Zurück in die Neunziger

Elmar Millich, Vorstand im kurdischen Rechtshilfefond Azadi e.V., über den Versuch mit Razzien, Strafverfahren und Veranstaltungsverboten die kurdische Bewegung zu isolieren, 21.09.2018

Bei dem Treffen zwischen dem damaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavusoglu Ende 2017 wurde die deutsch-türkischen Annäherung eingeleitet. Nun ist sie auch für die kurdische Freiheitsbewegung und solidarische linke Gruppierungen deutlich spürbar: Seit Anfang diesen Jahres hat sich die Repression gegen sie massiv verschärft.

Begleitend zu der völkerrechtswidrigen Invasion der türkischen Armee in die syrisch-kurdische Enklave Afrin, die am 20. Januar 2018 begann, versuchten Versammlungsbehörden in mehreren Städten, den Protest dagegen zu unterbinden. Eine für den 10. Februar vom kurdischen Dachverband NAV-DEM geplante Demonstration in Köln wurde kurzerhand verboten mit der Begründung, bei NAV-DEM handele es sich um eine Teilorganisation der PKK, die aufgrund des Vereinsgesetzes generell das Recht verwirkt habe, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und durchzuführen.

Auch auf die kulturellen Befindlichkeiten der um die eine Million in Deutschland lebenden Kurd_innen wollten die Sicherheitsbehörden keine Rücksicht mehr nehmen. Die für den 17. März in Hannover von NAV-DEM angemeldete zentrale Newrozfeier – für die Kurd_innen ein Symbol des Frühlings und des Widerstandes – wurde kurzerhand mit derselben Begründung wie in Köln verboten. NAV-DEM gehe es mit der Demo hauptsächlich darum, eine Propagandaplattform zu bieten, sich Finanzmittel durch Spenden und Verkaufserlöse zu beschaffen und Anhänger_innen zu rekrutieren, so die Sichtweise der Polizeidirektion Hannover. Sowohl die Demonstration in Köln als auch die Newrozfeier in Hannover konnten schließlich aufgrund entsprechender Urteile der angerufenen Verwaltungsgerichte stattfinden.

Aber auch weiterhin müssen Protestaktionen gegen die Politik des Bündnispartners Türkei erst gerichtlich durchgesetzt werden und können nur unter schikanösen Auflagen stattfinden. Für den 8. September war im nordrhein-westfälischen Dinslaken ein internationales kurdisches Kulturfestival geplant. Im Zentrum sollte die Solidarität mit dem Widerstand gegen die illegale Besetzung Afrins durch türkische Truppen und verbündete Dschihadisten stehen. Kurzfristig sagten die städtischen Behörden die Veranstaltung ab, weil die vom Veranstalter vorgelegten Sicherheitskonzepte nicht ausreichend seien.

Der eigentliche Grund des Verbots liegt im bevorstehenden Besuch von Präsident Erdogan vom 28. bis 29. September in Deutschland. Regelmäßig protestiert die Türkei dagegen, dass die PKK in Deutschland öffentlich auftreten dürfe, nicht aber Mitglieder der türkischen Regierung oder der Präsident selbst. Die neue Harmonie der deutsch-türkischen Beziehungen, die auch der deutsche Außenminister Heiko Maas bei seinem Staatsbesuch Anfang September in den Vordergrund rückte, soll nun nicht durch atmosphärische Störungen gefährdet werden.

Im Nachgang der Protestaktionen gegen den Einmarsch in Afrin kam es vermehrt zu polizeilichen Razzien in kurdischen Vereins- und Büroräumen sowie in Einrichtungen der deutschen Linken, die sich mit der kurdischen Befreiungsbewegung in Rojava solidarisiert hatten. Als Begründung für die Hausdurchsuchungen diente in allen Fällen der Verdacht auf Verstoß gegen Artikel 20 des Vereinsgesetzes: Auf Veranstaltungen und Demonstrationen seien angeblich verbotene Symbole der kurdischen Arbeiterpartei PKK oder ihr zuzurechnenden Organisationen verwendet worden. In den meisten Fällen wurden neben den Büroräumen parallel auch Privatwohnungen durchsucht. Die Razzien gingen mit massiven und gezielten Sachbeschädigungen einher.

Mit einer Hundertschaft zur Razzia

So durchsuchten am Vormittag des 23. Mai etwa 50 Polizeibeamt_innen die Räume des Alternativen Zentrums Alhambra in Oldenburg. Sie suchten Flaggen, die am 1. Mai in Solidarität mit den kurdischen Freiheitskämpfen gezeigt wurden. Am Schluss beschlagnahmte die Polizei eine an die YPG angelehnte, selbst genähte Flagge. Am 13. Juni erfolgte aufgrund ähnlicher Vorwürfe eine Razzia in den Vereinsräumen von NAV-DEM in Berlin. Ebenfalls betroffen waren Räumlichkeiten des kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad. Am 19. Juni 2018 fanden im Raum Cuxhaven umfangreiche Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Vereinsgesetz statt. 100 Polizisten durchsuchten elf Objekte im Umfeld des Arbeitskreises Asyl Cuxhaven. Hintergrund der Beschlagnahmung zahlreicher Computer, Laptops und anderer Speichermedien waren mehrere Demonstrationen gegen die Afrininvasion, wozu der Arbeitskreis in der örtlichen Presse zur Teilnahme aufgerufen hatte.

Bei den Hausdurchsuchungen der letzten Monat besteht keine Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Da die vorgeworfenen Verstöße gegen das Vereinsgesetz bei Demonstrationen und Veranstaltungen zumeist hinreichend durch die Polizei dokumentiert sind, dienen die Razzien nicht wie angegeben der Beweissicherung, sondern vornehmlich der Einschüchterung und der Ausspähung. Im Besonderen steht auch der polizeiliche Aufwand – zum Teil nahm eine ganze Hundertschaft an den Aktionen teil – in keinem Verhältnis zur Schwere der vorgeworfenen Delikte. Die meisten Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verwenden von Symbolen der kurdischen Befreiungsbewegung werden entweder eingestellt oder enden mit geringen Geldbußen.

Absurde Verfahren in Bayern

Vor allem in Bayern nimmt die Verfolgung der Darstellung von YPG-Symbolen im Internet und den sozialen Netzwerken absurde Züge an. Gegen einen Berufsmusiker des Münchner Staatsorchesters wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er eine Internetseite des Bayerischen Rundfunks geteilt hatte, auf der YPG-Symbole abgebildet waren. Allein gegen den Münchner Wissenschaftler Kerem Schamberger laufen sieben bis acht Verfahren im Zusammenhang mit YPG-Fahnen auf seiner Facebookseite. Seine Postings sind ca. 250 Mal geteilt worden, woraufhin auch gegen diese Personen Ermittlungen eingeleitet wurden. Diese unsinnigen Strafverfahren führen im »Sicherheitsreport 2017« der Münchner Polizei zu dem Statement, die politisch motivierte Ausländerkriminalität sei um 75,4 Prozent gestiegen – von den meisten Medien unreflektiert übernommen.

Sämtliche Symbole der Bewegung sollen aus der Öffentlichkeit verbannt werden, Diskussionsveranstaltungen zu Kurdistan und Abdullah Öcalan in Universitätsräumen werden auch auf Druck der türkischen Konsulate untersagt. Zusammenfassend hat sich seit Anfang des Jahres die Repression gegen jede Art von politischen Aktivitäten zur türkischen Politik im Zusammenhang mit Kurdistan in einem Maß verschärft, das an die 1990er Jahre erinnert. Damals griff die Polizei wie jetzt im Vorfeld des oben erwähnten kurdischen Kulturfestivals Protestmärsche kurdischer Jugendlicher in Nordrhein-Westfalen unter fadenscheinigen Vorwänden an.

Neben den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik in der Region spielen auch innenpolitische Gründe eine Rolle für die Repression. Seit der Belagerung von Kobane 2014 gibt es eine starke Solidarität von großen Teilen der deutschen Linken mit der kurdischen Befreiungsbewegung. Im Fokus des Bundesinnenministeriums steht hier auch das seit 2010 bestehende Vernetzungsbündnis »Tatort Kurdistan«, dessen Zielsetzung darin besteht, den deutschen Beitrag an Krieg und Unterdrückung in der Türkei aufzuzeigen.

In den 1990er Jahren gelang es den Sicherheitsbehörden, die Solidarität durch Repression und Desinformationskampagnen zu unterbinden. Ob sie auch diesmal ihr Ziel erreichen, liegt an uns.

Im Original erschien der Artikel in der ak 641 vom 18.9.2018.