Straffreiheit für Morde an Erdogan-Kritiker? – Notstandsdekrete 695 und 696 eingeführt

Pressemitteilung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 28.12.2017

Die türkische Regierung verabschiedet zum Jahreswechsel auf Basis des Ausnahmezustands zwei weitere umstrittene Notstandsdekrete. Am Sonntag, den 24. Dezember traten die Notstandsdekrete Nummer 695 und 696 in Kraft. Dem Dekret 695 zufolge müssen Untersuchungs- und Strafgefangene zu Gerichtsterminen in einem einheitlichen Overall erscheinen. Neben der Einführung dieser einheitlichen Häftlingskleidung wird mit dem Dekret 696 de facto Straffreiheit für paramilitärische Gruppen gewährt. So sind nicht nur Handlungen gegen den Putschversuch und “terroristische Taten” vom Juli 2016 ab sofort straffrei, sondern auch solche, die sich gegen “die Fortsetzung davon” richten. Vertreter der Opposition und Anwälte sprechen von einem “Dekret zum Bürgerkrieg” und warnen vor Lynchjustiz.

Eren Keskin: Eine Fortsetzung in der Tradition genozidaler Politik

Die Ko-Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins (İHD), Eren Keskin erklärte zu dem Erlass der Dekrete folgendes: “Meiner Meinung ist es eine offene Fortsetzung der Tradition des Teşkilât-ı Mahsusa. Die Teşkilat-ı Mahsusa ist eine Geheimorganisation gewesen, die vom Komitee für Einheit und Fortschritt gegründet wurde, die für die damalig verübten Genozide verantwortlich ist. Ich denke, diese Logik wurde nun legalisiert. Die Türkei hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben. Die neuen Dekrete stehen im klaren Widerspruch dazu.”

Ayhan Bilgen: Ein gefährlicher Schritt ins Chaos

Der Sprecher der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ayhan Bilgen, befürchtet, dass mit dem Dekret 696 die Grundlage für politisch motivierte Gewalttaten geboten und die Türk ei damit einen gefährlichen Schritt ins Chaos getan habe. Bilgen wies darauf hin, dass Erdogan sofort nach dem Erlass des Dekrets seinen Besuch in den Sudan antrat: “Die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Sudan teilen das Land in zwei Hälften, in denen paramilitärische Kräfte vorherrschend sind. Es ist vielsagend, dass Erdogan mit einem Staatsmann, der für Menschenrechtsverbrechen verurteilt worden ist, gemeinsam vor den Kameras posiert. Es ist ein klarer Hinweis darauf, in welche Richtung die Türkei zusteuert.”

DTK: Der Weg für neue Massaker wurde geebnet

Auch der Demokratische Gesellschaftskongress der Völker (DTK) hat eine schriftliche Stellungnahme zu dem Erlass der beiden Dekreten veröffentlicht: “Es werden mit den Dekreten nicht nur Vorbereitung für Massaker an den politischen Gefangenen getroffen, sondern es werden auch Übergriffe gegen die Völker der Türkei und Kurdistans vorbereitet. Die Dekrete öffnen den Weg in einen Bürgerkrieg.”