Welcher Frieden?

erdogan-ozelMaxime Azadi/Journalist

Nach der Aktion von Oremar (Daglica) tauchten in den türkischen Medien sofort Berichte, die von einem „Angriff auf den Frieden“ sprechen. Es scheint sich also seit dem ersten Amtsantritt der AKP-Regierung 2002 nicht viel in den Köpfen der MedienvertreterInnen verändert zu haben. Als ob es „Frieden“ gegeben hätte, und dieser durch die Oremar-Aktion zerstört werden konnte?!
Es kann außer den Ablenkungsmanövern und der üblichen Hinhaltetaktik von keinem konkreten Schritt in Richtung Frieden gesprochen werden. In der Krise von 2002 an die Macht gekommen, ab 2005 falsche Hoffnungen für einen Frieden genährt, um alle Staatmechanismen zu unterwandern bis 2007 alle Polizeieinheiten und den Geheimdienst infiltriert und ab 2009, nachdem die Kontrolle über das Militär erlangt worden ist, gegen jede Opposition, allen voran gegen die KurdInnen faschistische Angriffe gestartet, wo kann man bei solch einer Bilanz der AKP-Regierung von einem Schritt in Richtung Frieden sprechen?

Und diejenigen selbsternannten türkischen Intellektuellen, JournalistInnen oder Experten zeigen mit ihren realitätsfernen Analysen, in welchem erbärmlichen Zustand sie sich in Hinblick auf die Forderungen der KurdInnen befinden.
„Was für ein Zeitpunkt [des Angriffs auf Oremar]“, „was für ein Spiel“ und „welcher Frieden“? Sie können auf keine dieser Fragen eine genugtuende Antwort geben. Das ist nicht der erste Angriff in Oremar, das sind nicht die ersten Gefechte und aktuell gibt es auch keinerlei Hoffnungen dahingehend, dass den Gefechten ein Ende geboten wird.
Die Tatsache, dass nach jedem Gefecht trotzdem dieselben Diskussionen entfacht werden, wirft auch ein Bild darauf, weshalb die Gefechte weiter anhalten. Denn es gibt keine/n „Journalisten/in“ oder „Intellektuellen“, die oder der die KurdInnen und ihren Kampf richtig versteht. Es reicht einfach nicht aus, von Zeit zu Zeit Mal die Wichtigkeit von menschlichen Werten zu unterstreichen und so zu tun, als ob sie die Forderungen der KurdInnen verstehen würden.
Und nochmal die Frage: Von welchem Frieden sprechen wir? Gab es irgendeine Friedensinitiative, die sabotiert wurde? Hat jemand von irgendeinem Regierungsvertreter zu irgendeinem Zeitpunkt ein Statement gehört, welches sich für den Frieden zwischen den beiden Völkern aussprach? Wurde irgendeine Formel außer „die Vernichtung und Eliminierung der PKK“ ausgesprochen, eine Formel die in Richtung Frieden ging und wir diese überhört haben? Von welchem Frieden sprechen dann diese Intellektuellen, JournalistInnen und PolitikerInnen? Von welcher politischen Lösung wird gesprochen, während annähernd 200 gewählte BDPlerInnen, darunter 33 BürgermeisterInnen und sechs Abgeordnete sich in Haft befinden?
Kann es zudem eine freie Diskussion geben, wenn zugleich etwa 100 JournalistInnen sich in Haft befinden und der Rest der Medien sich unter der Kontrolle der Regierung befindet? Von welchem Friedenswillen sprecht ihr, während jeden Tag Dutzende Menschen festgenommen, die Menschenrechtsverstöße alle Rekorde brechen und alle oppositionellen Kreise ununterbrochener Repression ausgesetzt werden?
Es sind nun fast sechs Monate seit dem Massaker von Roboskî, bei dem 34 Zivilisten ums Leben kamen, vergangen, und die Täter dessen wurden immer noch nicht zur Rechenschaft gezogen. Man hielt es noch nicht einmal für nötig, sich bei den Hinterbliebenen aufrichtig zu entschuldigen. Und diese Massaker haben nicht mit Roboskî angefangen oder mit Roboskî aufgehört. Zuletzt sind am 16.Juni im Gefängnis von Riha (Urfa) 13 Inhaftierte aufgrund der Rechtslosigkeit des Rechtssystems verbrannt und umgekommen. Während für keine dieser Taten eine Rechenschaft abgeliefert wurde, werden weiterhin die Gewählten des kurdischen Volkes festgenommen. Wie kann man also von einem Frieden sprechen, wenn diese Regierung nicht einmal die kleinste demokratische Diskussion duldet?
Wann haben die Ministerpräsidenten dieses Landes den Begriff „Frieden“ in den Mund genommen? Was haben sie denn getan, außer leere Versprechungen abzugeben?
Hat der türkische Ministerpräsident Erdogan nicht zuletzt am 19. Juni verlautbart, dass er dieses Problem lösen werde ohne mit den KurdInnen zu sprechen? Kann man von einer Lösung sprechen, wenn die einzigen Ansprechpartner für eine Lösung übergangen werden?
Die Menschen, die an solch eine Lösung glauben und das als „Hoffnung für den Frieden“ an die KurdInnen verkaufen wollen, sollten wissen, dass sie dadurch nicht der Lösung dieses Problems, sondern ihrer Lösungslosigkeit dienen.
Kurz gefasst gibt es keinen Frieden oder etwas Ähnliches. Es gibt einzig falsche Erwartungen, die durch die Manipulationen des AKP-Regimes seit 2002 genährt werden. Lassen wir die kurdische Frage Mal bei Seite, das AKP-Regime hat nicht einen glaubwürdigen Schritt in Richtung Demokratisierung der Türkei gemacht. Wobei die Demokratie sowohl die Lösung der kurdischen Frage, als auch ein Ende der faschistischen Mentalität mit sich bringen würde.

Quelle: ANF, 20.06.2012, ISKU

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