Christian Jakob, rosalux.de, 23.03.2017
Die Lage in der Türkei eskaliert, die Stimmung zwischen Berlin und Ankara ist eisig. Im Kampf gegen die kurdische Bewegung aber funktioniert die Partnerschaft der beiden Länder wie eh und je. Kurz vor dem Verfassungsreferendum erfüllte die Bundesregierung dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan einen seiner wichtigsten Wünsche: noch mehr Härte gegen die KurdInnen.
Per Brief an die Länder erklärte das Bundesinnenministerium Anfang März, dass künftig weitere Symbole kurdischer Organisationen als Chiffren für die verbotene PKK in Deutschland gelten sollen.
Darunter fallen Fotos des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan, aber auch Fahnen von in Deutschland legalen Kurdenorganisationen wie den syrischen Volksverteidigungseinheiten YPG, der syrischen Partiya Yekitîya Demokrat ( «Partei der Demokratischen Union», PYD) oder dem kurdischen Studierendenverband in Deutschland YXK. Insgesamt sind 33 Symbole von über 20 kurdischen Organisationen betroffen. Sie sollen auf Demonstrationen nicht mehr gezeigt werden dürfen, weil die PKK sich dieser «bedient, um propagandistisch auf ihre Ziele hinzuweisen».
Fahnen mit dem Bild Öcalans seien «nicht nur gleichgewichtig neben der angestammten PKK-Symbolik», sie hätten «vielmehr einen erheblichen Emotionalisierungseffekt» und seien deshalb «in besonderer Weise geeignet den Zusammenhalt der PKK zu fördern und nach außen hin unübersehbar zu demonstrieren», so das Bundesinnenministerium.
Nach dem Verbot der PKK 1993 hat das Innenministerium eine Liste mit Symbole angelegt, die der PKK zuzurechnen sind. Diese Liste wurde immer wieder erweitert. Meist betraf dies Zeichen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK, Kongra Gel oder Koma Civakên Kurdistan.
Was die neue Erweiterung dieser Liste auf eine ganze Reihe legaler Organisationen nun praktisch bedeutet, ist offen. Rechtlich ist das Schreiben des Innenministeriums nicht bindend für die Bundesländer, sondern hat den Charakter einer Interpretationshilfe. In der Praxis, so glauben Juristen aber, werden Versammlungsbehörden die Liste des BMI zugrunde legen, um Auflagen zu erteilen. Ebenso dürfte die Polizei die Liste bei Kurden-Demos zur Hand haben, um Ermittlungsverfahren einzuleiten. Weiteres werden wohl Verwaltungsgerichte klären.
Keine Zweifel aber bestehen über die politische Interpretation. «Wir sind hier geboren und aufgewachsen. Wir haben die deutsche Staatsangehörigkeit und gehen auf deutsche Unis», sagt Hêvîn Tekin vom kurdischen Studierendenverband in Deutschland, YXK. Ein „Teil der deutschen Gesellschaft wird somit kriminalisiert.“ Tekin fürchtet, dass sich das Symbol- zu einem Betätigungsverbot ausweiten könnte.
«Die KurdInnen sollen mundtot gemacht werden,», sagte Yavuz Fesoglu vom kurdischen Dachverband NavDem. Er sprach von einem «Einknicken Deutschlands vor dem Erdogan-Regime, ein Treuebeweis, für den die Kurden geopfert werden, die hier kein Lobby haben.» Das Verbot der Öcalan-Fahnen sei «ein Verbot der kurdischen Identität».
«Wieso soll Erdoğan hier eigentlich noch sprechen, wenn unser de Maizère bereits wie sein Innenminister auftritt?» fragte die Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping.
Auf allen diplomatischen Kanälen fordert die Türkei seit langem, die syrischen Kurdenorganisationen ebenfalls als Terroristen zu behandeln und zu ächten. Erfolg hatte sie damit fast nirgendwo, zumal die syrischen Kurden sich als eine der vernünftigsten politischen Kräfte in dem jahrelangen Krieg und als effektivste Gegner des IS erwiesen hatten. Gleichwohl übt sich Berlin nun im devoten Kotau vor dem türkischen Staat und kriminalisiert die, die Widerstand gegen den IS leisten.
Es ist der feigste Kurs, den man sich vorstellen kann: Einerseits kommt man Erdoğan entgegen, so wie die Bundesrepublik seit jeher den Türken beim Kampf gegen die KurdInnen beistand – mit Panzern und mit Verboten. Andererseits vermeidet Berlin es auf diese Weise, die USA zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Denn die betrachten die syrischen Kurdenorganisationen als Partner im Kampf gegen den IS.
Kernelement von Erdoğans «nationalistischem Kurs» sei «das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt» – diese Worte stammen aus dem jüngsten internen Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Der neuerliche Schulterschluss der Bundesregierung bei der Repression gegen die Kurdenorganisationen ist da für Erdoğan ein diplomatischer Sieg, der ihm gerade kurz vor dem Referendum sehr gelegen kommt.
Christian Jakob ist Reporter und Recherche-Redakteur bei der tageszeitung und hat die kurdischen Gebiete mehrfach bereist. Er lebt in Berlin.
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