Wer sind die wahren „Friends of Syria“?

friends of syriaFriedensplan ohne Friedenswille in Syrien
Eine Analyse von Mehmet Emin Orhan

Es bleibt unsicher, ob die Mission von Kofi Annan, um die Gewalt in Syrien zu beenden, erfolgreich sein wird. Obwohl der Friedensplan auf dem UN-Sicherheitsrat am 21. März einstimmig verabschiedet wurde und laut der Erklärung von Kofi Annan als Sonderabgeordnetem der UN und der Arabischen Liga am Dienstag, den 27.03.2012, von Syriens Präsident Bashar al-Assad angenommen wurde, droht der Sechs-Punkte-Plan zum Frieden zu scheitern.

Der Friedensplan verpflichtet die syrische Regierung zum Abzug der syrischen Truppen und einer Waffenruhe bis zum 10. April, um einen politischen Prozess zu beginnen, der für die „legitimen Wünsche und Anliegen des syrischen Volkes“ den Weg ebnen soll. Jedoch scheinen das Engagement zur Beendigung der bewaffneten Kämpfe mit schwerer Artillerie und der Einzug mit großem Aufmarsch in die städtischen Gebiete seitens des Regimes nicht abzureißen. Auf der anderen Seite weigert sich die vom Westen und ihren Kollaborateuren unterstützte und bewaffnete Freie Syrische Armee, schriftliche Erklärung an die syrische Regierung abzugeben, ebenfalls das Feuer einzustellen.

Indes kommt unweigerlich die Frage auf, inwieweit ein Frieden überhaupt gewollt, ja gar gewünscht ist, wenn in den Medien immer mehr und öfter von Friedenskorridor, Schutzkorridor oder Pufferzone sowie von militärischer Intervention die Rede ist. Insbesondere gewinnen diese Diskussion und die Widersprüche an Brisanz, weil die deutschen Medien nach der Konferenz der „Freunde Syriens“ in Istanbul, die die Freie Syrische Armee unterstützten, die Nachricht verbreiten, dass die syrische Opposition den Syrischen Nationalrat als alleinigen Vertreter des Volkes akzeptiert und Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg geräumt wären. Dabei hat die weitaus stärkere innere Opposition Syriens, die vom Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (CNCD) vertreten wird, an keinem der beiden Treffen in Istanbul teilgenommen. Eine fragwürdige Art der Einigung und Vertretung.

Sollte die Gewalt nach dem Ultimatum am 10. April andauern, könnten gewisse „Schritte“ unternommen werden, erklärte Recep Tayyip Erdogan. Mit dieser Erklärung droht die Türkei al-Assad und Syrien einen Krieg an. Die Türkei hat der Regierung in Damaskus praktisch schon damit den Krieg erklärt, dass sie der „Freien Syrischen Armee“ erlaubte, unter dem Schutz der türkischen Armee von türkischem Boden aus in Syrien zu operieren. Zuletzt kritisierte der syrische Außenminister Walid al-Muallim, dass die Türkei, dem Friedensplan zum Trotz, Oppositionsgruppen mit Waffen ausstattet.
Erdogan will schon lange einen sogenannten arabischen Gürtel oder Schutzkorridor im Grenzgebiet Syriens zur Türkei einrichten. Diese repressive Handlung, die eine Flugverbotszone beinhalten würde, bedeutet aber nichts anderes, als eine offene Kriegshaltung der Türkei gegen Syrien. Die Türkei, als Handlanger und trojanisches Pferd des Westens, unterstützt und bewaffnet die „Aufständischen“ mit dem Ziel, das syrische Regime zu stürzen. Die Rechnung bezahlen – wie so oft – die von ihren Parasiten fremdbeherrschten Völker.

Allerdings wird es der türkische Premier nicht wagen, einen offenen Krieg durch die Errichtung des „Schutzkorridors“ ohne internationale Unterstützung anzuzetteln. Der schon lange im Gespräch befindliche Plan eines „humanitären Korridors“ wird nun wegen der Provokation der Türkei wieder aktuell.

Doppel-Spiel der „Friends of Syria“ | Für die USA, aber auch Frankreich, zeigt der Annan-Plan den Mangel an Alternativen. Während die Freie Syrische Armee unterstützt wird, hat die syrische Armee erstaunlich wenig an ihrer Schlagkraft verloren. Die Zahl der Deserteure ist noch immer begrenzt und mit ihren lokalen Milizen und autonomen Gruppen sind sie eher schlecht organisiert. Sehr zum Leidwesen der USA.
Während der Konferenz der „Freunde Syriens“ in Istanbul spielten die verschiedenen westlichen Teilnehmer, zusammen mit der Türkei, Katar und Saudi-Arabien, ein doppeltes Spiel. Auf der Konferenz kündigten die Vertreter von Saudi-Arabien und Katar an, dass sie einen Fonds für die syrischen Rebellen einrichten werden, um neue Kämpfer zu ermutigen und den bewaffneten Aufstand zu etablieren.

Dadurch entwickelt sich die Freie Syrische Armee, die eine eingeschränkte Unterstützung der syrischen Bevölkerung besitzt, mehr zu einem von den Golfstaaten beschäftigten Söldnerheer. Weiteren Legitimitätsverlust verzeichnete sie auch aufgrund des Berichts von Human Rights Watch, in dem veröffentlicht wurde, dass die bewaffnete Opposition schwere Menschenrechtsverletzungen begeht. Der Spiegel berichtet in einem Artikel vom 26. März über Folter und Hinrichtungen, die Verbrechen aus dem Sommer 2011 bezeugen.
Umso erstaunlicher und beunruhigender ist die Tatsache, dass mit der Unterstützung der USA und Europas die „Freunde Syriens“ erklärten, dass sie den Syrischen Nationalrat (SNR) jetzt als legitime Vertreter des syrischen Volkes ansehen. Praktisch alle Beobachter und Experten sind sich aber einig, dass der im Ausland gegründete und von dort finanzierte SNR fast keine Grundlage in Syrien hat. Die westliche diplomatische Welt geht dieser Tatsache wohl bewusst aus dem Weg. Die USA haben sich öffentlich gesorgt über die Tatsache, dass der SNR mit wenig oder gar keiner internen Unterstützung aufgestellt ist. Ein Journalist des amerikanischen TV-Senders CNN stellte den Vergleich an mit der Unterstützung des Irakischen Nationalkongresses (eine irakische Oppositionsgruppe) aus der Zeit des Saddam-Regimes. Es stellte sich heraus, dass sie ohne Anhänger im Irak tätig waren und den Sturz nur wegen amerikanischer Motive und Hilfe vollbringen konnten.
Hassan Abdul Azim, der Vorsitzende der inneren Opposition des Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel (CNCD), warnte davor, den SNR als alleinige legitime Vertretung der Opposition zu ernennen. Er sagte auch, dass die Freie Syrische Armee nicht bewaffnet werden sollte, weil sie „nicht die syrische Revolution durch Militarisierung und bewaffnete Gewalt zum Ergebnis führen kann“ (New York Times, 3. April 2012). Das CNCD ist eine Oppositions-Plattform in Syrien, die aus arabischen Parteien, linken Gruppen und den meisten kurdischen Organisationen besteht, unter anderem der Partei der Demokratischen Einheit PYD. Das CNCD verfügt jedoch nicht über die internationalen Kontakte und daher nur über begrenzte Ressourcen.

Gespaltene Opposition | Im Vorfeld der Konferenz in Istanbul zeigte sich, wie gespalten die Opposition ist. Mehrere Mitglieder äußerten ihre Unzufriedenheit mit dem SNR. Drei der damals acht Mitglieder des Executive Committee, einschließlich des prominenten Menschenrechtsaktivisten Haitham al Maleh, traten aus. Die kurdische patriotische Konferenz (ENKS) als einzige kurdische Vertretung verließ ebenfalls den SNR, als deutlich wurde, dass den Selbstbestimmungsrechten der Kurden kein Platz eingeräumt werden soll. Der SNR machte einen gespaltenen und vor allem chaotischen Eindruck.
Die Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche innerhalb des SNR sieht man auch, wenn man die politische Haltung auf ihrer Website liest – hiernach will der SNR keine Gewalt oder bewaffnete Revolution und ist gegen eine militärische Intervention aus dem Ausland. In Wahrheit hat Burhan Ghalioun, der Vorsitzende des SNR, am 2. März die Errichtung eines Militär-Büros angekündigt, das dazu dienen soll, „als US-Verteidigungsministerium mit Vertretern aller Fraktionen des bewaffneten Widerstands und der Freien Syrischen Armee zu agieren“. Ghalioun sind alle Formen der ­Intervention – gleich, ob politische, militärische oder humanitäre –, um das Regime von Assad zu stürzen, was er seltsamerweise einen „friedlichen Übergang“ nennt, recht.

Der kurdische Aufbruch und die Angst der Türkei | Schließlich gibt es die Rolle der Türkei. Man mag sich nun fragen, warum Ankara die Sitzungen der syrischen Opposition im Ausland sponsert, der Freien Syrischen Armee eine Oase von Möglichkeiten wie Waffen, Geld und Logistik bietet und die diplomatischen Beziehungen des SNR unterstützt.
Warum steht Erdogan an der Spitze der Kriegstreiber gegen Syrien? Tut sich die Türkei außenpolitisch einen Gefallen damit, den Nachbarn Syrien zu destabilisieren und mit massiver Medienpropaganda die Spannungen zwischen syrischen Kurden und al-Assad anzuheizen und noch weiter zu vertiefen? Mit aller Macht versucht Erdogan die stärkste kurdische Opposition in Syrien, die Partei der Demokratischen Einheit (PYD), als Partner und Verbündeten des Diktatoren-Regimes von al-Assad darzustellen, des Diktators, der für die türkischen Regierungen und Militärs jahrzehntelang für einen gemeinsamen Krieg und Terror gegen die Kurden gut genug war. Es ist nur erschreckend wie die westlichen Verbündeten des NATO-Staates Türkei die Tatsachen fleißig mit vertuschen bzw. verdrehen. Wie z.?B. die Bundesrepublik, die bis zu den Unruhen und Aufständen kurdische Asylsuchende aufgrund der „sicheren Menschenrechtslage“ nach Syrien abgeschoben hat. Was gestern noch Staatssicherheit, Diplomatie und Sicherheitspolitik gewesen ist, muss heute als Demokratie­defizit und Terrorproblem bekämpft werden. Es ist verantwortungslos, wie die internationale Presse, anstatt wichtige Informationen und Entwicklungen mitzuteilen, mit einer massiven Hetz- und Diffamierungskampagne die neuen alternativen Lösungsansätze ins schlechte Licht zu rücken versucht. Noch vor nicht allzu langer Zeit erklärte ein Außenvertreter der syrischen Regierung die Treue zum Adana-Abkommen von 1998 in dem eine Anti-Kurden- bzw. Anti-PKK-Koalition zwischen Syrien und der Türkei geschlossen worden war. Und jetzt sollen plötzlich PYD-Funktionäre, die momentan auf den Straßen tausende Kurden und Öcalan-Anhänger gegen al-Assad mit Flaggen und kurdischen Farben organisieren, Freunde des Kurdenmörders al-Assad sein. Das Gegenteil sah man z.?B. am 30. März 2012, als verschiedene kurdische Jugendgruppen erstmals unter einem eigenen Motto gegen das al-Assad-Regime für Frieden und Demokratie demons­triert haben. Bislang waren alle syrischen Jugendgruppen unter einem einheitlichen, gesamtsyrischen Motto auf die Straße gegangen. Die Entscheidung wurde als Reaktion auf die Konferenz der syrischen Opposition vom 27. März 2012 in Istanbul getroffen, in der die Kurden praktisch ausgeschlossen wurden.

Die demokratische Alternative – der 3. Weg | Interessant ist auch, dass die Aussagen der PYD bewusst verdreht und ins Lächerliche gezogen werden oder gänzlich außer Betracht bleiben. Weshalb greifen die Medien die PYD so vehement an? Wie sieht dieser alternative Weg oder der dritte Weg aus? Der Vorsitzende der PYD Muhammed Salih Muslim erklärte in einem Interview Anfang April: „Wir Kurden wollen, dass Syrien sich in einem demokratischen Prozess verändert und dieses Regime gestürzt wird. Wir wollen eine neue Verfassung für Syrien. Die Identität der Kurden und anderer Minderheiten sowie die Glaubensrichtungen müssen anerkannt werden. Und diese Rechte müssen in der Verfassung verankert werden. Wir haben unsere Volksräte, unsere Schutzkomitees und Schulen gegründet. Wir wollen das Regime mit dem Volksaufstand ändern. Wir glauben nicht, dass die Revolution ‚durch äußere Kräfte zustande kommt‘.“ Im Dezember 2011 wurde, nachdem eine Wahl mit der Beteiligung von ca. 250?000 Kurden durchgeführt worden war, der Westkurdistan-Volksrat TEV-DEM ausgerufen. Die Schulen und Institutionen, die von lokalen Komitees und Volksräten aufgebaut und etabliert werden, sorgen zusammen mit den Schutzkomitees für eine regionale Demokratisierung und Basisorganisierung. Daher ist es verständlich, weshalb die kurdischen Gebiete sich bisher vor den Gefechten schützen konnten. Diese Tatsachen, und der hohe Grad an Selbstorganisierung und Verwaltung, werden von den Medien ignoriert. Stattdessen werden die Kurden mit absurden Behauptungen kriminalisiert. Um eine Intervention über die kurdischen Gebiete aus der Türkei nach Syrien zu rechtfertigen, wird behauptet, dass die Kurden urplötzlich von dem Assad-Regime unterstützt werden. Insbesondere fallen die Schmutzkampagnen der AKP-Regierung gegen die PYD ins Auge. Während die Türkei unter Erdogan die Kurden im eigenen Gebiet mit Massenverhaftungen und Militäroperationen unterdrücken, wollen sie auf einmal für die Rechte der Völker und Religionen in Syrien einstehen, gegen den Ex-Verbündeten al-Assad.
Die Türkei hat auf einen schnellen Sturz des Regimes mit einer wichtigen Rolle für den Syrischen Nationalrat (SNR) gesetzt und sich verschätzt. Bekanntlich ist innerhalb des SNR der Einfluss der Muslimbruderschaft sehr stark, welcher ideologisch der AKP-Regierung mit ihrem Vormachtanspruch in der Region ähnelt – siehe Ägypten und Tunesien. Nun, wo der SNR offensichtlich den Erwartungen nicht gerecht werden kann, bringt die Türkei sich immer mehr in eine schwierige diplomatische Situation. Neben der Konfrontation mit Syrien hat die Installation einer Radaranlage als Teil des NATO-Raketenschilds in Malatya den Beziehungen mit dem Iran, einem weiteren Nachbarn, nicht gut getan. Syrien könnte ein Härte-Test für die Ambitionen der Türkei als selbsterklärte Regionalmacht und Vorbote des politisch-islamistischen Gülen-Ordens werden.
Eine Spaltung Syriens nach dem Vorbild des Balkans würde das Kurdenproblem der Türkei aber wesentlich verschärfen. Ein „Schutzkorridor“ würde die syrischen Kurdengebiete einschließen und von türkischer Seite nur über Türkisch-Kurdistan (Nordkurdistan) erreichbar sein. Für den Fall einer türkischen Intervention Syriens über die westkurdischen Gebiete erklärte der KCK-Exekutivrats-Vorsitzende Murat Karayilan, dass sich im Notfall alle Teile Kurdistans zu Kriegsfeldern verwandeln werden, wenn es um die Sicherheit der westkurdischen Bevölkerung geht. Die AKP-Regierung möchte mit allen Mitteln einen Status und die Anerkennung der Kurden in Syrien verhindern. Der türkische Staat erkennt, wie sehr eine verfassungsmäßige Anerkennung der Kurden in Syrien die Bestrebungen der Nordkurden auf eigenem Gebiet beeinflussen wird und eine politische Lösung der Kurdenfrage unausweichlich macht. Der einflussreiche Kolumnist der Tageszeitung Radikal, Cengiz Çandar, schrieb in der Radikal, dass die Türkei nicht möchte, dass eine Kurdistan-Autonomie (gemeint ist Westkurdistan bzw. Nordsyrien) in Syrien entsteht. Ohne die Kurden in Syrien wird ein Sturz von Assad wohl aber sehr schwer werden.

Der kurdische Nordirak ist heute schon so gut wie „unabhängig“ von der irakischen Zentralregierung. Bei einem Krieg gegen den Iran wird der Westen auf eine Loslösung der iranischen Kurdengebiete vom Iran setzen. Das Problem für die Türken ist nur, dass der größte Teil des Kurdengebietes in der Türkei selbst liegt. Es ist die Zeit gekommen einzusehen, dass zentralistische und machtkonzentrierte Nationalstaaten keine Zukunft mehr in der Region haben werden. Föderale, autonome und demokratische Konzepte drängen sich wie überall auf der Welt mehr denn je auf.
Kurdistan Report Nr. 161 Mai/Juni 2012

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