Bericht über die Umweltzerstörung in den von der Ausgangssperre betroffenen Gebieten in Nordkurdistan, Januar 2016
Nachdem die AKP-Regierung im Frühjahr 2015 den Verhandlungstisch mit der kurdischen Friedensbewegung umgestoßen hat, beeinträchtigt ein zunehmend gewaltsames Umfeld immer mehr das gesellschaftliche Leben und verursacht Tote bei einer zunehmenden Anzahl von Zivilisten, besonders Frauen und Kindern. Die türkische Regierung hat gegen Städte und Stadtteile, die im Sommer 2015 im kurdischen Südosten der Türkei (Nord-Kurdistan) ihre Selbstverwaltung erklärt haben, eine Ausgangssperre verhängt und vollständige Blockaden erzwungen. Das führt in diesen Kommunen zu systematischer Staatsgewalt und brachte enorme Zerstörung und Verlust von Sachwerten und Menschenleben.
Als Ökologiebewegung Mesopotamiens haben wir in den betroffenen Orten, wo die Ausgangssperre erklärt wurde, eine Untersuchung durchgeführt und Interviews gemacht, um über die ökologische Dimension angesichts der Zerstörung zu berichten.
Forschungsmethode: Eine Arbeitsgruppe von AktivistInnen der Ökologiebewegung Mesopotamiens, einiger NGOs und Menschen ohne organisatorischen Hintergrund wurde eingerichtet. Eine Gesamtzahl von 85 Interviewern aus dem größeren Umkreis haben in mehreren Gruppen in verschiedenen Provinzen gearbeitet. Die Untersuchung wurde durchgeführt, indem Menschen, die von der Ausgangssperre betroffen waren, vorbereitete offene Fragen gestellt und die Antworten unmittelbar in ein Formular aufgeschrieben wurden. Insgesamt wurden 800 Familien interviewt.
Forschungsgebiete: In der Provinz Diyarbakır (Amed): Distrikt von Sur und Bismil. In der Provinz Mardin (Mêrdîn): Distrikt von Nusaybin und Dargeçit. In der Provinz Hakkari: Distrikt von Yüksekova und Şemdinli. In der Provinz Şırnak (Şirnex): Distrikt von Şırnak, Cizre, Silopi und Beytüsşebap. In der Provinz Van (Wan): Distrikt von Süphan, die Wohngebiete Yeni, Karşıyaka, Hacıbekir, Edremit.
Forschungszeitraum: Zwischen dem 24.10. und 10.11.2015.
Beobachtete und festgestellte Tatsachenermittlungen
In den Distrikten, in denen die Ausgangssperre verhängt wurde, haben die Gebäude in der Regel weniger Stockwerke und oft Gärten im Hof. Ein wichtiger Teil der Bewohner betreibt Gemüseanbau und pflanzt Obstbäume an. Weiterhin leben die Menschen von Nutztierhaltung in ihren Gärten oder im Keller.
Wegen der Ausgangssperre und der Auseinandersetzungen erlitten die Nutztiere und die Gärten der Menschen riesige Verluste. Sie konnten auch nicht zur Arbeit auf ihrem nahe gelegenen Ackerland gehen, was zum Verlust bei der Ernte von landwirtschaftlichen Produkten führte.
Es wurde beobachtet, dass die Tiere durch Granatsplitter, Kugeln und breit eingesetztes Tränengas starben. Einige tote Tiere wurden in den Gärten begraben, nachdem sie von ihren Eigentümern gekalkt worden waren. Die Gärten und Tiere blieben vernachlässigt, weil manche ihr Haus verlassen mussten und andere ihr Haus nicht verlassen durften.
In den Gebieten in der Nähe von Bergregionen (besonders Şırnak, Şemdinli, Yüksekova, Dargeçit) wird in der Weidelandschaft Nutztierhaltung betrieben. Der türkische Staat hat diese Gebiete zu besonderen Sicherheitszonen erklärt und bombardiert sie systematisch. Die Menschen wurden dazu gezwungen, ihr Weideland zu verlassen, ohne ihre Tiere mitzunehmen. Einige Tiere starben durch die Bombardierungen. Insbesondere die Bienenhaltung kam zum Stillstand. Zahlreiche Waldbrände sind als Folge der Bombardierungen ausgebrochen, die auch zum Tot vieler Tiere in den Wäldern führten (siehe Bericht zu den Waldbränden im Oktober 2015: http://www.hasankeyfgirisimi.net/?p=314). Zum täglichen Leben im Sur-Distrikt von Diyarbakır gehört das Taubenfüttern. Nach der Verhängung der Ausgangssperre starben viele Tauben durch Granatsplitter, Tränengas und bewusstes Zielen durch die Sicherheitskräfte. Es wurde sogar beobachtet, dass Sicherheitskräfte die herrenlosen Tauben mit ihren Händen töteten.
In den von der Ausgangssperre betroffenen Gebieten wurden an vielen Stellen und Straßen die Trinkwasserleitungen zerstört, und das Trinkwasser vermischte sich mit dem Abwasser. In allen Gebieten mit Ausgangssperre kam es zur Absperrung von Strom und Wasser. In der Regel wurde der Strom von den verantwortlichen Versorgern auf Druck des Staates abgesperrt. Obwohl die Regierung die Kommunalverwaltungen zwang, in den Gebieten mit Ausgangssperre das Wasser abzusperren, verweigerten das die Kommunen. Diejenigen, die Mangel an Trinkwasser hatten, wurden dazu gezwungen, Wasser aus Brunnen zu nutzen, die vor vielen Jahren in ihren Gärten gegraben worden waren und lange nicht benutzt wurden. In einigen Gebieten mit Ausgangssperre sagten die Menschen, dass sich der Geschmack der Agrarprodukte und des Trinkwassers geändert hat. Es wird angeführt, dass der Einsatz von Tränengas und Munition die Geschmacksänderung von Lebensmitteln und Trinkwasser in diesen Gebieten verursacht hat.
Viele Menschen erklärten, dass sie oder ihre Kinder sich durch den Konsum von Lebensmitteln oder Wasser übergeben mussten. Es wurde beobachtet, dass bei Kindern in Dargeçit, Nusaybin, Yüksekova und Cizre oft Fiebererkrankungen festgestellt wurden. Krankheiten wie die chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD), überdurchschnittliche Kurzatmigkeit wurden als Folge der Auseinandersetzungen und der Munition festgestellt.
Die Sicherheitskräfte erlauben es den Kommunen nicht, in den Konfliktgebieten den Müll abzuholen, so dass in den Straßen ein ungesundes Umfeld entstanden ist. Es wurde beobachtet, dass besonders Kinder unter sehr schwierigen Bedingungen mit gravierenden Auswirkungen leben. Die Kinder haben Verhaltensweisen wie Unruhe, Angst, Weinen, Schlafstörungen usw. entwickelt, wenn sie Explosionen, Schüsse und ständige Durchsagen von Polizeifahrzeugen hören. Es wurde beobachtet, dass manche Familien ihre Kindern angebunden haben, um zu verhindern, dass sie das Haus verlassen. Ungenutzte Munition, die während der Auseinandersetzung benutzt wurde, wurde von Kindern gesammelt, die damit auf den Straßen spielten. Es wird angegeben, dass der ganze Konflikt in Zukunft gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit und Psyche der Kinder haben wird.
Als Ergebnis der wiederholten Ausgangssperre und der zunehmenden staatlichen Repression hat in den meisten Wohngebieten eine Minderheit der Einwohner ihre Häuser zeitweilig verlassen, während in weniger Wohngebieten eine Mehrheit der Bewohner ihr Wohngebiet während der Zeit der Ausgangssperre verlassen hat. Letzteres trifft auf Silvan und Sur zu.
Die beschriebene repressive Politik liegt in der Verantwortung der türkischen Regierung und verursacht schwerwiegende Schäden des Ökosystems in den Siedlungen und deren Umgebung. Die staatliche Politik in den von der Ausgangssperre betroffenen Gebieten hat das grundlegende Menschenrecht auf Leben usurpiert. Dazu gehören eine saubere und bewohnbare Umwelt, Bildung und Gesundheitsversorgung sowie das Recht, in Sicherheit zu leben und die Ernährungsbedürfnisse zu befriedigen.
Wir fordern, dass die türkische Regierung und ihre Organe sofort die Politik der Ausgangssperre in Gebieten, in denen die Selbstverwaltung erklärt wurde, beenden muss. Die türkische Regierung muss auch sofort zusichern, dass ab jetzt bei jeder Handlung der türkischen Sicherheitskräfte in Türkisch-Kurdistan Gewalt gegen das der Zivilbevölkerung angeborene Recht auf Leben verhindert werden muss. Jede Zerstörung oder Schaden an Menschen als Ergebnis des Handelns der türkischen Sicherheitskräfte einschließlich der langfristig zu erwartenden sozialen und psychologischen Auswirkungen muss vollständig ersetzt werden. Bei der Betrachtung der Zerstörung müssen auch die Auswirkungen auf die Natur berücksichtigt werden. Um ähnliche soziale und ökologische Zerstörung, Schaden und Leid zu verhindern, fordern wir einen sofortigen zweiseitigen Waffenstillstand, der in den Beginn neuer Verhandlungen zwischen den beiden Konfliktparteien mündet, der türkischen Regierung und der kurdischen Friedensbewegung.