Von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. / am 05.11.2012
An dem Hungerstreik in den Gefängnissen der Türkei, aufgenommen von 63 politischen Gefangenen der PKK und PAJK am 12. September, sollen ab dem heutigen Tag insgesamt 10 000 politische Gefangene partizipieren. Dies kündigte Deniz Kaya, Sprecher des Hungerstreiks, in einer schriftlichen Erklärung an, welche am 04.November von der Nachrichtenagentur Firat (ANF) veröffentlich worden ist. Zuletzt betrug die Zahl der Hungerstreikenden etwas mehr als 700.
Die Forderungen der Hungerstreikenden an die türkische Regierung lauten: Aufhebung der Isolationshaftbedingungen gegen Abdullah Öcalan, die Gewährleistung seiner Gesundheit, Sicherheit und Freiheit, sowie die umfassende Anerkennung der kurdischen Sprache – einschließlich des Rechtes auf Bildung in der kurdischen Muttersprache, die Verteidigung auf Kurdisch vor Gericht und die Aufhebung jeglicher Assimilationspolitik gegen KurdInnen.
Erdogan kündigte am 3.November in einer Rede an, dass er sich „nicht erpressen lassen“ würde und sprach von einer Wiedereinführung der Todesstrafe. Zudem warnte Erdogan diejenigen JournalistInnen, welche weiterhin die Hungerstreiks und die Todesfasten auf der Tagesordnung halten.
Mehrere Gefangene befinden sich inzwischen an der Schwelle zum Tod. Deniz Kaya unterstrich in seiner Erklärung: „Wir wollen mit unserem Hungerstreik niemanden in die Knie zwingen oder erpressen. Zugleich erlauben wir es aber auch nicht, dass irgendjemand versucht uns zu erpressen. Wir wollen, als inhaftierte FreiheitskämpferInnen, dass mit unserem Hungerstreik unsere Forderung nach den grundlegendsten Menschenrechten sowie unsere legitimen Forderungen nach sozialen und politischen Rechten in der Öffentlichkeit und der gesamten Welt erhört werden.“
In der Erklärung wird die internationale Öffentlichkeit dazu aufgefordert, nicht die Augen zu verschließen: „Wir setzen unsere Körper für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage und für ein würdevolles Zusammenleben der Völker dem Tod aus. Unsere Aktion ist zugleich auch ein Appell an das Gewissen. Es ist der Apell eines Volkes, welches Unterdrückung und Leid ausgesetzt ist, für ein Ende dieser Unmenschlichkeit, die an uns stellvertretend für die gesamte Menschheit ausgeübt wird.“
Unter den Hungerstreikenden befinden sich inhaftierte Abgeordnete, Bürgermeister, AnwältInnen sowie mindestens 9 JournalistInnen, die zu den mehr als 8000 Menschen gehören, die in den letzten 3 Jahren im Rahmen der sogenannten „KCK-Operationen“ gefangen genommen wurden.
Internationale Organisationen wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und die ärztliche Weltfriedensorganisation IPPNW rufen die türkische Regierung zur Einleitung von dringenden Schritten auf. Den Hungerstreikenden werden in vielen Fällen der Zugang zu gesundem Wasser, Salz, Zucker sowie dem lebensnotwendigem Vitamin B1 verwehrt. In einigen Gefängnissen werden die Gefangenen aufgrund ihrer Partizipation am Hungerstreik als Sanktion in Isolationszellen gesperrt. Des Weiteren ist in einem Untersuchungsbericht der Menschenrechtsorganisation IHD zu entnehmen, dass das Wachpersonal in vielen Gefängnissen gezielt psychischen und physischen Druck gegenüber den Hungerstreikenden ausübt.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan leugnete sogar während seines Deutschland-Besuches vergangene Woche gegenüber der Presse die Existenz des Hungerstreiks: „So etwas wie einen Hungerstreik gibt es nicht. Das ist alles nur reine Show. Mein Justizminister ist in den Gefängnissen gewesen.“ Zeitgleich räumte in Ankara sein Justizminister Sadullah Ergin allerdings gegenüber seiner deutschen Amtskollegin Leutheusser-Schnarrenberger ein, dass sich 683 Gefangene in 66 Gefängnissen im Hungerstreik befinden würden.
In den vergangenen Tagen kam es aufgrund des Hungerstreiks in zahlreichen Städten Kurdistans und der Türkei bei Solidaritätsdemonstrationen und -kundgebungen zu schwersten Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei. Trotz verhängten Versammlungsverboten versammelten sich in vielen Städten zehntausende Menschen, um die Forderungen der Hungerstreikenden zu teilen und die AKP-Regierung zum Handeln zu bewegen. Auch in vielen Städten Europas kam es zu mehreren Solidaritätsaktionen, wie einer Großdemonstration in Brüssel mit tausenden TeilnehmerInnen und zahlreichen mehrtägigen Solidaritätshungerstreiks.
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