Erdogans Krieg gegen die Kurden führt zur Massenflucht aus Nordkurdistan

NordkurdistanPressemitteilung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 21.12.2015

Bürgerkriegsähnliche Zustände prägen derzeit die kurdischen Gebiete in der Türkei. Mit Panzern, Kampfhubschraubern und einem breiten Aufgebot von Soldaten, Spezialeinheiten und Polizisten schreiten türkische Sicherheitskräfte gegen die kurdische Zivilbevölkerung in mehr als 17 Ortschaften im Südosten der Türkei (Nordkurdistan), in denen eine totale Ausgangssperre verhängt worden ist, vor. Vielerorts sind die Wände von Wohnungen und anderen Gebäuden mit unzähligen Einschusslöchern versehen. Die Zahl der von türkischen Sicherheitskräften getöteten Zivilisten seit den Wahlen vom vergangenen Juni ist in den letzten Tagen auf mehr als 170 gestiegen. Jüngstes Opfer ist der Staatsgewalt ist das ungeborene Kind von Güler Yanak aus Cizre, die im siebten Monat schwanger war. Im Krankenhaus wurde festgestellt, dass eine Kugel ihr ungeborenes Kind traf.

In den letzten Wochen und Monaten wurde in 17 Ortschaften insgesamt 52 Ausgangssperre von mindestens 10 Tagen verhängt. Neben der Strom- und Wasserversorgung wurden in den meisten der betroffenen Gebiete auch die Telefon- und Internetleitungen gekappt.

Örtlichen Angaben zufolge wird mit brutalster Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen. Scharfschützen haben sich auf Dächern verschanzt. Die Wohngebiete sind einem willkürlichen Beschuss durch Mörsergranaten von Luft und Boden ausgesetzt. Rund 200.000 Menschen befinden sich derzeit auf der Flucht aus den angegriffenen Gebieten.

„Kein Krieg gegen die PKK, sondern gegen die Zivilbevölkerung“

Emine Ayna, Co-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), erklärte gegenüber Civaka Azad: „Der türkische Staat führt einen gezielten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Die Aussagen, es handele sich um Operationen gegen die PKK, dienen allein dazu, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Erdogan nimmt Rache an den Kurden, weil sie zu einem Machtverlust der AKP führten und Erdogans Plänen einer Präsidialdiktatur im Weg stehen. Bisher wurde bei den Angriffen kein einziger Kämpfer der PKK getötet. Dagegen sind dutzende ziviler Todesopfer zu beklagen. Während es sich bei dem jüngsten Opfer um ein gerade einmal 35-Tage altes Baby handelt, wurden auch mehrere Personen ermordet, die älter als 80 Jahre alt sind. Hunderte Menschen haben zum Teil schwerste Verletzungen davongetragen.“

Selbst Devlet Bahceli, der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, der für seine kurdenfeindlichen Äußerung bekannt ist, sprach in der letzten Fraktionssitzung von einer ethnischen Säuberung, dessen Namen noch nicht benannt ist.

Laut von Besime Konca, Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), werden in den betroffenen Gebieten die Menschen gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben: „Die türkischen Sicherheitskräfte vertreiben nicht nur die Menschen aus ihren Häusern. Diese werden ebenfalls danach von ihnen besetzt. Außerdem werden Nahrungsmittel, die von den Menschen aufgrund der drohenden Ausgangssperren in Mengen deponiert wurden, beschlagnahmt. In Silopi wurde das neben dem Strafgerichtsgebäude befindliche Hotel ebenfalls besetzt und dessen Besitzer mit Gewalt vertrieben“

„EU-Verhandlungen mit der Türkei über Flüchtlingskrise bei neuer Massenflucht aus Nordkurdistan aufgrund AKP-Kriegspolitik“

Songül Karabulut, Exekutivratsmitglied des Kurdistan Nationalkongress (KNK) appelliert indessen an die deutsche und europäische Öffentlichkeit: „Während die EU mit der Türkei darüber debattiert, wie der Flüchtlingsstrom nach Europa gestoppt werden kann, befinden sich gerade über 200.000 Menschen in den kurdischen Gebieten der Türkei auf der Massenflucht. In den 1990er Jahren wurden Dörfer verbrannt und entvölkert. Nun wird dieselbe Kampfplanung dieses Mal auf ganze Stadtteile übertragen. Erdogan führt einen Rachefeldzug gegen die Kurden, die sowohl für seine Diktaturbestrebungen im Inland als auch seine Expansionsambitionen im Ausland ein Hindernis darstellen. Die Bundesregierung und die EU müssen Druck auf die Türkei ausüben, damit sie diesen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung beenden. JournalistInnen und Menschenrechter müssten schleunigst in die betroffenen Gebiete reisen. Nur durch das Einschreiten der Politik kann ein größeres Massaker verhindert werden.“