Pufferzone gegen Pufferzone

Der Journalist Fehim Taştekin über die Hintergründe der Einrichtung von US-Beobachtungsposten entlang der syrisch-türkischen Grenze und die türkische Politik in Nordsyrien, 26.11.2018

Betrachtet man die jüngst verkündeten US-Pläne bezüglich der Einrichtung von Beobachtungsposten in Nordsyrien, zeigt sich, dass die USA eine Art eigene Pufferzone als Gegenmodell zu den Plänen der Türkei für das syrisch-türkische Grenzgebiet errichten möchten. Unter denjenigen, die im Falle einer erneuten Eskalation in Syrien nach einem Vorwand für eine Intervention suchen, kann man immer wieder folgende Aussage hören: „Das Regime ist derart despotisch, dass es den Kurdinnen und Kurden nicht mal Ausweise ausstellt.“ Es ist der nördliche Nachbar Syriens, der sich immer wieder für dieses Thema stark gemacht hat, das grundsätzlich eher Kurdinnen und Kurden aus der Türkei bewegt. Während der angespannten Phase im Jahr 2011 legte der damalige türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu am 6. April dem syrischen Präsidenten Bashar al Assad einen Forderungskatalog vor, der auch die Ausgabe von Ausweisen an die kurdische Bevölkerung Syriens beinhaltete. Die Türkei spielte sich damals zur Vertreterin der Kurdinnen und Kurden in Damaskus auf. Die kurdische Bevölkerung war in dem Land die am stärksten benachteiligte Gesellschaftsgruppe. War da nicht zu erwarten, dass sie sich am bevorstehenden Aufstand beteiligen würde? Doch als die Kurdinnen und Kurden die Kontrolle über ihre eigenen Gebiete erlangten und sie gegen die dschihadistischen Gruppen verteidigten, änderte sich die Haltung Ankaras. Die Türkei machte eine 180-Grad Wendung von der ‚Beschützerin der Kurdinnen und Kurden‘ zur ‚Türkei, die den Kurdinnen und Kurden keinerlei Status zugesteht‘.

Die Türkei versucht seit mehreren Jahren, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Der Stellvertreterkrieg mithilfe der islamistischen Gruppen zwischen 2012 und 2015; die Euphrates-Shield-Intervention der Türkei in Nordsyrien im Jahr 2016, mit der den Kurdinnen und Kurden der Weg versperrt werden sollte; die ‚Operation Olivenzweig‘ zur türkischen Besatzung Afrins und die Angriffe der letzten Wochen auf die Gebiete östlich des Euphrats – sie alle sind Teil dieses türkischen Versuches.

Die Türkei beabsichtigt, ausgehend von Tel Ebyad (Girê Spî) und Ras el Ayn (Serekaniye) in die nordsyrischen Gebiete von Kobane bis Cizire vorzudringen. Um diese Pläne zu legitimieren, behauptet man mit Nachdruck, Terroristen würden aus Nordsyrien in die Türkei eindringen. Die USA reagierte und leitete eigene Präventionsmaßnahmen ein. Wie genau sieht die US-Prävention aus? Man errichtet Beobachtungsposten entlang der syrisch-türkischen Grenze.

Als Reaktion auf die türkischen Artillerieangriffe gegen Nordsyrien im vergangenen Monat begannen US-Kräfte und YPG gemeinsame Patrouillen entlang der Grenze. So wurde dem türkischen NATO-Partner wieder einmal der Weg versperrt. Ähnliche Maßnahmen hatte die USA bereits ergriffen, als sie auf die türkischen Angriffe in Minbic im Jahr 2016 reagierte, indem ihre Soldaten in der Region offen die amerikanische Flagge zeigten. Gleiches gilt für die US-Reaktion auf die Angriffe der Türkei auf ein Medienzentrum der YPG in Karaçok im Jahr 2017. Die USA verfolgt also eine Taktik, mit der sie die Türkei davor warnt, das Feuer zu eröffnen, solange US-Kräfte vor Ort sind, und den NATO-Partner damit versucht aus zu bremsen.

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan hatte sich auf die zufriedene Reaktion Donald Trumps nach der Freilassung des Pfarrers Brunson verlassen und öffentlich verkündet, er erwarte, bei einem persönlichen Gespräch in Paris die US-Pläne stoppen zu können. Kurz nach dem Treffen der beiden Präsidenten am 11. November in Paris fuhr auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu vom 20. – 21. November nach Washington.

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Die US-Führung hatte sich mehrmals darüber beklagt, die militärischen Provokation der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze würden dem Kampf gegen den IS (Islamischer Staat) schaden. Zugleich entschied sie sich jedoch dazu, die Türkei zu besänftigen, indem insgesamt zwölf Millionen Dollar Kopfgeld auf drei Führungskader der PKK verhängt wurden. Dieser Schritt stellt eine Fortsetzung der Politik aus den Jahren 2014 und 2015 dar, in denen die Syrien-Politik der USA am Boden lag und man der Türkei signalisierte, sie könne in der Türkei und im Irak nach Belieben gegen die PKK vorgehen, müsse aber die YPG in Ruhe lassen. Gleichzeitig verkündete der neue Syrien-Beauftragte der USA, James Jeffrey, die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der YPG auf der Basis von drei Zielen, betonte aber, die Zusammenarbeit sei temporärer Natur. Die USA signalisierten der türkischen Seite damit, bis zur Zerschlagung des IS, der Vertreibung des Irans aus Syrien und der Einleitung eines politischen Prozesses in Syrien werde man weiter Bedarf nach einer Kooperation mit der YPG haben, was die Türkei bitteschön zu verstehen habe. Dass Trump selbst nicht weiß, wie genau die US-Politik in Syrien derzeit und in der Zukunft aussieht, ist eine andere Sache.

Nachdem drei Wochen lang um die Frage gerungen wurde, ob die Türkei östlich des Euphrats eine Pufferzone errichten werde, verkündete der US-Verteidigungsminister Jim Mattis während einer Pressekonferenz im Pentagon: „Wir werden an einigen Stellen entlang der Grenze Beobachtungsposten errichten.“ Das Ziel dieser Maßnahme erläuterte er folgendermaßen: „Wir wollen in der Lage sein die Türkei über verdächtige Aktivitäten zu informieren, falls wir etwas in den Gebieten beobachten, in denen wir aktiv sind. Wir werden versuchen jegliche Bedrohungen gegen die Türkei vor Ort zu beobachten. Dabei werden wir in ständigem Austausch mit der türkischen Armee auf der anderen Seite der Grenze stehen. Die Beobachtungsposten werden Tag und Nacht gut erkennbar sein. Die Türkei wird daher stets deutlich erkennen können, wo genau wir uns aufhalten.“

Aus türkischen Medienberichten wurden die Absichten der AKP deutlich: „Die Türkei wird auf syrischer Seite eine 30 bis 40 Kilometer breite Pufferzone entlang der syrisch-türkischen Grenze errichten. Ausgehend von Tel Abyad und Ras el Ayn wird die Operation auf das gesamte Grenzgebiet ausgeweitet und damit die gesamte Strecke zwischen Euphrat und Tigris abdecken. Die 911 Kilometer lange Grenze wird damit komplett unter Kontrolle der Türkei gestellt werden. In Bezug auf das westlich des Euphrats gelegene Tel Rifat wird gemeinsam mit der russischen Seite eine Lösung gefunden werden.“ Vor dem Hintergrund dieser Erklärungen wird deutlich, dass die USA derzeit eine eigene Pufferzone als Gegenmodell zur von der Türkei favorisierten Pufferzone errichten.

Die Entscheidung der USA, entlang der türkisch-syrischen Grenze Beobachtungsposten zu bauen, kommt dem Eingeständnis gleich, man werde solange mit den kurdischen Kräften zusammen arbeiten müssen, bis die eigenen Ziele in Syrien erreicht sind. Zugleich zeigt die Entscheidung, dass innerhalb der US-Führung der Flügel in den Vordergrund rückt, der befürchtet, dass die Türkei durch diese Entscheidung weiter verärgert und sich zunehmend Russland annähern wird. Die USA sind derzeit darum bemüht, ihre Strategie der iranischen Eindämmung voranzutreiben. Im Zuge dieser Bemühungen ist die US-Seite wenig interessiert an einem Abbruch der Beziehungen zu den Kurdinnen und Kurden. Der Druck aus Ankara zwingt die USA in diesem Zusammenhang klare Bindungen für die Zeit nach dem IS einzugehen. Die USA sehen sich daher dazu veranlasst, unterstützende Gesten in Richtung Türkei zu senden ohne dabei das Bündnis mit den kurdischen Kräften zu zerstören.

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Im Zuge der Entwicklung der Astana-Verhandlungen in Richtung eines politischen Prozesses wird der Unmut der verschiedenen Seiten bezüglich der Kurdinnen und Kurden immer deutlicher. Natürlich führt die Ausweglosigkeit in Idlib dazu, dass sich der Fokus auf die Gebiete östlich des Euphrats verschiebt. Man ist nicht mehr weit von dem Punkt entfernt, an dem alle Akteure bezüglich dieses Themas klar Position beziehen. Mit Blick auf die bevorstehende Phase stellen sich zahlreiche offene Fragen: Wird Russland in der Lage sein, die Kurdinnen und Kurden in die Genfer Verhandlungen einzubinden, auch wenn deren Dialog mit Damaskus noch zu keinen konkreten Ergebnissen geführt hat? Werden sich die Kurdinnen und Kurden an der Erarbeitung einer syrischen Verfassung unter Schirmherrschaft der UN beteiligen können? Wird Damaskus mit Unterstützung Russlands abseits von Genf ernsthafte Verhandlungen mit der kurdischen Seite führen können? Wird es der Türkei gelingen weiterhin jegliche politische Lösung zu sabotieren und ihr anti-kurdisches Veto zu verteidigen? Gehen wir einmal davon aus, ein politischer Lösungsprozess unter Einbindung der Kurdinnen und Kurden wurde auch gegen den Willen der Türkei eingeleitet: Wird sich die Türkei mit einem Status für die Kurdinnen und Kurden abfinden können? Wird sich die USA aus Syrien zurückziehen oder der kurdischen Seite den Rücken stärken, sobald die letzten IS-Gebiete befreit wurden?

Zahlreiche offene Fragen, die sich gegenseitig bedingen. Trotz des Traumas, das auf kurdischer Seite ausgelöst wurde, als Russland der türkischen Intervention in Afrin grünes Licht gab, scheinen auf russischer Seite die Stimmen zu dominieren, die sich für eine Einigung mit den Kurdinnen und Kurden stark machen. Die amerikanische Position in der Syrien-Krise fördert einen ‚Showdown‘ zwischen allen Beteiligten. Das russische Ziel lässt sich folgendermaßen beschreiben: Solange die Idlib-Frage nicht gelöst ist, möchte Russland die Beziehungen zur kurdischen Seite ausbauen ohne dabei die Zusammenarbeit mit der Türkei zu beenden. Doch der entscheidende Faktor für die Lösung der syrischen Krise sind die Kurdinnen und Kurden. Diese immer wieder verschobene Frage wird letztendlich angegangen werden müssen. In dieser Situation kann die Türkei ihre Karten am bequemsten ausspielen. Das Land nutzt die Widersprüche in der Region sehr gut aus. Die Türkei wird daher weiterhin Druck auf die USA und Russland ausüben, indem sie die Option einer Intervention östlich des Euphrats auf der Agenda behält.

Die türkische Innenpolitik, durch die eine Atmosphäre der ständigen Spannung gefördert wird, steigert den Appetit der Türkei darauf, jenseits der türkischen Staatsgrenzen Risiken einzugehen. Es ist noch nicht klar, in welchem politischen Klima die Herrschenden in der Türkei die Kommunalwahlen im März 2019 durchführen möchten. Auch bei diesen Wahlen wird man wohl auf eine chauvinistische, nationalistische und kriegstreiberische Stimmung setzen. Während also der MHP wieder die Hand gereicht wird, scheint es unwahrscheinlich, dass die Türkei von ihren Zielen zurückweicht, die sie für die Gebiete jenseits ihres Staatsgebietes formuliert hat.

Im Original erschien der Artikel am 23.11.2018 unter dem Titel Tampon düşüren tampon auf der Homepage des Nachrichtenportals Gazete Duvar.