Spannungen zwischen Bagdad und KRG

alabdadibarzanıiBewertung des Journalisten Halit Ermiş, 01.06.2015

In Südkurdistan, der Autonomen Region Kurdistans (KRG), schlägt der politisch Puls seit geraumer Zeit sehr hoch. Die Beziehung zur irakischen Zentralregierung, die Wirtschaftskrise, die neuen Vorbereitungen der Verfassung, Diskussionen zur Präsidentschaft und die Angriffe des IS sind sowohl Hauptthemen der Politik, als auch des alltäglichen Lebens der Gesellschaft.
Die Überschriften, die die politische Agenda einnehmen, betreffen neben den Beziehungen, die die KRG im Ausland aufnimmt, auch die Gestalt, die das innerpolitische System in der kommenden Periode annehmen wird. Wie wird die neue politische Route von der Politik bis hin zur Wirtschaft mit der schiitisch irakischen Zentralregierung aussehen? Wie wird der Inhalt der neuen Verfassung aussehen, die die Kommission in dem Parlament vor Ort vorbereiten soll? Ob Masud Barzani, der sein Amt als Präsident bereits um eine Periode hat verlängern lassen, in den Wahlen im August wieder gewählt wird oder nicht, ist ein weiteres Thema, welches in den Medien momentan die größte Präsenz hat.

Mit der zentralistischen Regierung lässt die Spannung nicht nach
Zwischen der irakischen Zentralregierung und der südkurdischen Autonomen Region findet die gespannte Lage kein Ende. Nach dem Jahre 2003 sollten gemäß des Art.140 der Verfassung Orten wie Mosul-Kirkuk  durch Volkentscheide innerhalb der folgenden zehn Jahre der völkerrechtliche Status anerkannt werden. Innerhalb der folgenden 13 Jahre wurde noch kein Volksentscheid durchgeführt.
Mit der Eroberung Mosuls durch den IS verschwand diese Diskussion zunächst und wurde dann in Bezug auf Kirkuk wieder entfacht. Beide Seiten befürworten die Verschiebung eines Volksentscheides aus ihrer jeweiligen Warte. Vor allem scheint es auch nicht möglich einen Volksentscheid durchzuführen in einer Phase, in der der IS einen wichtigen Teil Iraks eingenommen hat.

Ein Etat, das nicht ausgezahlt wurde und Spannungen in der Wirtschaft
Der Verfassung nach muss die irakische Zentralregierung 17% des jährlichen Bruttonationaleinkommens an die südkurdische Regierung der Autonomen Region zahlen. Doch eine politische Krise brach zwischen den beiden Regierungen auf, als die irakische Zentralregierung mit den Angriffen des IS einhergehend die Auszahlungen entweder gar nicht tätigte, oder weit unter dem vereinbarten Betrag auszahlte.

 
Die Diskussionen um die Ölverkäufe brachten das Fass zum überlaufen
Die Grundlage für all die Krisen zwischen den beiden Regierungen bildet wahrscheinlich der Kurs, den man beim Verkauf des Erdöls fährt und die Aufteilung des Gewinns. Art. 110 der irakischen Verfassung sinngemäß: „Die Zentralregierung sorgt in Koordination mit den Regionalregierungen für den Abbau von Erdöl und Erdgas aus den vorhandenen Feldern. Der daraus erzielte Gewinn wird gerecht nach der Bevölkerungszahl auf die einzelnen Regionen verteilt.“ Die Regierung der Autonomen Region hat jedoch Absprachen mit der türkischen Regierung über den Verkauf von Erdöl getroffen, ohne die Zentralregierung darüber zu informieren und den Gewinn nur für sich beansprucht, was dazu führte, dass beide Seiten die Zügel stramm gezogen haben.

Täglicher Fluss von 600.000 Tonnen Erdöl
Gemäß des Abkommens mit der Türkei verkauft die Regierung der Autonomen Region seit April 2015 über die Türkei täglich 600.000 Tonnen Rohöl ins Ausland.
Die Konflikte zwischen den beiden Regierungen und die Kriegssituation im Mittleren Osten, vor allem aber die Eroberungen vieler Orte, primär Mosuls, im Irak durch den IS, der Angriff des IS auf das kurdische Gebiet und die Niederlassung der irakischen Armee im kurdischen Gebiet führten dazu, dass die Kurden den Abbruch aller Beziehungen zur Zentralregierung und den Ausruf der Unabhängigkeit zur Hauptagenda ernannten.
Obwohl es zwischen Erbil und Bagdad mehrere Male zu Gesprächen bezüglich der bisher genannten Themen kam, und gute Absichten erklärt wurden, konnten die Probleme nicht gelöst werden.

Diskussionen zur Unabhängigkeit Kurdistans
Die Beziehungen zu der irakischen Zentralregierung, die sich mit jedem Tag mehr anspannen, tragen die Diskussionen über eine Unabhängigkeit Kurdistans erneut als Hauptthema  in die Agenda der Kurden. Der Präsident der Autonomen Region Masud Barzani brachte dieses Thema während seiner Besuche in den USA und Europa im Mai erneut zur Sprache. Barzani erklärte am Ende seiner Gespräche „Die Unabhängigkeit Kurdistans ist ein Prozess und sich in jedem Fall verwirklichen“.
Nachdem Präsident Barzani nach Kurdistan zurückkehrte, versammelte er am 19. Mai in Hewler die Vertreter aller Parteien Südkurdistans. Der Presse zufolge habe Barzani den Vertretern folgendes mitgeteilt: „Löst ihr eure Probleme untereinander und ich erkläre morgen sofort die Unabhängigkeit“.

Lässt die derzeitige Konjunktur einen unabhängigen kurdischen Staat zu?
Den aktuellen Umständen nach zu urteilen liegt eine Unabhängigkeitserklärung seitens der Kurden nicht Nahe. Zunächst müssen die Parteien in der Autonomen Region sich zusammensetzen und gemeinsame Prinzipien entwickeln können und die Machtkämpfe untereinander beiseitelegen können. Die Aussage Masud Barzanis „löst eure Probleme und ich erkläre die Unabhängigkeit“, verdeutlicht die Dimension der Wiedersprüche und Probleme.
Die zweite Schwierigkeit liegt in der Politik der umliegenden Regionen in Bezug auf die Kurden und den Plänen der globalen Mächte. Alle Staaten, die sich Kurdistan untereinander aufteilen führen ihre anti-kurdische Allianz entgegen aller Widersprüche fort. Die syrische Baath-Regierung weigert sich trotz des Chaos und der Zersplitterung im eigenen Land die Kantone Rojavas offiziell anzuerkennen. Die Regierung der Türkei gibt ungeachtet der andauernden Friedensdialoge nicht auf, die Kurden zu assimilieren und zu massakrieren. Und auch der Iran wird auf keinen Fall einen kurdischen Staat akzeptieren, der nicht unter seiner Kontrolle steht und die Kurden innerhalb der eigenen Grenzen beeinflussen und dazu verleiten könnte, ihre Rechte zu fordern.
Genauso werden die globalen Mächte aufgrund der Beziehungen und Bündnisse, die sie vor Ort geschlossen haben, einen unabhängigen kurdischen Staat nicht bewilligen.

Eine wichtige Überschrift: Die Verfassung
Neben den Problemen, die die Autonome Region mit der Zentralregierung hat und die Diskussionen, die sie mit ihr über die Unabhängigkeit führt, ist ein wichtiges Thema innerhalb der Regierung die Vorbereitung einer neuen Verfassung.
Die Autonome Region wird immer noch mit einer vorläufigen Verfassung regiert, der von dem Parlament bewilligt wurde. Die KDP, die das Amt des Präsidenten und die Regierung innehat, die zu jeden Wahlen eine neue Verfassung verspricht, hat das Versprechen bis heute nicht erfüllt. Zuletzt wurde  im April  entschieden, dass eine Kommission von 21 Personen innerhalb von drei Monaten eine Verfassung entwerfen soll.
Dass es nicht möglich sein wird, innerhalb dieser kurzen Zeit eine Verfassung zu entwerfen, ist eine Ansicht, die in der Politik und in der Bevölkerung geteilt wird. Das eigentliche Problem tritt jedoch bei den Maßnahmen hervor, die bezüglich dieses Themas ergriffen werden.  Ein Großteil der Bevölkerung möchte, dass im Rahmen der Vorbereitungen ihre Wünsche berücksichtigt werden und die Inhalte der Verfassung pluralistisch und demokratisch werden. Es wird deutlich, dass eine herrscht, die eine Verfassung, die die Ansichten nichtstaatlicher Organisationen, verschiedener religiösen Gemeinschaften, Universitäten, Intellektueller, Künstler und der gesamten Bevölkerung nicht wiederspiegelt, als undemokratisch ansieht.

Verfassungsrechtlicher Prozess und Präsidentschaftswahlen
Die Autonome Region, die auf der einen Seite über die Vorbereitung der Verfassung diskutiert, wird auf der anderen Seite im August den neuen Präsidenten wählen. Das Thema, welches hinter geschlossenen Türen am häufigsten besprochen wird und wofür die Vorbereitungen hinter den Kulissen auf Hochtouren laufen, ist die Frage nach dem zukünftigen Präsidenten.
Der aktuelle Präsident Masud Barzani hält dieses Amt bereits um eine Periode verlängert. Die KDP versucht die Parteien im Parlament davon zu überzeugen, das Amt  ein weiteres Mal Barzani zu verleihen, der die Kurden aus dieser chaotischen Lage im Gebiet ohne Schäden herausbringen könne.  Dem bringen die Parteien entgegen, dass es genügend Politiker gäbe, die dieses Amt ausüben könnten und fordern den Rücktritt Barzanis mit dem Ablauf der verlängerten Periode. Die KDP, die die Mehrheit in der Regierung bildet, muss zunächst die YNK (Patriotische Union Kurdistans) und die Goran-Bewegung von ihrem Anliegen überzeugen. Denn die YNK und die KDP hatten zuvor bereits gemeinsam die Entscheidung getroffen, das Amt Barzanis um eine Periode zu verlängern.

Die Wirtschaftskrise und die zunehmenden gesellschaftlichen Konflikte
Dass die Spannung in der Gesellschaft zunimmt, liegt vor allem an der Zuspitzung der Wirtschaftskrise. Die Wirtschaftskrise, die in der Autonomen Region seit einem Jahr herrscht, verschärft sich mit jedem Tag. Die Regierung der Autonomen Region beschuldigt die Zentralregierung als Hauptverantwortliche der Krise. Sie erklärt, dass die Zentralregierung die Zahlung von 17% des Bruttonationaleinkommens nicht tätigt. Folglich werden seit Monaten Beamte und Soldaten der Peschmerga nicht bezahlt.
Der Flüchtlingsstrom aus den umliegenden Regionen und dem Irak in die Autonome Region erschweren die Lage um einiges.
Der Grund dafür, dass die Wirtschaftskrise nicht bewältigt werden kann, liegt nach Ansicht der Bevölkerung, neben der ausbleibenden Zahlung durch die Zentralregierung, darin, dass der Gewinn, der durch den Öl Handel erbracht wird, nicht wie gebraucht in der Region verwendet wird, sondern in die Kassen derer fließt, die die Macht inne haben.