Amed Dicle, Firatnews, 21.02.2017
Die erste offizielle Delegation aus Rojava besuchte im Jahr 2013 Ankara. Dieses Treffen fand im Gebäude des türkischen Außenministeriums statt.
Solche und ähnliche Treffen fanden in der Folge immer öfter und regelmäßiger statt. Die Teilnehmer der türkischen Seite teilten jedes Mal mit, dass “Herr Öcalan ebenfalls von dem Treffen Bescheid wisse”.
In der Folge haben auch Gouverneure aus Antep, Urfa und Mardin an diesen Treffen teilgenommen, und über das Thema Grenzschutz mit den Vertretern aus Rojava gesprochen.
Während allen Sitzungen hat die türkische Seite die Delegation aus Rojava als “PKK’ler“ tituliert. Diese antworteten, dass sie sich auf der Basis von Öcalans Philosophie organisieren, allerdings keine offiziellen oder inoffiziellen Verbindungen zur PKK haben.
Im September 2014, als der IS auf Kobanê vorrückte, begann eine neue Phase der türkisch-kurdischen Beziehung. Der damalige Außenminister Ahmet Davutoğlu rief Selahattin Demirtaş an und erklärte ihm, dass er sich mit Salih Muslim treffen möchte. Daraufhin traf sich Muslim mit dem Staatssekretär des Außenministeriums Feridun Sinirlioğlu in Istanbul.
Während diesem Treffen wurde erwähnt, dass man Kobanê und Rojava helfen werde. Dies erwies sich aber sehr schnell als Lüge und die eigentlich Absicht, Kobanê in die Hände des IS fallenlassen zu wollen, kam ans Tageslicht. Die Message lautete: Wenn ihr uns nicht gehorcht, werdet ihr zur Zielscheibe des IS.
Nachdem Kobanê Ende Januar 2015 vollständig vom IS befreit worden war, teilte die AKP Regierung über die HDP-Imrali-Kommission ihren Wunsch mit, erneut Vertreter aus Rojava treffen zu wollen. Daraufhin begab sich Muslim im Februar nach Istanbul. Zusammen mit einem anderen Rojava-Vertreter sollte Muslim sich mit der türkischen Seite treffen, der Grund blieb zunächst unklar.
Treffen im Dolmabahce-Palast
Das Treffen fand im Dolmabahce-Palast statt. Auf türkischer Seite nahm Sinirlioğlu und auf kurdischer Seite Muslim und ein weiterer Vertreter aus Rojava an dem Treffen teil. Zeitgleich befand sich Sirri Süreyya Önder aus der HDP-Imrali-Kommission im Dolmabahce-Palast, nahm aber nicht an diesem Treffen teil.
Die Eröffnungsrede wurde von Sinirlioğlu gehalten. Sinirlioğlu teilte zunächst mit, dass Außenminister Davutoğlu seine Grüße ausrichten lasse und fügte hinzu, dass „Öcalan über dieses Treffen unterrichtet sei“. Sinirlioğlu teilte mit, dass man sich wegen der Süleyman Shah Enklave treffe. Dort befindet sich die Grabstätte von eben jenem Süleyman Shah, der als vermeintlicher Großvater von Osman I., dem Gründer des Osmanischen Reiches, verehrt wird. Die Grabstätte befindet sich zwar auf syrischem Staatsgebiet, wurde aber durch türkische Soldaten bewacht.
Warum Ankara die Enklave aufgab
Die Enklave befindet sich ca. 30km von Kobanê entfernt in einem Territorium, das damals unter IS-Kontrolle stand. Dort befanden sich 40 türkische Soldaten, welche unter der Belagerung des IS standen. Bis dato versorgte die Türkei die Enklave logistisch über Dscharablus (das damals auch unter Kontrolle des IS stand) und gelegentlich besuchten Vertreter der türkischen Seite die Enklave. Nahezu zwei Jahre lang konnte die Türkei diesen Ort problemlos versorgen, selbst nachdem sie unter der Kontrolle des IS stand.
Dies konnte aber nicht ewig so bleiben. Die Türkei stand vor einer Zwickmühle: Würde die YPG die Enklave vom IS befreien, würde sich herumsprechen, dass die Türkei „nicht einmal das Vaterland verteidigen“ könne, stattdessen die YPG dies für sie machen müsse. Daher entschloss sich die Türkei, die Grabstätte von Süleyman Shah zu verlegen, dies war aber nicht ohne die Hilfe der YPG möglich.
Türkische Seite fragt nach Hilfe der YPG
Während dem Treffen im Dolmahabce-Palast gab Staatssekretär Sinirlioğlu die folgenden Statements ab: „Der IS erpresst uns mit der Situation der Enklave. Wir möchten die Grabstätte verlegen, die Enklave sprengen. Wir möchten, dass die Grabstätte innerhalb Kobanês untergebracht wird. Hierfür brauchen wir eure Hilfe“.
Muslim und der Vertreter aus Rojava erklärten, dass dies eine militärische Angelegenheit sei, und dadurch die YPG betreffe. Sie hätten nicht die Befugnis, im Namen der YPG zu entscheiden. Daraufhin wiederholte Sinirlioğlu: „Wir möchten dass die YPG uns hilft“.
Salih Muslim wird angeboten, nach Imrali zu reisen
Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird entschieden, dass man weitere Treffen im Rahmen dieses Themas organisieren werde. Weiterhin erwähnte Sinirlioğlu, dass es zur Zeit Probleme bei den Imrali-Gesprächen gäbe und dass die Rojava-Verwaltung hier behilflich sein könne. Auf die Frage nach dem „wie“ erklärte Sinirlioğlu, dass Muslim nach Imrali reisen könne. Hierzu kam es aber nie.
Ein weiteres Treffen zwischen Muslim, Sinirlioğlu und Önder
Nach diesem Treffen findet ein weiteres Gespräch zwischen Muslim, Sinirlioğlu und Önder im gleichen Palast statt. Der Inhalt dieses Gesprächs wird später von Önder an Öcalan übermittelt.
Zwei Tage nach diesem Treffen kontaktieren Bürokraten aus dem türkischen Außenministerium die Rojava-Verwaltung, um weitere Details zu besprechen. In Suruc, an der Grenze zu Kobanê, wird ein Treffen arrangiert, an dem Vertreter des türkischen Geheimdiensts, Generalstabs und des Außenministeriums teilnehmen. Auf kurdischer Seite sind Vertreter der YPG, des Geheimdienstes und ein politischer Vertreter vor Ort zugegen. Über ca. zwei Wochen hinweg wiederholen sich diese Treffen. Mitte Februar schließlich wird die Rojava-Verwaltung nach Istanbul eingeladen und wo diese erklärt, dass man für die Operation bereit sei.
Der Ablauf der Operation
Der Ablauf der Operation wird beidseitig bestimmt. Die türkische Seite verspricht, dass man den IS aus der Luft heraus bombardieren werde. Hierfür werden Geokoordinaten von der YPG verlangt. Zu diesen Bombardements kommt es aber nie.
In der Nacht zum 23. Februar 2015 werden von türkischer Seite 60 Panzer, 60 gepanzerte Fahrzeuge sowie 300 Soldaten an die Grenze verlegt. Die YPG jedoch erlaubt lediglich 12 Panzern, 30 Fahrzeuge und 150 Soldaten den Einmarsch in das Rojava-Gebiet. Auf Seiten der YPG nehmen ca. 150 Kämpfer teil.
Die YPG führt türkische Soldaten bis zu 200 Meter an die Enklave heran. Die Grabstätte wird abtransportiert, die Enklave gesprengt. Die Grabstätte wird auf Wunsch der türkischen Seite in das Dorf Eshme bei Kobanê verlegt. Der Besitzer des Grundstücks wird vorher unterrichtet. Die türkische Seite verpflichtet sich, dem Besitzer Pacht zu zahlen, solange die Grabstätte sich dort befindet. Hierfür wird der Landrat von Suruc beauftragt. Das Geld wird aber nicht überwiesen, bis heute steht die Grabstätte dort. Zwischen den Flaggen der YPG/YPJ und der türkischen befinden sich grade einmal 200 Meter Luftlinie.
Dies ist bis heute die einzige gemeinsam durchgeführte Aktion zwischen der Türkei und Rojava. Die Türkei schrieb sich dies damals als eigenen Erfolg auf die Fahnen. Diese Operation fand 2015 Einzug in die Newroz-Erklärung von Abdullah Öcalan. Nachdem Öcalan seine Rede verfasst und dem Justizministerium vorgelegt hatte, erreicht ihn eine Bitte aus Ankara diesbezüglich: „Es wäre im Rahmen des Friedensprozesses sehr hilfreich, wenn die Süleyman Shah Operation in Ihrer Erklärung erwähnt wird“. Daraufhin erwähnt Öcalan in seiner Rede den „Geist von Eshme“, als Symbol des Friedens in den türkisch-kurdischen Beziehungen. Der Begriff wird später aber bekanntlich vom türkischen Generalstab abgelehnt.
Zusammengefasst kann Folgendes gesagt werden: Die türkische Seite hätte mit der Süleyman Shah Operation den Grundstein für eine friedliche Nachbarschaft mit der Selbstverwaltung von Rojava legen können. Die kurdische Seite hat ihre Bereitschaft hierzu unter Beweis gestellt. Stattdessen hat die türkische Regierung es zu ihrer Maxime erklärt, die Selbstverwaltung von Rojava und die Föderation Nordsyrien mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dass sie mit dieser Strategie erfolgreich sein wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Allerdings ist durch diesen Sachverhalt auch nicht zu erwarten, dass eine erneute Kooperation zwischen der türkischen Armee und den Verteidigungskräften Rojavas stattfinden wird. Die Spekulationen über eine solche Zusammenarbeit bei der Operation auf Rakka entbehren deshalb jeglicher Grundlage.