen.

Vermutlich wird die Türkei diese Drohung nicht verwirklichen. Denn solange der Deal am Leben ist, hat die EU scheinbar gegenüber der türkischen Regierung das Nachsehen. Der aktuelle EU-Fortschrittsbericht zur Kandidatur der Türkei interessiert deshalb die türkische Öffentlichkeit schon gar nicht mehr. Aktuell ist es die Türkei, die gegenüber der EU die Forderungen stellt. Und aufgrund dessen droht die Europäische Union derzeit zu einer Farce ihrer selbst zu werden. Die Haltung der europäischen Politik zu den Festnahmen der HDP-Abgeordneten in der Türkei wirkt deshalb wie ein Lackmustest. Folgen auf die Erklärungen, dass man hinsichtlich der Türkei „äußerst besorgt“ sei, keine praktischen Folgen, hat die EU zumindest aus Sicht der Kurdinnen und Kurden ihre Glaubwürdigkeit verloren.

 

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