Irak: Neue Spannungen und die Wahl von Fuad Masûm zum Staatspräsidenten

fuad masumEin Gastbeitrag von Can Çiçek, 02.08.2014

Infolge der Neugestaltung des irakischen Staates seit dem Sturz von Saddam Hussein im Jahre 2003 gibt es ein unbeschriebenes Abkommen im Land, das besagt, dass das Amt des Ministerpräsidenten einem Schiiten, das des Parlamentspräsidenten einem sunnitischen Vertreter, und das Staatspräsidentenamt einem Kurden zugesprochen wird. In diesem Zusammenhang verfügen die kurdischen Parteien im Irak ebenso über eine inoffizielle Vereinbarung. Demnach werden die Posten des Präsidenten und Ministerpräsidenten der autonomen kurdischen Regionalregierung seitens Vertretern der PDK (Demokratische Partei Kurdistan) besetzt, aktuell sind das Masud Barzani und Necirvan Barzani, und die kurdische Vertretung in der irakischen Zentralregierung in Form des Staatspräsidenten übernimmt ein Mitglied der PUK (Patriotische Union Kurdistans). Seit 2005 wurde dieses Amt von PUK-Gründer Celal Talabani bekleidet, welcher jedoch im Dezember 2012 einen Schlaganfall erlitt und aufgrund dessen sich noch bis vor kurzem  in ausländlicher Behandlung befand.

Nun musste Ersatz für Talabani gefunden werden. Doch das Amt des Staatspräsidenten in einem Land, das heute mehr denn je zu scheitern droht, ist keine leichte Aufgabe.  Die Wahl des neuen irakischen Präsidenten fiel auf Fuad Masûm, was von vielen Seiten durchaus als eine Überraschung gewertet wurde.

Wer ist Fuad Masûm?

In kurdischen Kreisen wird Mihemed Fuad Masûm als liberaler Politiker angesehen. Er ist ehemaliges Mitglied der PDK, löste sich allerdings in den 70ern von ihr und wurde zu einem der Gründungsmitglieder der PUK. Zunächst als erster Parlamentspräsident der nach der amerikanischen Irak-Invasion 2004 gegründeten Übergangsregierung sitzt er seit Beginn im 2005 neu gegründeten Parlament ((http://www.pukmedia.com/EN/KK_Direje.aspx?Jimare=15881)). In der eigentlich entscheidenden innerkurdischen Vorwahl setzte sich Masûm gegenüber seinen parteiinternen Mitstreitern Necmettin Kerim, Barham Salih und Adnan Mufti durch. Als Favoriten bei der Wahl galten eigentlich Salih, der auf Unterstützung der PDK setzen konnte und der Gouverneur Kerkuks Kerim, welcher neben Rückhalt des Irans ebenso von Teilen der nicht-kurdischen Gesellschaft unterstützt wurde. Dass am Ende doch Masûm gewählt wurde, lässt darauf deuten, dass es sich bei ihm um eine Kompromisslösung handelt, mit der alle Seiten, die in den Entscheidungsprozess involviert sind, leben können. ((http://www.radikal.com.tr/yazarlar/cengiz_candar/iraka_ikinci_kurt_cumhurbaskaninin_anlami-1203911))

Kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen

Die Mission von Masûm als kurdischer Staatspräsident des Iraks ist es sicherlich auch, die Einheit des irakischen Staates aufrecht zu erhalten. Dies kollidiert allerdings mit der aktuellen politischen Rhetorik im Land. Denn vor allem die der Autonomen Regionalregierung Kurdistan (KRG), also derjenige Teil des Iraks den Masûm repräsentiert, macht keinen Hehl aus seinem Wunsch nach der Abspaltung vom Rest des Iraks und staatlicher Unabhängigkeit. Die Differenzen zwischen Hewlêr (Erbil) und Bagdad scheinen sich seit der Dicle Operation ((Im November 2012 rückten Truppen der zentralirakischen Armee in Richtung Südkurdistan auf und standen den Einheiten der kurdischen Peschmerge gegenüber. Erst internationaler Druck konnte für Deeskalation sorgen))  weder politisch noch rhetorisch entschärft zu haben. Im Gegenteil, Masud Barzani spricht  offen von einem gescheiterten Staat, und dass den Kurden anscheinend außer einer Staatsgründung keine Alternative mehr bestehe ((http://www.welt.de/politik/ausland/article129833866/Werden-uns-bis-zur-letzten-Patrone-verteidigen.html)) . Die unter der Rigide Malikis stehende Zentralregierung  wirft dagegen Hewlêr vor unrechtsmäßige Wirtschaftsabkommen mit dem türkischen Nachbarn getroffen zu haben, weswegen sie es als rechtmäßig ansieht, der Regionalregierung den ihr rechtlich zustehenden 17-prozentigen Anteil des irakischen Staatshaushaltes zu verwehren.  Seitdem der Islamische Staat (IS) nun auch noch wichtige Gebiete zwischen Hewlêr und Bagdad eingenommen hat, scheint sich der Konflikt zwischen der KRG und Bagdad zusätzlich verstärkt zu haben.

Die irakische Zentralregierung wirft der PDK gemeinsames Vorgehen mit der ISIS vor

Die Disharmonie im Irak drückt sich wohl am deutlichsten durch die kampflose Kapitulation der irakischen Armee gegen das Eindringen der IS aus ((http://www.haberturk.com/dunya/haber/956369-isid-musulda-kontrolu-ele-geciriyor)) .  Aufgrund der herrschenden Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb der irakischen Staatsgrenzen ist der Staatsapparat schon seit Längerem kaum funktionsfähig. Dass es dem IS mit einigen hundert Kämpfern möglich war, die Kontrolle über  die Stadt Mosul zu übernehmen, hängt damit eng zusammen. Denn auch das irakische Militär scheint trotz personeller Übermacht gegen die Islamisten nicht fähig gegen diese zu agieren.

Der irakische Ministerpräsident behauptet, dass die PDK  über das Vorgehen der IS vor ihrer Machtübernahme in Mosul informiert war und diese indirekt dabei unterstützt habe. Das Vorgehen und die Rhetorik Barzanis und seiner PDK legen den Verdacht nahe, dass diese Behauptungen nicht ganz unbegründet sind.  Durch nach dem Vordringen der IS in Mosul war in sämtlichen Teilen Südkurdistans panische Hysterie und Angst bestimmend und beherrschte in den Tagen darauf die Tagesordnung nahezu sämtlicher kurdischer und irakischer Medien. Allein  PDK-nahe Medien schienen von dem Überfall der ISIS und der nahen Distanz dieser zu den Gebieten, welcher unter kurdischer Kontrolle stehen, nichts gehört zu haben und wissen zu wollen. Parallel dazu häuften sich Statements seitens PDK Vertretern, in denen Unabhängigkeitsbestrebungen geäußert wurden. Erneut wurde das Referendum um Kirkuk in den Mittelpunkt gerückt. Der größte Separationskritiker und Gegner einer kurdischen Staatsgründung, die Türkei, signalisierte plötzlich hinter ihrem südöstlichen Nachbarn zu stehen und sicherte ihm politische und wirtschaftliche Unterstützung, auch nach Erlangen staatlicher Unabhängigkeit, zu. Kritiker aus kurdischen Kreisen beschuldigen die PDK sich zwar für Kirkuk einzusetzen, jedoch die kurdische Bevölkerung in Mosul zu vergessen und dem unkalkulierbaren Vorgehen des IS auszusetzen. Des Weiteren sorgt  ebenso innerhalb der kurdischen Peschmerge-Streitkräfte für Unruhe, dass während die zur PUK gehörenden Kämpfer an die Front berufen werden, die PDK den unter sich stehenden Peschmerge-Kämpfern ein Kampfverbot erteilt haben soll. Sie soll sogar von vielen ihrer Mitglieder die Waffen konfisziert  haben.

Ohne weiter zu spekulieren, wie denn die genaue Beziehungslage zwischen der PDK und des IS aussieht, kann gesagt werden, dass beide Seiten derzeit vom Vorgehen des anderen profitieren. Die PDK profitiert vielleicht sogar mehr als der IS. Das von der IS kontrollierte Terrain liegt genau zwischen Bagdad und Hewlêr, was sowohl aus demographischer als auch militärischer Sicht im politischen Sinne der PDK liegt. Die aktuelle politische Konjunktur erlaubt es der PDK zum wiederholten Male den Versuch zu starten, Kirkuk an das kurdische Autonomiegebiet anzubinden. Im Gegenzug dazu, dass sich der IS in das Geschehen in Kirkuk  nicht einmischt, wird das Vorgehen von ihr in Mosul geduldet. Es wird dem IS gar der Grenzgang inklusive Waffen- und Munitionstransport nach Syrien gewährt. Zeitgleich kann selbst humanitäre Hilfe nach Syrien nur sporadisch befördert werden. Ein weiteres auffallendes Merkmal ist, dass seit dem Vormarsch des IS in Mosul und anderen Teilen des Iraks, sich die Angriffe auf die kurdischen Errungenschaften in Rojava seitens dieser islamistischen Gruppierung weiter intensiviert haben. Das die gleichnamige syrische Schwesterpartei der PDK sich als einzige Kraft in Rojava gegen das gegründete Selbstverwaltungssystem stellt und ein Interesse an ihrer Schwächung haben, dürfte ist kein Geheimnis.

Möglichkeit einer kurdischen Staatsgründung…

Derzeit scheint eine kurdische Staatsgründung eher unwahrscheinlich. Zwar ist mit der Anbindung Kirkuks ein unabdingbarer wirtschaftlicher Faktor gedeckt für die staatliche Unabhängigkeit. Doch Südkurdistan  ist faktisch weiterhin in sich gespalten. Die PUK und die PDK verfügen nicht nur über eigene bewaffnete Einheiten, sondern auch über eigene gesellschaftliche Ordnungen. Es handelt sich also um eine Region mit zwei Regierungen. Ohne die internen Schwierigkeiten zu lösen, erscheint das Ziel der staatlichen Unabhängigkeit noch in weiter Ferne. Die Rhetorik der PDK hat vermutlich einen anderen Zweck. Hewlêr wird voraussichtlich darauf setzen, seine Autonomie gegen Bagdad zu verstärken, um somit die in den kurdischen Gebieten liegende Ressourcen ohne Abgabepflicht an die  irakische Zentralregierung ans Ausland zu verkaufen und befördern zu können. Dass das Dulden des IS durch die PDK  zur Durchsetzung dieses Ziels allerdings mittel- und langfristig große Gefahren mit sich bringen wird, zeigen die Gefechte zwischen der Peschmerge der PUK und der IS, die sich in den letzten Tagen vermehrt haben. Die Wahl des Kurden Fuad Masûm zum neuen irakischen Präsidenten kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Einheit des Iraks vorerst auch von den Verantwortlichen in der Autonomen Region Kurdistan nicht in Frage gestellt wird, auch wenn die Rhetorik eine andere ist.