Newsletter: Wahlen in der Türkei

Am 14. Mai finden in der Türkei Wahlen statt. In knapp sechs Wochen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident des Landes von der Bevölkerung neu gewählt. Alle Umfragen deuten auf einen knappen Wahlausgang hin. Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und seinem Hauptkonkurrenten Kemal Kılıçdaroğlu mit derzeit leichten Vorteilen für letzteren. Doch noch ist nichts entschieden. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass die regierende AKP zu allem bereit ist, um an der Macht zu bleiben.

Als die AKP-Regierung bei den Wahlen im Juni 2015 ihre absolute Mehrheit im Parlament verlor, explodierten in der Türkei Bomben. Die IS-Anschläge in Suruç mit 34 Toten und in Ankara mit 102 Toten sind der breiten Öffentlichkeit noch in bester Erinnerung. Beide Terroranschläge richteten sich direkt gegen oppositionelle Kräfte in der Türkei. Viele vermuteten damals zumindest eine Mitwisserschaft der Regierung, die dem IS einen sicheren Hafen innerhalb ihrer Staatsgrenzen gewährte. Bei den Neuwahlen im November 2015 konnte die AKP erneut die absolute Mehrheit im Parlament erringen. Sie profitierte zweifellos von dem Chaos im Land.

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat kürzlich erneut vor einer möglichen Eskalation im Vorfeld der Wahlen gewarnt. Sabri Ok vom Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), erklärte, es sei zwar nicht klar, welche Art von Provokationen die Regierung vor den Wahlen durchführen werde, aber die Wahrscheinlichkeit sei hoch. „Es ist offensichtlich, dass die AKP/MHP-Regierung verlieren wird. Darauf steuert sie zu. Um eine Niederlage zu vermeiden, ist sie zu allem bereit“, so Ok.

Die PKK hat ihrerseits den Waffenstillstand, den sie kurz nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar ausgerufen hatte, nun bis zum Wahltag verlängert. Die Türkei hingegen setzt ihre Angriffe auf die Stellungen der kurdischen Guerilla unvermindert fort.

Sollte die AKP die Wahlen am 14. Mai gewinnen, drohen dem Land und der gesamten Region dunkle Zeiten. Das zeigt sich bereits an der Zusammensetzung des Wahlblocks, den die Regierung Erdoğan geschmiedet hat. Neben der AKP gehören diesem Bündnis Parteien wie die rechtsextreme MHP und BBP sowie die kurdisch-islamistische Hüda-Par an. Zuletzt hat sich auch die islamistische Yeniden Refah Partisi dem Bündnis angeschlossen und im Gegenzug bei einem Wahlerfolg die Abschaffung des Gesetzes “zum Schutz der Familie und zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen” gefordert. Innerfamiliäre Gewalt soll also nach Vorstellungen dieses Bündnisses legalisiert werden. Der inhaftierte Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş, bezeichnete diese Koalition wohl zu Recht als ein „Taliban-Bündnis“.

Und eben jener HDP scheint bei den bevorstehenden Wahlen eine Schlüsselrolle zuzukommen. Die von einem Verbotsverfahren bedrohte Partei hat sich nun entschlossen, unter dem Dach der neu gegründeten Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP) an den Wahlen teilzunehmen. Unter ihrer Führung wurde das Bündnis für Arbeit und Freiheit gegründet, in dem sich neben der YSP weitere Parteien zusammengeschlossen, die eine Alternative zu den beiden Machtblöcken im Parlament darstellen wollen.

Das Bündnis hat ein Wähler:innenpotential von etwas mehr als 10 Prozent. Da sie keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt haben, ist davon auszugehen, dass sie die Kandidatur von Kılıçdaroğlu unterstützen werden. Damit könnten sie zur Königsmacherin werden.

Dennoch muss sich die Opposition auf alle Eventualitäten vorbereiten. Wird es in der Türkei zu den befürchteten Provokationen kommen? Wird am Wahltag alles mit rechten Dingen zugehen? Und wird Erdoğan im Falle einer Wahlniederlage den Thron im Präsidentenpalast freiwillig räumen? Die Antworten auf diese Fragen sind offen. Die kommenden Wochen werden Klarheit darüber bringen.


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