Der Journalist Perwer Yaş über die Kontinuität der deutsch-türkischen Beziehungen am Beispiel des Deutschland-Besuchs des türkischen Putschisten und Präsidenten Kenan Evren vor 30 Jahren, 24.09.2018
Am 12. September 1980 kam es in der Türkei zu einem Militärputsch. In dessen Folge wurden die Türkei und Nordkurdistan zu einem Gefängnis unter freiem Himmel. Die Menschenrechte verloren jeglichen Wert. All dies führte zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Europa und der Türkei.
Kurz nach dem Putsch erklärten am 16. September 1980 der Anführer des Putsches, General Kenan Evren, und weitere Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats während einer Pressekonferenz, man wolle die Beziehungen und die Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft und dem Europarat aufrecht erhalten. Die Putschisten waren sich damals sicher, dass sie von Seiten der Europäischen Gemeinschaft (Vorgängerorganisation der heutigen EU) Unterstützung erfahren würden.
Während einer Sitzung des Europarates am 16. September 1981 bezüglich des Putsches in der Türkei vom 12. September 1980 vertraten die Vertreter Deutschlands und Großbritanniens den Standpunkt, der Putsch sei mit dem Ziel erfolgt, die Demokratie in der Türkei wieder herzustellen. Eine Reihe von Ländern, u.a. Frankreich, Dänemark und Holland, wehrten sich gegen eine Unterstützung für die Putschisten und sprachen sich für eine Unterbrechung der Beziehungen zur Türkei aus.
Nach langwierigen Diskussionen verabschiedete der Europarat einen Beschluss, mit dem die Putschisten vom 12. September weder verurteilt, noch offen unterstützt wurden. Der Rat erklärte, man werde die Beziehungen zur Türkei ohne Einschränkungen aufrecht erhalten. In der damaligen Erklärung des Europarats hieß es: „Die bestehenden Abkommen werden nicht suspendiert, da von einer baldigen Rückkehr der Militärregierung zur Demokratie und der Achtung der Menschenrechte durch Ankara ausgegangen werden kann.“
Diese europäische Erklärung kam einem grünem Licht für den Terror der Putschisten in der Türkei und Nordkurdistan gleich. In gewisser Weise genehmigte Europa damit die menschenverachtenden Maßnahmen in den türkischen Gefängnissen, die Massaker und die Hinrichtungen auf offener Straße.
Die heutigen Erklärungen des Europaparlaments zur Politik des Erdogan-Regimes ähneln denen der frühen 80er Jahre. Während auch damals keines der Vergehen geahndet wurde, rief das EU-Parlament Ankara dazu auf, den Zeitplan für eine Rückkehr zur Demokratie festzulegen, die Sicherheit von Politikern zu gewährleisten und Freiheitsrechte zu respektieren. Diese Erklärungen, mit denen auf die Forderungen der europäischen Öffentlichkeit nach einem Ende des Schweigens angesichts der Ereignisse in der Türkei reagiert wurde, belächelten die putschenden Generäle in der Türkei nur.
Deutschland erkannte das 12. September-Regime als erstes an
Trotz des Putsches sah die Europäische Gemeinschaft damals keinen Grund für einen Abbruch der finanziellen Unterstützung für die Türkei. Im Juni 1981 entschied sich der Europarat z.B. der Türkei Unterstützung in Form von Krediten und Warenlieferungen in Höhe von 600 Millionen ECU (European Currency Unit) zu genehmigen. Auch die Abkommen zwischen Brüssel und Ankara, die noch vor dem Putsch vereinbart worden waren, wurden ohne zu zögern umgesetzt. Denn das türkische Regime benötigte aufgrund der ökonomischen Krise in Folge des Putsches dringend frisches Geld, um sich auf den Beinen halten zu können.
Im März 1982 kam es auf Druck von Abgeordneten des Europäischen Parlaments zur Unterbrechung der Kooperation mit der Türkei und der Einstellung materieller Unterstützung für das Land. Die europäische Führungsmacht Deutschland intervenierte daraufhin umgehend. Bonn war zuvor die erste westliche Regierung gewesen, die das 12. September-Regime offiziell anerkannt hatte. Der damalige deutsche Außenminister Hans Dietrich Genscher besuchte am 5. November 1981 Ankara – als erster westlicher Außenminister.
Die deutschen Beziehungen zum türkischen Regime wurden trotz der Kritik durch die Öffentlichkeit und Medien in Deutschland fortgesetzt. Die Freundschaft mit den Generälen aus der Türkei ging so weit, dass Deutschland bereitwillig internationale Abkommen zum Schutz von Geflüchteten missachtete. Im Jahr 1983 wurde öffentlich bekannt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND Informationen über vor dem Putsch geflüchtete türkische Staatsbürger sammelte und diese regelmäßig an die Türkei weiter leitete. Im vergangenen Jahr kam es im Zusammenhang mit Medienberichten über Listen von regimekritischen Personen, die der türkische Geheimdienst an den BND weitergab, zu einem ähnlichen Skandal.
Die Kohl-Regierung, die im Jahr 1982 ihren Dienst antrat und Deutschland 15 Jahre lang regieren sollte, vertiefte die Beziehungen zum 12. September-Regime noch weiter. Die Regierung Kohls stellte der türkischen Seite ähnlich wie die heutige Merkel-Regierung umfassende Hilfen zur Verfügung. Als Vorwand benutzte sie die Kooperation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei und die NATO-Mitgliedschaft des Landes. Doch die Öffentlichkeit in Deutschland und die Opposition waren über die Zusammenarbeit der beiden Länder äußerst unglücklich.
Während einer Sondersitzung des deutschen Bundestages am 24. Oktober 1984 sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider: „All die Unterstützung, die der Türkei im Rahmen ihrer NATO-Mitgliedschaft durch die Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt wird, wird gegen das kurdische Volk eingesetzt. Menschenrechtsverstöße und Folter haben in der Türkei systematische Ausmaße angenommen.“
Es war zweifellos klar, dass die Bonner Regierung angesichts der Aufnahme des bewaffneten Kampfes in Kurdistan am 15. August 1984 unter Leitung der PKK an der Seite Ankaras stehen würde. Westdeutschland leistete umfassende politische und militärische Unterstützung für die Zerschlagung des kurdischen Freiheitskampfes. Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl in Ankara im Jahr 1985 und des Bundespräsidenten Richard von Weisaecker 1986 festigten die Beziehungen mit dem türkischen Putschistenregime noch weiter.
Evren: Eier von der Bevölkerung, Medaille vom Staat
Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Proteste gegen den Deutschland-Besuch Erdogans Ende September – ähnlich wie im Herbst 1988, als vor genau 30 Jahren. Damals protestierte ein breites Spektrum demokratischer und linker Parteien gemeinsam mit Organisationen von aus Kurdistan und der Türkei geflüchteter Menschen in Bonn gegen den Besuch des türkischen Putschisten Kenan Evren.
Die deutsche Polizei griff die damaligen Proteste direkt an, nahm zahlreiche Protestierende fest und verbot Transparente, auf denen Kenan Evren als Putschist und Diktator dargestellt wurde. Trotz der Proteste und des Drucks der Opposition wurde der Führer des 12. September-Putsches Evren am 17. Oktober 1988 in der westdeutschen Hauptstadt Bonn durch den damaligen Bundespräsidenten Weizsaecker auf dem dem roten Teppich empfangen. Während Evren an diesem Tag versuchte, vor dem Bonner Rathaus eine Ansprache an seine nationalistischen türkischen Staatsbürger zu halten, begrüßten ihn zahlreiche Demonstrierende mit den Slogan „Hau ab, du Faschist“.
Während einige der Eier, die von den Protestierenden geworfen wurden, Evren trafen, griff die deutsche Polizei gewaltsam ein und nahm zahlreiche Protestierende fest. Umso befremdlicher wirkte es, als der türkische General, der von Eiern willkommen geheißen wurde, vom deutschen Staat mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Kenan Evren, dessen Besuch bis zum 21. Oktober andauerte, wurde damals vom Bundespräsidenten Weizsaecker mit der höchsten Auszeichnung für ausländische Staatsgäste bedacht.
Die deutschen Vertreter verheimlichten zunächst die Medaillen-Auszeichnung für den Putschisten, da sie sich vor den Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit fürchteten. In den Medien wurden die Fotos von der Auszeichnung, die ohne größere Zeremonie stattfand, erst im Nachgang des Besuchs veröffentlicht. Evren und Kohl ließen sich in vertrauter Gesprächsatmosphäre miteinander ablichten. Zudem wurde ein feierlicher Ball für den türkischen General durchgeführt. Mit einem bilateralen Abkommen und der vollständigen Unterstützung Deutschlands kehrte Evren daraufhin nach Ankara zurück.
Auf Grundlage der zugesicherten deutschen Unterstützung im Jahr 1988 begann der Geheimdienst des faschistischen türkischen Regimes umfassendere Strukturen in Deutschland aufzubauen. Das ARD Programm ‚Panorama‘ veröffentlichte am 3. April 1990 einen Bericht, in dem belegt wurde, dass 30 MIT-Agenten mit diplomatischem Status an den 13 türkischen Konsulaten und der türkischen Botschaft in Bonn arbeiteten.
Deutsche Behörden begannen daraufhin Druck aufzubauen und die Ausweisung von 15 nachweislich für den MIT arbeitenden türkischen Konsulats- und Botschaftsangestellten zu fordern. Doch die Türkei zog nur vier Geheimdienstmitarbeiter ab. Die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes hatten Ende der 1980er Jahre derart große Ausmaße angenommen, dass sie sich nicht weiter verheimlichen ließen. Die Oberstaatsanwälte in Stuttgart und Hamburg ergriffen die Initiative gegen die Aktivitäten türkischer Agenten und leiteten Ermittlungen gegen 15 Personen ein. Doch die Ermittlungsakten wurden später ergebnislos ad acta gelegt – genau wie in Verfahren der vergangenen Jahre gegen MIT-Agenten in Deutschland.
Im Original erschien der Artikel am 21.09.2018 unter dem Titel “Erdoğan’a kırmızı halı, Evren’e madalya…” auf der Homepage der Nachrichtenagentur Firatnews (ANF).